Revolutionärer Klassenkampf – einzige Perspektive gegen die internationale Kapitaloffensive

strike!
 Kapitalistische Weltherrschaft – der totale Profit

Seit dem Zusammenbruch der Länder mit „real-sozialistischem“ Anspruch (aber staats-kapitalistischer Wirklichkeit) sind diese fast vollständig in den Weltmarkt reintegriert worden und der globale Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital begann sich sehr dynamisch zu entwickeln, einhergehend mit einer zunehmenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Dementsprechend hat sich auch die Ausbeutungs-Spirale immer weiter gedreht und der Sozialabbau wurde weltweit massiv vorangetrieben.

 

Die heutige Situation scheint sich daher im wesentlichen so darzustellen, wie es Berthold Brecht (in: Lob der Dialektik) bereits einmal ausdrückte: „Das Unrecht geht einher mit sicherem Schritt. Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre. Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es. Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden. Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut: Jetzt beginne ich erst.“ Ist dagegen also „kein Kraut gewachsen“?

 

Vor allem in der südeuropäischen Eurozone gibt es derzeit sozialen Widerstand und Be-wegungen gegen den Sozialabbau. Dabei stechen insbesondere Griechenland, Spanien und Portugal mit Massenstreiks und radikalen Aktionen auf der Straße hervor. Allerdings fehlt es auch hier bisher an einer strategischen Perspektive, an langem Atem und an einer Verbindung der Kämpfe, um nachhaltige Erfolge im großen Stil zu haben. In Deutschland dagegen herrscht Flaute und kein nennenswerter Widerstand gegen Sozialabbau und Lohndumping ist vorhanden. Die Protestbewegung gegen die Agenda 2010 ebbte bereits Ende 2004 ab, die mit mehreren Großdemonstrationen und zahlreichen Kleingruppenak-tionen eine nicht unerhebliche Breite erreichte, die reaktionäre Kapitalpolitik jedoch nicht verhindern konnte. Die Einführung der Rente mit 67 hätte seitens der Gewerkschaften mit einem politischen Streik beantwortet werden müssen, wurde aber stattdessen nur mit Protestaktionen begleitet. Daneben gibt es immer wieder punktuell durchaus wirkungsvolle Streiks und Widerstandsaktionen einzelner Belegschaften und Branchen (z.B. die Besetzung von Bike Systems in Thüringen und der Streik der Lokführergewerkschaft GDL 2007). Da diese allerdings von anderen Belegschaften und Branchen in der Regel nicht durch weitere Solidaritätsstreiks und -aktionen unterstützt werden, stehen die Akteure sozialen Widerstands letztlich doch allein auf weiter Flur und müssen sich endlich geschlagen geben. Die Einführung der Agenda 2010 und die Zurückhaltung in Tarifausei-nandersetzungen vor allem der DGB-Gewerkschaften über Jahre hat dafür gesorgt, dass in Deutschland ein großer Billiglohnsektor mit vielen prekären Beschäftigungsverhältnissen entstanden ist, der den Kapitalisten satte Gewinne und einen Wettbewerbsvorteil in-sbesondere in der Eurozone beschert hat. Damit werden andere Länder kaputt konkurriert und deren lohnabhängiger Bevölkerungsteil existentiell an den Rand gedrängt. Dies kennzeichnet in Kürze die Klassenlage und den Stand der Klassenkämpfe in diesem Land und darüberhinaus.

 

Klasse und Klassenkampf: Schnee von gestern?


Begriffe wie „Klasse“ und „Klassenkampf“ kommen in den öffentlichen Medien und in der etablierten Politik natürlich nicht vor, da die herrschenden bürgerlichen Kreise hoffen, dass sie das Schreckgespenst einer sozialen Befreiung endgültig überwunden haben. Demgegenüber steht am Anfang im Kommunistischen Manifest noch: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“. Da wir nicht vom Ende der Geschichte ausgehen, halten wir eine Klärung der grundsätzlicher Begrifflichkeiten gerade heute für sinnvoll. So ist der Kapitalismus als Klassengesellschaft keine anonyme, abstrakte Macht (die damit unangreifbar wäre), sondern das gesellschaftliche Pro-duktionsverhältnis, durch das die durchaus (an-)greifbare herrschende Kapitalistenklasse ihre Ausbeutung der Lohnarbeit vollzieht. Auf der anderen Seite steht die Klasse der Ar-beiterInnen. Dieser Begriff ist heute nicht mehr so eindeutig – in der Linken nicht und erst recht nicht darüber hinaus. So verneint die bürgerliche Propaganda die Existenz der ArbeiterInnenklasse teilweise vollends. Die bürgerliche Soziologie wiederum stellt die bürgerliche Gesellschaft als sozial vielschichtig hin, womit es eindeutige Interessenunter-schiede und -gegensätze angeblich nicht gibt. Natürlich hat sich das Proletariat in seiner Zusammensetzung gegenüber früher verändert: das klassische Proletariat (ArbeiterInnen im engeren Sinne, z.B. das Industrieproletariat) hat abgenommen, die anfangs recht kleine und damals noch privilegierte Schicht der Angestellten/innen erheblich zugenommen. Das Proletariat umfasst als Definition also alle diejenigen, die zur Existenz nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, nicht von ihrem Vermögen leben und nur ausführende Tätigkeiten ausüben, also auch einfache und mittlere Angestellte/innen, gehobene An-gestellte/innen ohne Leitungsfunktion, auch mit akademischer Ausbildung. Es entspricht damit im wesentlichen den „abhängig Beschäftigten“ und stellt die Bevölkerungsmehrheit dar. Dabei ist die Klasse heute von ihrer sozialen Lage her vielschichtiger und gespalten, was eine Vereinheitlichung im Kampf erschwert (z.B. FacharbeiterInnen in Stammbeleg-schaften großer Industriebetriebe gegenüber prekär Beschäftigten oder Erwerbslosen, ArbeiterInnen in den imperialistischen Metropolen und in der Peripherie). Eine gewichtige dauerhafte Spaltung des Proletariats stellt die in Arbeitsplatzbesitzer/-innen und Erwerb-slose ohne dauerhafte reguläre Beschäftigung dar. Dennoch gilt: Sowohl beschäftigte wie nicht-beschäftigte Proletarier/-innen können nichts weiter verkaufen als ihre Arbeitskraft. Diese Erkenntnis kann sich beiden Gruppen des Proletariats jedoch nur im gemeinsamen Kampf erschließen, mit kritisch-solidarischer Intervention und Unterstützung linker Kräfte, deren Aufgabe darin besteht, zu einer dauerhaften, revolutionären Perspektive dieser Kämpfe beizutragen. In Deutschland lässt sich das Proletariat allerdings zur Zeit eher von der Kapitalseite gegeneinander ausspielen, was den gering entwickelten Stand der Klas-senkämpfe und des Klassenbewusstseins hier zeigt. Neben den beiden Hauptklassen existieren noch kleinbürgerliche Zwischenschichten, z.B. kleine Selbständige, Freiberufler, Bauern, höhere Angestellte und Beamte. Teile dieser Zwischenschichten können sozial absteigen und sich am Klassenkampf des Proletariats beteiligen. Dabei hat das Proletariat als zahlenmäßig größte Klasse ihre besondere Rolle darin, dass sie diejenige Klasse ist, die an einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft objektiv gesehen am meisten interessiert ist (bzw. sein muss) und die diese Veränderung daher auch nur durchführen kann, um letztlich eine klassenlose Gesellschaft aufzubauen, in der „…die freie Ent-wicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“, wie es bereits im Kommunistischen Manifest steht.

 

Nun werden die sozialen Widersprüche, natürlich ohne vom Klassenbegriff auszugehen, von der herrschenden bürgerlichen Politik als Thema und Problem durchaus angesprochen. Wenn sich bürgerliche Politiker/-innen mit Bundestags- oder sonstigem Mandat aber besonders sozial gebärden, ist immer zu bedenken, dass sie erhebliche Privilegien haben und von den Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats meilenweit entfernt sind. Vielmehr ist jede Partei bestrebt, ihren Stimmenanteil zu sichern oder auszubauen, weil damit natürlich auch die existentielle Absicherung ihrer Berufspolitiker/-innen verbunden ist. Eine Ausrichtung auf außerparlamentarische Aktionen und Klassenkampf wird daher auch von linken ParlamentarierInnen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, vielmehr folgt über kurz oder lang die Integration ins System. Eine sinnvolle Alternative besteht aus Klassensicht des Proletariats folglich nur darin, sozialen Widerstand außerhalb dieses Spektrums aufzubauen.

 

Die klassischen sozialen Kämpfe des Proletariats sind die Lohnkämpfe auf Branchenebene, aber auch die betrieblichen Kämpfe gegen Entlassungen und Betriebsschließungen. Da jede Gesellschaft auf der Grundlage natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft beruht, der Kapitalismus aber auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, ist das stärkste klassische Kampfmittel der ArbeiterInnenklasse der Streik, also die Verweigerung der Arbeit bzw. Arbeitskraft. Was macht aber nun den sozialen Kampf des Proletariats zum Klassenkampf? Darauf hatten wiederum Marx und Engels im Kommunistischen Manifest bereits eine Antwort: „Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokal-kämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampfe zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf.“. Also handelt es sich beim Klassenkampf um eine grundsätzliche Machtprobe zwischen den Hauptklassen Kapital und Arbeit, der heute eigentlich nur noch international erfolgreich geführt werden kann. Auch Tarifauseinandersetzungen (z.B. um generelle Arbeitszeitverkürzung) können diesen grundsätzlichen Charakter annehmen. Überwiegend sind die Kämpfe in Deutschland jedoch zersplittert und isoliert. Betriebsborniertheit und das Prinzip „jeder kämpft (und stirbt) für sich allein“ herrschen leider nur allzu oft vor. In Gewerkschaftskreisen wird in diesem Zusammenhang auch von „Entsolidarisierung“ und „Ellbogengesellschaft“ gesprochen, allerdings ohne selbstkritisch die eigene Rolle bei dieser Entwicklung zu beleuchten. Entscheidend ist bei den sozialen Kämpfen des Proletariats vom kommunistischen Standpunkt aus, wie einheitlich und autonom die Klasse handelt und welches Klas-senbewusstsein sie dabei entwickelt, um letztlich als revolutionäres Subjekt den Kapita-lismus zu stürzen und eine neue, freie Gesellschaft aufzubauen. Die einzelnen sozialen Kämpfe und Klassenkämpfe sind daher nur Zwischenetappen und kein Selbstzweck: „Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter.“ (Kommunistisches Manifest). Eine Vereinigung, die eben eine andere Gesellschaft (den Sozialismus) als strategische Perspektive hat. Dies unterscheidet eine revolutionäre Ausrichtung auch von einer reformistischen, die die unmittelbaren Kampferfolge als letztendliches Ziel ansieht. Um Klassenkämpfe wirklich konsequent und kompromisslos führen zu können, braucht das Proletariat aber die Überzeugung, dass es einen Ausweg aus dem Kapitalismus, eine gesellschaftliche Alternative wirklich gibt, denn nur dann nimmt es keine Rücksicht auf das kapitalistische System. Hier ist eine revolu-tionäre kommunistische Linke gefordert, einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu liefern, der den Kern der kommunistischen Theorie und Praxis bewahrt, die Fehler der Ver-gangenheit schonungslos kritisiert und neue theoretische und praktische Ansätze entwi-ckelt. Wesentliche Grundzüge dafür sind allerdings bereits in der Vergangenheit gelegt worden, nämlich durch den Räte- und Linkskommunismus.

 

Ein Blick zurück öffnet den Blick nach vorne

 

Um zu verstehen, warum die heutige Klassensituation so ist wie sie ist, erscheint ein kur-zer geschichtlicher Rückblick sinnvoll, der die grundlegenden Entwicklungslinien aufzeigt. Dazu wäre sicher eine internationale bzw. mindestens europäische Darstellung der Ge-schichte der Arbeiterbewegung wichtig, die jedoch den Rahmen dieses Grundsatzartikels sprengen würde, so dass die deutschen Zustände hier beleuchtet werden.

 

Angesichts der heutigen Situation in diesem Land ist es nahezu unvorstellbar, dass die deutsche Arbeiter(Innen)bewegung früher so klassenkämpferisch und revolutionär war, insbesondere in der Weimarer Zeit von 1919 bis 1933. Diese Jahre waren durchzogen von einem hohen Aktivitätsniveau des Proletariats, von zahlreichen Streiks bis zum Ge-neralstreik, ja von bewaffneten Auseinandersetzungen mit der herrschenden Klasse (z.B. die Novemberrevolution 1918/19 und die „Rote Ruhrarmee“ der bewaffneten Arbeiter-schaft gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch der Reichswehr 1920). Eine Zahl mag dies ver-deutlichen: von 1919 bis 1932 gab es in Deutschland insgesamt über 157 Millionen durch Streiks verlorene Arbeitstage (Anzahl Streikender mal Streiktage). Zum Vergleich: In der BRD betrug die Zahl durch Streiks verlorener Arbeitstage im viel längeren Zeitraum 1949 bis 1976 beispielsweise nur rund 19 Millionen, als nur rund ein Achtel derjenigen der Weimarer Zeit (vgl.: dpa Hintergrund Archiv – und Informationsmaterial Nr. HG 2735 von 1978; nach Angaben des DGB). Die bewaffneten Kämpfe der Weimarer Zeit waren dabei eine Folge der Radikalisierung der Klassenauseinandersetzung gemäß der Erkenntnis, dass letztlich die „Macht aus den Gewehrläufen“ kommt. Diese Erkenntnis haben übrigens die Herrschenden in Deutschland (und natürlich auch anderswo) in ihrem „Klassenkampf von oben“ bis heute bewahrt, wie ansatzweise durch den Bundeswehreinsatz in Heiligendamm 2007 zu sehen war (während das Proletariat und die linke Bewegung insgesamt von dieser Erkenntnis heute sehr weit entfernt ist; vgl. auch die Themenartikel in der jungen Welt vom 24. und 25. Januar 2008 zur Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik). Der Marxismus war in der Weimarer Zeit bis hinein in die sozialdemokratische Anhängerschaft populär und der Sozialismus das Ziel einer Mehrheit des Proletariats. Revolutionäre Ausrichtung und Radikalisierung nahmen mit dem Anwachsen von Organisationen links von der SPD (USPD, KPD und KAPD) zu. Neben der bürgerlich-kapitalistischen Kultur entwickelte sich eine eigene proletarische Kultur, die der Hegemonie der herrschenden Ideologie entgegentrat, sie neutralisierte und zur Bildung des Klassenbewusstseins erheblich beitrug. Mit dem Machtantritt des Faschismus wurde die klassenkämpferische, ja revolutionäre Kontinuität und Weiterentwicklung der deutschen Arbeiterbewegung jedoch radikal beendet und in dieser Form bis heute nicht wieder aufgenommen. Festzuhalten bleibt die Rolle der SPD in jener Periode ab Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1933: von der Zustimmung der Sozialdemokraten im Reichstag zu den Kriegskrediten zur Finanzierung des 1. imperialistischen Weltkriegs 1914, über deren Befürwortung des Krieges, um nicht als „vaterlandslose Gesellen“ dazustehen, die Novemberrevolution, in der sich Sozialdemokraten an den Arbeiter- und Soldatenräten beteiligten, während der Sozialdemokrat Gustav Noske gleichzeitig mit der Obersten Heeresleitung Kontakt aufnahm, um die Revolution der ArbeiterInnen zusammenschießen zu lassen, was auf brutale Weise Anfang 1919 Wirklichkeit wurde, später dann zum Ende der Weimarer Republik, als es der Sozialdemokratie (v.a. ihrer Führung) darauf ankam, das kapitalistisch-bürgerliche System(!) der Weimarer Republik „gegen links wie rechts“ zu verteidigen, anstatt gemeinsam mit allen Kräften des Proletariats gegen den Faschismus zu kämpfen. Aus dieser Zeit rührt daher der Ausspruch: „Wer hat uns verraten – Sozial-demokraten!“. Die SPD war längst konterrevolutionär geworden, eine Partei mit einer Mitgliederbasis und Anhängerschaft in Arbeiterkreisen, aber einer Politik, die zunehmend offen die Politik des Kapitals vertrat.

 

Nach 1945 wurde die deutsche Arbeiterklasse in Ost und West gespalten. In der DDR wurde vom „Großen Bruder“ Sowjetunion ein Pseudo-Sozialismus stalinistischer Prägung verordnet, der der Klasse von oben übergestülpt wurde. Da wirklicher Sozialismus jedoch nur das Produkt der Eigenaktivität der Klasse sein kann, wie die Geschichte eindeutig ge-lehrt hat, musste dieser Versuch scheitern, ein solches Regime mit Massenunterstützung aufzubauen. Stattdessen begehrte die von der politischen Elite in der Propaganda um-worbene Klasse bereits 1953 auf, zwar sicher nicht ohne kapitalistischen West-Einfluss, jedoch als Anzeichen eines schier unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen der sich zu-nehmend etablierenden herrschenden Klasse der DDR und ihrer Arbeiterklasse. Mit der blutigen Niederschlagung des Aufstands wurde das ostdeutsche Proletariat quasi bis zur Wende 1989, dem Zusammenbruch des staatskapitalistischen Regimes in der DDR, lahmgelegt. Das schuf für die nachfolgende Zeit der imperialistischen Rückeroberung der DDR durch das westdeutsche Kapital eine schlechte Ausgangsbedingung für soziale Ge-genwehr.

 

In Westdeutschland verlief die Entwicklung insgesamt komplexer. Ebenfalls unter Einfluss des „Großen Bruders“ USA wurde die BRD in dem bald nach dem zweiten Weltkrieg fol-genden „Kalten Krieg“ mit seiner Ost-West-Konfrontation und dem Anti-Kommunismus der frühen 50er Jahre zum Bollwerk gegen den Osten aufgebaut. Das System beinhaltete politische Kontrolle gepaart mit sozialer Absicherung zur Stabilisierung des Ganzen. In den proletarischen Bewegungen der frühen Jahre des westdeutschen kapitalistischen Staates gab es noch Sozialisierungsideen und Restbestände des Rätegedankens, jedoch weit weniger radikal und revolutionär als zu Beginn der Weimarer Republik. Immerhin dokumentierte sich darin die Erkenntnis, dass deutsche Kapitalkreise den Nationalsozia-lismus erst an die Macht gebracht hatten und daher auch nach dem Krieg in ihrer Macht eingeschränkt werden sollten. Die anfänglichen Vorstellungen, dies durch mehr demokra-tische Mitbestimmung in der Wirtschaft durchzusetzen, waren spätestens mit dem Zu-sammenbruch der Proteste zur Einführung des Betriebsverfassungsgesetz 1952 jedoch weg von der Tagesordnung. Unter maßgeblichem Einfluss der Alliierten und der Sozial-demokratie wurde mit den westdeutschen Gewerkschaften ein System der institutionali-sierten Interessenvertretung aufgebaut, das wenig Spielräume für eine freie Entfaltung von Eigenaktivitäten des Proletariats ermöglichte (vgl. hierzu: Eberhard Schmidt, Ord-nungsfaktor oder Gegenmacht. Die politische Rolle der Gewerkschaften, Frankf. a. M., 1971). So sind die Gewerkschaften als Tarifvertragspartner in der Laufzeit des Tarifver-trages an die Friedenspflicht gebunden und auch in den Betrieben besteht eine Frie-denspflicht für die Betriebs- und Personalräte. Im Grunde sind es Vermittlungsfunktionen zwischen Kapital und Arbeit, keine Gegenmacht. Flankiert wurde das ganze durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegsphase (das sogenannte „Wirtschaftswunder“), der einen gewissen Standard der sozialen Absicherung und der Lohnentwicklung erlaubte, um den „sozialen Frieden“ für die Kapitalseite langfristig zu gewährleisten. Diese So-zialstandards, die gerne mit dem Begriff „Sozialstaat“ verbunden werden, wurden jedoch im wesentlichen nicht erkämpft, sind keine wirklichen „sozialen Errungenschaften“ sondern vielmehr in großem Maße von oben gewährte Zugeständnisse im Rahmen der jeweiligen Profitentwicklung. Dieser Klassenkompromiss mit der Bezeichnung „Sozialpartnerschaft“, der von einigen linken Gewerkschafterkreisen auch als „Rheinischer Kapitalismus“ bezeichnet wurde bzw. wird, funktionierte für das deutsche Kapital sehr gut, konnte die Streikaktivität des Proletariats doch sehr gezügelt werden. In der bereits zitierten dpa-Hintergrund-Quelle (s.o., S.6) wird dazu im internationalen Vergleich festgestellt: „Das Internationale Arbeitsamt (ILO) hat 1977 eine Liste über die durch Streiks und Aus-sperrungen im Durchschnitt der Jahre 1966/1975 ausgefallenen Arbeitstage vorgelegt. Danach wurde in Kanada und Italien am meisten gestreikt; die Bundesrepublik ist auf dem drittletzten Rang:…“. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie auch die DGB-nahe Hans-Böckler-Stiftung auf ihrer aktuellen Webseite (www.boeckler.de) feststellt: „Deutschland gilt im internationalen Vergleich als ein streikarmes Land“. Diese Inaktivität wurde nur zeitweise durch Initiativen von unten in den Betrieben durchbrochen, durch Streikwellen, in denen sich die Aktivität der Basis den Durchbruch durch das erstarrte System der Stellvertreterpolitik in Betrieb und Gewerkschaft verschaffte. Versuche von unterschiedlichen linken Kräften und Organisationen (besonders zu Anfang der 70er Jah-re), dauerhaften Einfluss in den etablierten Einheitsgewerkschaften zu erlangen, um diese von ihrem prokapitalistischen, sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftskurs abzubringen, sie zu einer klassenkämpferischen bzw. revolutionären Organisation zu machen, scheiterten spätestens mit den Gewerkschaftsausschlüssen dieser Kräfte oder mit deren Anpassung an den Gewerkschaftsapparat und ihrer Integration ins System.

 

„Zahme Vögel singen von der Freiheit, wilde Vögel fliegen“

 

Dass es dennoch auch in Deutschland nach 1945 zeitweilig anders ging, belegt die Ge-schichte wilder Streiks, die als Exkurs an dieser Stelle einfließen soll. Deutschland gilt, wie bereits gesagt, international nicht gerade als Land mit ausgeprägter Arbeitskampfkultur, vor allem was wilde Streiks betrifft. Dies trifft im Verhältnis zu anderen Ländern und zur Weimarer Zeit sicher zu. Dabei wird die „Sozialfriedlichkeit“ hierzulande an der Häufigkeit offener Arbeitskonflikte gemessen, deren Rückgang in den 50er und 60er Jahren auffällig erscheint. Demgegenüber belegen genauere Untersuchungen, dass es nicht nur eine Kontinuität wilder Streiks gibt, sondern sogar eine Steigerung solcher Streiks: von 1949 bis 1980 waren es immerhin 2056 wilde Streiks in 6767 Betrieben, wobei bis 1968 83,3 % aller Streiks nicht dem Streikrecht entsprachen. Diese wilden Streiks blieben allerdings bis Ende der 60er Jahre auf den lokalen Rahmen beschränkt und fanden in der Öffentlichkeit wenig Beachtung. Mit dem Hintergrund des Eintritts der SPD in die Große Koalition Ende 1966 und der „Konzertierten Aktion“ ab Frühjahr 1967, die eine maßvolle Lohnpolitik der Gewerkschaften durchsetzte, wuchs die Welle wilder Streiks allerdings erheblich an (lt. Angaben der IG Metall nahmen zwischen 1965 und 1967 nahezu 300.000 an diesen Aktionen teil). Ausgangspunkt der nachfolgenden Septemberstreiks 1969 war die 2. Lohntarifrunde in der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen. Die Streikwelle brei-tete sich vom 2.-19. September 1969 von Nordrhein-Westfalen über das Saarland, Bremen und die Oberpfalz aus und umfasste rund 140.000 Streikende. Branchenmäßig waren an dieser Bewegung nicht nur die Eisen- und Stahlindustrie beteiligt, sondern auch der Bergbau, die Werften, die metallverarbeitende Industrie, der öffentlicher Dienst und die Textilindustrie. Die Zahl der bestreikten Betrieb mit 70 macht deutlich, dass vor allem Großbetriebe betroffen waren (Durchschnitt: 2.000 Streikende pro Betrieb). Der Umfang der Streikausfalltage in diesen drei Wochen wilder Streiks betrug 532 308 und übertraf damit die Anzahl der Streikausfalltage von 1964 bis 1968. Die Gewerkschaftsführungen wurden von den autonom durchgeführten Streiks überrascht und Gewerkschaftsfunktionäre wurden ausgepfiffen oder sogar niedergeschrien, wenn sie die Streikenden zur Aufgabe bewegen wollten. Die IG Metall und die IG Bergbau versuchten u.a. durch vorgezogene Tarifverhandlungen diese Bewegung unter Kontrolle zu bekommen. Forderungen nach Lohnerhöhung dominierten, ergänzt durch Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Eine politisch-systemkritische Ausrichtung der Bewegung war jedoch nicht vorhanden.

 

Die zweite Streikbewegung, die hier als Beispiel einer sich autonom entwickelnden Arbei-terInnen-Initiative erwähnt werden kann, ist die von 1972/1973, die durch die sogenannte „Stabilisierungspolitik“ der sozial-liberalen Regierungskoalition aus SPD und FDP entfacht wurde. Die sozial-liberale Koalition wollte den Lohnrahmen begrenzen, was von der IG Metall auch akzeptiert wurde, nicht jedoch von den Belegschaften der Betriebe. Bei dieser zeitlich längeren Streikwelle war die Anzahl der bestreikten Betrieb und die Zahl der Beteiligten insgesamt mehr als viermal so groß wie 1969. Anders als zu dieser Zeit waren jedoch wesentlich mehr Klein- und Mittelbetriebe betroffen, wurde auch die Elektro- und Automobilindustrie einbezogen. Der lokale, dezentrale Charakter der Streiks war stärker ausgeprägt. Dabei kam es z.B. zur Besetzung der Ford-Werke in Köln-Niehl durch vorwiegend migrantische Beschäftigte. Der Konflikt eskalierte schließlich derart, dass der Betrieb durch die Polizei geräumt wurde. Bei den Streiks 1969 kam es spontan zu Formen der Selbstorganisation, die eine erfolgreiche Taktik darstellten. Hauptsächlich in der Eisen- und Stahlindustrie wurden Betriebsbesetzungen durchgeführt. Dabei versammelten sich die Streikenden vor dem Verwaltungsgebäude und diskutierten das weitere Vorgehen und die Forderungen. Aktive Streikkader organisierten Lautsprecherwagen und Megaphone, durch Besetzung der Werktore wurde die nächste Schicht informiert. In Saarbrücken wurde sogar der Landtag blockiert. Im Bergbau wurden in den einzelnen Betrieben Streikleitungen oder Streiksprecher gewählt, in Dortmund z.B. sogar eine zentrale Streikleitung. In der Eisen- und Stahlindustrie gewährleistete vor allem die dauernde Anwesenheit der Streikenden im Betrieb als Besetzungsaktion eine Kontrolle der Ver-handlungskommissionen, die teilweise unabhängig von Vertrauensleuten oder Betriebs-ratsmitgliedern gebildet wurden, wenn diese sich offen gegen den Streik aussprachen. Durch Straßendemonstrationen versuchten die streikenden Belegschaften die Bevölkerung auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und in Streikversammlungen wurde über Fortsetzung oder Abbruch des Streiks entschieden. Dabei mussten Streikleitungen, Streiksprecher oder Verhandlungskommissionen über ihre Tätigkeit Rechenschaft ablegen. (Quellen: 1. Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder Gegenmacht; Die politische Rolle der Gewerkschaften, Frankfurt a. M. 1971./ 2. Jochen Gester, Willi Hajek (Hg.), Sechs Tage der Selbstermächtigung; Der Streik bei Opel Bochum Oktober 2004, Berlin, 2005.) Diese positiven Beispiele zeigen, was möglich ist, wenn ArbeiterInnen ihre Eigenaktivität autonom von den etablierten, angepassten und institutionalisierten Interessenvertretungen entfalten. Es war in den 70er und 80er Jahren allerdings auch eine Phase, in der die Linke insgesamt in all ihrer heterogenen und widersprüchlichen Zusammensetzung weltweit als gesellschaftliche Kraft noch wahrgenommen werden konnte und Einfluss besaß.

 

Agonie der Linken und Aufwind fürs Kapital

 

Dies änderte sich jedoch mit dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Regime des sogenannten „real-existierenden Sozialismus“. Durch die Implosion dieser Systeme war auch der Grundgedanke einer Möglichkeit der sozialen Befreiung subjektiv für viele Men-schen fraglich geworden, wurde der Marxismus vielfach nur noch als schöne Utopie be-trachtet, die leider nicht zu verwirklichen sei. So konnte das westdeutsche Kapital, das die DDR nach 1989 in „bester“ imperialistischer Manier Stück für Stück eroberte, ihre Of-fensive ohne Rücksicht durchsetzen und vom Modell der „Sozialpartnerschaft“ eines „Rheinischen Kapitalismus“ Abschied nehmen, ohne großen Widerstand des Proletariats in Ost und West erwarten zu müssen. Schon bald nach der sogenannten „Wende“ und dem Zusammenbruch der östlichen Wirtschaftssysteme öffnete sich daher vor allem der Arbeitsmarkt im gering qualifizierten Segment im Westen für den Zustrom von Billigloh-narbeitskräften aus dem Osten, die für einen ersten Schub von Lohndumping und für sat-te Profite der kapitalistischen Arbeitgeber sorgten. Anfang der 90er Jahre entwickelte sich dann angesichts der westlichen Kapitalpolitik Marke „Wild Ost“, die für eine Deindustriali-sierung ganzer Regionen sorgte und im Rahmen der Treuhandanstalt auch kapitalistisch rentable DDR-Betriebe schloss, allerdings dennoch eine Welle des Widerstands von Be-triebsräten und Basis in ostdeutschen Betrieben, die durch westliche GewerkschafterInnen und Belegschaften unterstützt wurde. Die zahlreichen Aktionen wurden unabhängig und gegen den DGB durchgeführt, der im wesentlichen auf Beschäftigungs- und Qualifi-zierungs-Gesellschaften als Übergang orientierte. Zeitweilig bestand in DGB-Kreisen die Befürchtung, dass sich hier eine radikale Ost-Gewerkschaft als Konkurrenz bilden würde.

 

Nach dem Abebben dieser Bewegung versuchte die herrschende Politik in der Kohl-Ära, das bisherige Sozialsystem zu „reformieren“ bzw. abzubauen. Dagegen regte sich ab Mitte der 90er Jahre wieder verstärkt sozialer Protest, der 1996 in einer großen Demonstration in Bonn mit mehr als 300.000 TeilnehmerInnen mündete. Hier, wie in den weiteren Protesten bis 1998, waren die Gewerkschaften noch maßgeblich an den Aktionen beteiligt. Der Versuch, ähnlich wie in Frankreich zu dieser Zeit, eine Erwerbslosenbewegung breit ins Leben zu rufen, scheiterte dabei und blieb letztlich auf einen Kreis politischer AktivistInnen beschränkt (eine breitere Mobilisierung von Erwerbslosen ist darüber hinaus auch bis heute nicht gelungen). Dabei wollte diese Bewegung „eine andere (d.h. sozialere) Politik“ weg von der „Zuschauerdemokratie“, wie der politische Zirkus des Parlamentarismus von vielen empfunden wurde. Als dann 1998 die Ära Schröder anbrach, brachen auch die Proteste zusammen, zogen sich die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften daraus zurück – wollten und konnten sie doch nicht gegen „ihre“ eigene Regierung demonstrieren(!)

 

Im Ergebnis war es eine neue Regierung aber keine neue Politik – schon gar keine sozia-lere. Im Gegenteil: die SPD (und die Grünen) setzten unter der zynischen Parole „Reform der Sozialsysteme“ einen Sozialkahlschlag durch, der im bisherigen Maßstab des west-deutschen Kapitalismus nach 1945 einmalig war. Und nur eine sozialdemokratische Re-gierung konnte mit der faktischen Stillhaltepolitik der ebenfalls sozialdemokratisch domi-nierten Gewerkschaften im Rücken ohne größeren Widerstand ein solches Programm im Sinne des Kapitals durchsetzen. In der 2. sozialdemokratischen Legislaturperiode ab 2002 wurde dann die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe in Angriff genommen, die durch das sogenannte „ALG II“ ersetzt wurde, verbunden mit dem Einstieg in weiteres Lohndumping und in einen Billiglohnbereich, durchgesetzt durch massiven Druck auf die Erwerbslosen. Angesichts dieses Generalangriffs blieben die gewerkschaftlichen Proteste im Verhältnis zur Vor-Schröder-Ära jedoch zahm und moderat, wurde nur mit relativ geringer Kraft mobilisiert – und das, obwohl es hier ans Eingemachte ging (auch bei den Gewerkschaften selbst, die seit Jahren Gewerkschaftsaustritte in hoher Zahl vorzuweisen haben). Die Proteste mit Großdemonstrationen und spektakulären, öffentlichkeitswirksamen Aktionen bis Ende 2004 wurden vielmehr durch Initiativen der Basis außerhalb und innerhalb der Gewerkschaften getragen. Dadurch hat jedenfalls die SPD ihr Image als „Arbeiterpartei“ endgültig verloren: Sie hat sich endlich vollends und offen als das geoutet, was sie schon längst war: eine Partei des Kapitals – und zwar ohne jeden sozialen Anstrich! Die bekannte „Heuschrecken“-Rede Münteferings ist angesichts des sozialdemokratischen Sozialkahlschlags nichts als eine zynische, unverschämte Heuchelei. Auch der Gebrauchswert vor allem der DGB-Gewerkschaften, die angesichts einer derart kapi-talfreudigen Politik unter dem Strich nichts anderes betreiben als Co-Management und Kooperation mit der Kapitalseite, hat bereits die Nullmarke unterschritten.

 

In der Folge entstand 2005 an der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Basis eine Absetzbewegung, die kurzfristig in der Gründung der WASG mündete, allerdings recht bald auch wieder in einem Zusammenschluss mit der PDS zur Partei DIE LINKE endete. Diese Partei besitzt mit ihrem neoliberalen Flügel („Forum demokratischer Sozialismus“) eine Gruppierung, die mit der SPD gerne koalieren und die Sozialdemokratie als Regierungspartei letztlich beerben möchte. Ein anderer Flügel, die „Sozialistische Linke“, fungiert als anti-neoliberal orientierter Arbeitnehmer-Flügel der Partei und möchte im Grunde zum alten „Sozialstaat“ und zum „Rheinischen Kapitalismus“ zurück. Die stell-vertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, die dem linken Flügel in der Partei angehört, fordert z.B. eine Vermögensabgabe zur Senkung der Staatsschulden und gar eine Vergesellschaftung der Großbanken (vgl. junge Welt v. 14.11.2011, S.8). Dies liegt natürlich nicht im Interesse des deutschen Kapitals, das keinen neuen Klassenkompromiss eingehen wird, der nur eine Bremse für dessen aggressiven weltweiten Expansionskurs wäre. Eine „sozialere Republik“ gegen diese Kapitalinteressen durchsetzen zu wollen, würde demgegenüber die Mobilisierung eines großen Teils der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit erfordern, die massiven Druck von unten macht. Tatsächlich kommt Sahra Wagenknecht zu einer solchen Feststellung: „Natürlich werden diese Ziele ohne Druck von unten nicht erreichbar sein. Ein soziales Europa kann es nur geben, wenn es von einer starken Protest- und Streikbewegung erkämpft wird“ (Quelle s.o.). Allerdings bleibt zu fragen, welche Rolle DIE LINKE dabei spielt: bleibt es bei Sonntagsreden oder hilft die Partei mit, den notwendigen Aufstand zu entfachen? Da ein sozialer Aufstand nicht wirklich im Politikkonzept der LINKEN vorgesehen ist, die Partei vielmehr auf Stimmenfang aus ist statt gerade den Klassenkampf zu fördern, ist dies kein ernsthaftes Ziel für die Partei. Außerdem muss doch klar sein: Selbst die von Sahra Wagenknecht vorgeschlagene „Zähmung“ des Kapitalismus würde zur Verwirklichung eine revolutionäre Entwicklung des Klassenkampfs voraussetzen, da das Kapital in seiner derzeit starken Position alle Kräfte zur Verhinderung dieses Vorhabens in Bewegung set-zen würde. Auch nicht gerade wegweisend – sondern vielmehr unerträglich illusionär – ist es, heute noch auf die Reformierbarkeit des DGB und seinen förderlichen Einfluss auf ei-nen sozialen Widerstand zu setzen, so wie es Michael Prütz, der Sprecher der Berliner Griechenland-Solidaritätskomitees offensichtlich sieht. In einem Interview in der jungen Welt (v. 14.11.2012, S.8) stellte er fest: „Durch jahrzehntelanges Paktieren mit dem Ka-pital ist in Deutschland eine Situation entstanden, in der die Gewerkschaften erst wieder lernen müssen zu kämpfen. Es fehlt eine Kultur des Widerstands…Mein Eindruck ist, dass es eine leichte Tendenz gibt, dass sich Leute aus der mittleren Funktionärsebene stärker beteiligen wollen. Der DGB Berlin hat sich zum Beispiel vor unserer heute stattfindenden Solidaritätsdemonstration zur Kooperation mit außerparlamentarischen Initiativen bereit-erklärt“. Von dem gesamten anti-neoliberalen, sozialstaatlich orientierten Spektrum in und außerhalb der Parteien ist also keine nennenswerte Verbesserung für die lohnabhängige Klasse zu erwarten – eine grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung natürlich erst recht nicht, da dieses Spektrum eben bürgerlich-reformistisch und nicht revolutionär ist!

 

Teil des Problems (und nicht die Lösung) ist auch jene orthodoxe Linke, die in den immer noch vorhandenen stalinistischen, maoistischen, trotzkistischen und sonstigen Organisa-tionen eingebunden ist und ein Politikkonzept pflegt, das von Stellvertreterprinzip geprägt ist und vorzugsweise auf oppositionelle Gremienarbeit in Gewerkschaften, Betriebs- bzw. Personalräten setzt, die Basis der Klasse nur als Manövriermasse betrachtet. Hier werden außerdem Sozialismusvorstellungen konserviert, die letztlich wieder in einem staatskapitalistischen System mit erneuter Parteidiktatur enden würden. Insgesamt also ein taktisches und strategisches Politikkonzept, dass in der Sackgasse enden muss.

 

Lösungsansätze

 

Was ist also das Resümee, welchen Weg gibt es aus der derzeitigen Talsohle? Für einen Neuanfang kann nur jener Teil der Linken eine Grundlage bilden, der weder resigniert hat, noch im orthodoxen Sinne organisatorisch-ideologisch eingebunden und dogmatisch erstarrt ist, sondern emanzipatorisch-fortschrittliche, libertäre und klassenautonome An-sätze verfolgt, wie z.B. der Rätekommunismus und revolutionäre Unionismus bzw. Syndi-kalismus. Es wird darüber hinaus auch vermehrt wieder politisch interessierte Menschen geben, die auf der Suche nach einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Alternative zu diesem System sind, jedoch noch wenig oder keine politischen Erfahrungen haben. Diese Chance gilt es zu erkennen und zu nutzen.

 

Die Bildung einer überlebensfähigen revolutionären Struktur ist für diesen Neuanfang kein Selbstzweck, sondern schafft erst die Basis, um sich an sozialen Klassenkämpfen fördernd beteiligen zu können. Hier kommt es vor allem darauf an, sich gegen den Ein-fluss der reformistischen Linken zu wenden, die immer noch auf die prokapitalistischen Gewerkschaften als Bündnispartner und auf Parlamentarismus setzt, damit zur Illusions-bildung beiträgt und die Bewegung letztlich in die Sackgasse treibt. Nur ein vollständiger Bruch mit Parlamentarismus, Reformismus, Sozialdemokratie und kapitalhörigen, sys-temkonformen Gewerkschaften, schafft hier einen Ausweg. In allen Aktionen und Kämp-fen ist es daher unabdingbar, für die Selbstorganisation, Eigenaktivität und Autonomie des Proletariats einzutreten. Ansatzpunkte sind daher Betriebe und andere soziale Bereiche in denen es bereits von Betriebs- und Personalräten bzw. gelben Gewerkschaften unabhängige Initiativen an der Basis gibt oder zu deren Bildung beigetragen werden kann. Das können auch basisgewerkschaftliche, antikapitalistische Gruppen sein, wenn sie dem Prinzip autonomer Selbstorganisation des Proletariats entsprechen. Der nächste Schritt wäre eine basisorientierte, antikapitalistisch-revolutionäre Strömung, die übergreifend entsteht, sodann eine dauerhafte regionale, überregionale und internationale Vernetzung dieser vorhandenen oder sich gerade entwickelnden Strukturen, damit Einzelaktionen koordiniert werden können, sich einzelne soziale Kämpfe eben zu einem größeren, letztlich globalen, Klassenkampf zusammenfassen lassen. Die Entwicklung des klassischen Kampfmittels Streik muss dabei stets zentral im Vordergrund stehen – ergänzt durch andere Widerstandsformen. In allen Bewegungen wird es schließlich die Aufgabe sein, für politische Klarheit im revolutionären Sinne einzutreten. Auf diese Weise könnte eine positive Entwicklung vom jetzigen Tiefpunkt der Klassenbewegung in Deutschland (und darüber hinaus) in Gang gesetzt werden, oder um nochmals Brecht mit seinem „Lob der Dialektik“ zu zitieren: „Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein? Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen. Und aus Niemals wird : Heute noch!“

 

strike!

 

www.strike.blogsport.de