[S] 30 Jahre alte Normahl-Songs verboten

Erstveröffentlicht: 
09.02.2013

Winnenden. Zuerst hält der Verfassungsschutz in Sachsen die Winnender Punkband für rechtsradikal, dann veranlasst er die Indizierung von zwei jahrzehntealten Titeln der Band. Vor Kurzem hat die Polizei sogar die Wohnungen der Musiker durchsucht. Von Thomas Schwarz


Eins, zwei, drei - wo bleibt die Polizei?' heißt einer der Klassiker der Punkband Normahl. Neulich stand die Polizei bei den vier Musikern vor den Wohnungstüren in Winnenden, Plüderhausen, Sulzbach an der Murr (alle Rems-Murr-Kreis) und Heidenheim. Die Beamten wollten CDs beschlagnahmen. '16 Polizisten insgesamt, sozusagen eine Groß-razzia in ganz Nord-Württemberg', sagt Lars Besa sarkastisch, der Sänger und Frontmann der Band, die seit mehr als 30 Jahren in der Punkszene eine Marke ist.

Allerdings nicht beim Verfassungsschutz in Sachsen. Dieser fahndete nach rechtsradikalen Musikgruppen, stieß auf die Normahl-Songs 'Drecksau' und 'Bullenschweine' und verortete ausgerechnet die Punkband in der braunen Szene. Eine Anfrage der Schlapphüte beim Bundeskriminalamt hätte die Geheimagenten eines Besseren belehren können. 'Leider habe Normahl mit Rassenhass nichts zu tun, hat das BKA denen mitgeteilt', sagt Besa. Es habe sich herausgestellt, dass die Verfassungsschützer Normahl mit einer rechten Band verwechselt hätten, die wie die Punks Songs mit den Titeln 'Drecksau' und 'Bullenschweine' im Repertoire habe.

Dennoch ließ der sächsische Verfassungsschutz die Normahl-Songs 'Bullenschweine' mit der Zeile 'Haut die Bullen platt wie Stullen, haut ihnen ins Gesicht, bis dann der Schädel bricht' sowie 'Flieg, Pflasterstein, flieg' von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien untersuchen. Das Ergebnis: beide wurden verboten, weil sie gewaltverherrlichend seien. Dass beide Lieder seit 30 Jahren bekannt sind und - wie 'Drecksau' - zum festen Repertoire der Band bei ihren Auftritten gehörten, spielte keine Rolle.

Die Staatsanwaltschaft Dresden habe sich an jene in Stuttgart gewandt, sagte deren Sprecher Jan Dietzel gestern auf Anfrage. 'Gegen einen Durchsuchungsbeschluss hat die Band Beschwerde eingelegt. Dann hat das Amtsgericht Stuttgart entschieden, es bestehe der Verdacht der Gewaltverherrlichung.' Es wurde ein Verfahren gegen die Band eingeleitet wegen des Verdachts, sie vertreibe gewaltverherrlichende Tonträger. 'Einem Bandmitglied wurde angeboten, das Verfahren einzustellen unter der Auflage, dass der Vertrieb unterbleibt. Das wurde abgelehnt, dann kam es zur Durchsuchung', sagt Dietzel. 'Den Polizisten war das übrigens sichtlich peinlich', sagt Besa. 'Dass ich als alter Punk mal die Polizei loben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.'

Von einem 'Schildbürgerstreich der Staatsmacht' spricht Hans Derer, dessen Plattenlabel nun zwei Normahl-CDs im Programm hat, die auf dem Index stehen. 'Ich denke nicht daran, sie aus dem Handel zu nehmen. Das sind Dokumente der Zeitgeschichte, sie verdeutlichen die Stimmung, die unter jungen Linken herrschte. Ich bin gespannt, ob die Behörden gegen Amazon und iTunes vorgehen, da kann man die Lieder auch herunterladen', sagt Derer, der sich mit Besa und Normahl seit Jahrzehnten gegen rechte Umtriebe einsetzt. Sie haben das Festival 'Kein Hass im Wilden Süden' mitorganisiert, das 1992 nach Anschlägen auf Migranten in Solingen und Hoyerswerda stattfand.

'Damals ist auch ,Eins, zwei, drei, wo bleibt die Polizei? entstanden, als in Rostock ein Asylantenheim angezündet und belagert wurde und von der Polizei nicht viel zu sehen war. Das Lied hat der Verfassungsschutz in Sachsen als verfassungsfeindlich bezeichnet', sagt Derer. Die sächsischen Geheimdienstler hätten im Fall der NSU-Terroristen komplett versagt, meint Derer. 'Dafür nehmen die sich jetzt Leute zur Brust, die offen ihre Haltung gegen rechts zeigen. Das ist grotesk.'