Nachruf auf Felix Helbig

Felix Helbig
Erstveröffentlicht: 
16.02.2013

Der Redakteur der Frankfurter Rundschau starb am 13. Februar 2013 im Alter von nur 32 Jahren. Seine Rundschau, die Zeitung, bei der er groß geworden war, werde nicht untergehen, sagte Felix Helbig stets. Seine Kollegen und Freunde versprechen ihm, alles zu tun, damit er recht behält.

 

Als er sich abends verabschiedete, war alles wie immer. Wir besprachen kurz, an welche Mailadresse er den Text schickt, den er vom politischen Aschermittwoch der CDU schreiben sollte, wir machten ein paar Scherze, dann sagte Felix Helbig „Guder Mann“, was er immer zum Abschied sagte, und fuhr los. Stunden später hatten wir die entsetzliche Gewissheit, dass unser Freund und Kollege bei seinem Termin nicht angekommen war.

 

Felix Helbig ist nach einem Unfall auf der Autobahn A661 gestorben – nicht an den Folgen des Unfalls, sondern an einer Krankheit, die keine Vorwarnung kennt. Er wurde nur 32 Jahre alt.

 

Schock, Entsetzen, Fassungslosigkeit, Trauer … Es gibt kaum Worte, mit denen sich die Gemütslage von uns, Felix Helbigs Freunden und Kollegen, beschreiben lässt. Vor allem aber ist da dieses Gefühl von Dankbarkeit, dass wir lange Jahre mit ihm zusammenarbeiten und viele schöne Momente mit ihm erleben durften. Nicht nur während der Arbeitszeit. Was passiert ist, ist, wie Felix sagen würde, „unfasslich“.

 

Als Felix zur Frankfurter Rundschau kam, war er gerade mal 17 Jahre alt. Sein erster Text über die Ausstellung einer Hobbykünstlerin bescherte der FR gleich zwei Abo-Abbestellungen. Nach seinem Praktikum durfte er trotzdem in der Stadtteilredaktion der FR als freier Mitarbeiter anfangen. Einen liebenswerten Chaoten hatten wir uns da ins Haus geholt, der mit viel Hingabe und Leidenschaft über die kleinen Dinge aus dem Frankfurter Alltag berichtete. Wer im Archiv nach Artikeln aus seinen Anfangsjahren sucht, findet vor allem Texte über Bockenheim und das Westend. Für diesen Ortsbeirat, den „Zweier“, war Felix zuständig.

 

Doch so sehr er sich auch für Stadtteilpolitik begeisterte: „big“, so sein Kürzel, machte keinen Hehl daraus, dass er mehr wollte. Dass er an die großen Themen wollte. Dass er Skandale aufdecken wollte. Es sollte ihm gelingen. Im Herbst 2011, Felix Helbig hatte gerade sein Volontariat bei der FR abgeschlossen, kürte ihn das Medium Magazin zu einem der besten 30 deutschen Journalisten bis zum Alter von 30 Jahren. In einem Interview mit dem Medium Magazin anlässlich der Auszeichnung sagte er, er habe schon als Kind den Willen gehabt, nicht alles so hinzunehmen, wie es ist, und den Dingen auf den Grund zu gehen. Er erinnerte sich daran, dass er früher immer Kalle Blomquist spielte und verdächtige Nachbarn beschattete, „die dann aber natürlich doch nie Verbotenes taten – bis auf den einen, aber sicher bin ich mir da bis heute nicht“. Die Methoden hätten sich zwar bestimmt verändert, „aber ich kann wohl immer noch ziemlich nerven, wenn ich mich in etwas verbissen habe“.

 

Einer von Felix Helbigs Artikeln trug den Titel „Der Zauber des Zeitungsmachens“. Es ging ganz einfach um den Besuch von FR-Lesern in der Neu-Isenburger Druckerei. Und doch: Das mit dem „Zauber“, das konnte auch für den Autor gelten. Nicht so sehr das Zeitungsmachen, nein, Felix war ein Schreiber, ein Reporter. Einer, der immer auf der Seite der anderen stand, derer, die schwächer waren oder die einfach nicht ins Schema F passten. Felix Helbig wollte Geschichten schreiben, die Realität in Zeitung verwandeln, jeden Tag aufs Neue.

 

Er nahm sich des Falles um den getöteten Emeka Okoronkwo an, der im Bahnhofsviertel zwei jungen Frauen gegen zudringliche Betrunkene hatte helfen wollen. Er schrieb über die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, über die Proteste gegen Studiengebühren in Hessen, über Neonazi-Demonstrationen in Frankfurt und über den Bauskandal beim Deutschen Turner-Bund. Und immer wieder schärfte er sein Auge für die ungewöhnliche, die schräge Story, so wie in dem Interview mit dem britischen Hotelier Anthony Brunt, der einst im Alleingang in seinem Haus den Euro als Zahlungsmittel einführte – lange bevor der gültige Währung war. Er interviewte die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld und den Comedian Atze Schröder, schrieb über die Musiker Jan Delay und Deichkind.

 

Und natürlich berichtete er über seine geliebte Eintracht, deren Spiele er am liebsten im Waldstadion (der neue Name des Stadions kam nicht über seine Lippen) verfolgte – bei Wind und Wetter. War das nicht möglich, fieberte er vor dem Fernseher mit seiner Mannschaft mit. Den Tag darauf war er heiser. Und Felix fand allein nur „mit einer Wolldecke am Main“ Orte in Frankfurt, wo die Liebe sie selbst sein kann – Liebesgeschichten aus seiner Stadt, für die er so inbrünstig zu streiten bereit war, dass er sich nur mit Ironie noch einen Rest Distanz bewahren konnte.

 

Obwohl Felix Helbig seit 2011 als Redakteur in der Stadt- und Rhein-Main-Redaktion arbeitete, zog es ihn immer wieder hinaus. Er stapfte durch Dannenberg zu den wegen der Castortransporte blockierten Gleisen, er recherchierte rechte Netzwerke in Hessen und im Worldwide Web, er kam mit einer Story an, wie das baden-württembergische LKA linke Studenten in Heidelberg bespitzelt hatte – und lieferte postwendend noch die Ausweitungen dieses Skandals auf Bundesebene. Um dann nach Hause zu kommen und sich in der Reihe „Ihre Rundschau“ vorzustellen mit der Aussage „Am liebsten bin ich an einem Samstagmittag auf der Münchener Straße, dem einzigen Ort, wo Frankfurt wirklich Weltstadt ist.“ Als im Herbst 2011 die Bankenkrise auch in Frankfurt virulent wurde, war Felix selbstverständlich mit von der Partie, als die FR daran ging, das Phänomen der Occupy-Bewegung lokal zu begleiten. In dem Camp fielen ihm die vielen Roma auf. Als er in seiner Reportage „Tagesreisen“ über die Roma-Familie Narcisa, Calin und Novak schrieb, führte das zu einer Welle der Solidarität der Leser.

 

Dann – sein letztes Lebensjahr neigte sich dem Ende zu – hörte er von einem skandalösen Fall in der Mitte Frankfurts: Der Ingenieur Derege Wevelsiep, ein Deutscher mit äthiopischen Wurzeln, beschuldigte Polizisten, ihn nach einer Kontrolle krankenhausreif geprügelt zu haben. Dank seiner Verbreitung über die sozialen Netzwerke im Internet führte der Artikel „Ihr seid hier nicht in Afrika“ zu einem Aufschrei weit über Frankfurts Grenzen hinaus. Für Felix Helbig war klar, dass er den Fall nicht würde ruhen lassen, bis alle Fragen geklärt sind. Dieser Anspruch wird für uns Verpflichtung sein.

 

Für viele von uns war Felix nicht nur ein Kollege. Er war ein guter Freund. Einer, der die Menschen mit seiner guten Laune anstecken konnte und der auch in den Tagen, nachdem die Frankfurter Rundschau Insolvenzantrag gestellt hatte, Hoffnung verbreitete. Seine Rundschau, die Zeitung, bei der er groß geworden war, werde nicht untergehen, sagte er stets. Wir, das sei hiermit versprochen, werden alles dafür tun, damit er recht behält.

 

Als vor wenigen Tagen der langjährige FR-Karikaturist Felix Mussil starb, titelte die Rundschau „Danke, Felix“. Heute könnten wir diese Schlagzeile wieder drucken. (geo./lwa./rut.)