OSL - die libertäre Bürgerpolizei

osl

Folgender Text ist eine Richtigstellung gewisser Falschaussagen in der letzten Nummer der Zeitschrift der FAU Bern Di Schwarzi Chatz, abgedruckt in der aktuellen Nummer. Bezeichnenderweise ist der Titel im Inhaltsverzeichnis verkürzt - von OSL steht plötzlich nix mehr. Ein Schelm, wer böses denkt...

 

Eine Genossin aus Lausanne meinte zudem, ich solle klarstellen, dass die alten bärtigen Männer der OSL sich äusserst selten in den Squats blicken lassen. Deshalb soll präzisiert werden, dass das "Nahestehen" von Häusern wie das Espace autogéré, der Laiterie oder des Désert in dem Sinn gemeint ist, dass diese Häuser die Politik der Befriedung und der Kollaboration in Lausanne mittragen.

 


 

In der Nummer 20 von Di Schwarzi Chatz erwähnt ein gewisser FFS den Tortenangriff auf Aristide Pedrazza im Rahmen des internationalen anarchistischen Treffens in St.-Imier vom 8. zum 12. August 2012. Der Vorfall wird mit folgenden Worten beschrieben: „Ein Vortrag wurde gestört, weil der Referent angeblich „Berater der Stadtpolizei Lausanne“ gewesen sein soll. Nach einer Torte, die ihm ins Gesicht geschmissen wurde, hagelte es Vorwürfe und „Fascho!“-Rufe, wobei sich einige Teilnehmer_innen dazu aufgefordert fühlten, den Referenten anzugreifen.“ (1) In einer Fussnote wird zudem behauptet, es sei „Absoluter Schwachsinn“ (2), dass er „Berater der Stadtpolizei Lausanne“ gewesen sein soll. So formuliert ist es natürlich auch Schwachsinn, Pedrazza war persönlicher Berater vom damaligen PdT-Staatsrat Josef Zisyadis, der von 1996 bis 1998 das Waadtländer Justiz-, Polizei- und Militärdepartement leitete. Pedrazzas feierlicher Einzug im Departement kann in der Zeitschrift L'Hebdo vom 17. Oktober 1996 nachgelesen werden (3).

 

Der damalige Generalsekretär des Departements Vincent Grandjean war des Lobes voll für den neuen Mitarbeiter: „Er ist ein loyaler, sehr professioneller und sehr zuverlässiger Mann […].“ (4) Etwas weiter unten kann man lesen, dass sich Pedrazza „definitiv mit der Polizei versöhnt hat“ (5). Er macht auch gleich klar, wie er seine Rolle als „Revolutionär“ versteht: „Eine der Aufgaben der Linken ist es, eine demokratische Sicherheitspolitik anzubieten.“ (6) Neben der zentralen Falschaussage hat der Autor oder die Autorin des Artikels auch sonst gewisse Dinge verwechselt. Die „Fascho!“-Rufe galten dem Tortenwerfer und obwohl die anwesende OSL-Prominenz die betreffende Person kannte, kam es niemanden in den Sinn, den wütenden Mob zurückzuhalten, der sich aufmachte, ihn zu verfolgen. Leider fühlte sich auch niemand dazu „aufgefordert, den Referenten anzugreifen“. Zumindest hat sich der wütende Mob ziemlich schnell in eine Ansammlung solidarischer Genossen verwandelt, denn nachdem den Leuten die Aktion und der Hintergrund erklärt wurde, waren nur noch zwei, drei Leute aus dem OSL- und FLM-Umfeld empört darüber.

 

Die OSL (Organisation socialiste libertaire) ist eine „Föderation libertärer Gruppen der Westschweiz“, zu der auch die jurassische FLM (Fédération libertaire des Montagnes) gehört. Sehr gross ist diese Föderation freilich nicht, neben den Jurassiern besteht die Organisation hauptsächlich aus Pedrazza und seinen Anhängern in Lausanne (die v.a. im Espace autogéré und in der Laiterie zu finden sind) und einigen wenigen Leuten in Biel, die Genfer Sektion existiert nicht mehr. Die Gruppe ist Teil des Netzwerks „Internationale libertäre Solidarität“ und der „Anarkismo“-Plattform.

 

Pedrazza ist Anführer und Cheftheoretiker der OSL, obwohl es seine Anhänger wohl kaum so formulieren würden. Sein ideologisches Konstrukt nennen sie „sozialen Anarchismus“ und es lässt sich zusammenfassen als sozialdemokratisches Programm mit libertärem Anstrich, ein zentraler Punkt darin ist z.B. die Verteidigung des Service public. Die OSL distanziert sich auch stets von jeglicher Gewalt, wie z.B. während den Protesten gegen den G8 in Lausanne 2003. Gemäss Bund war Pedrazza damals „alleinige[r] Wortführer des Lausanner Anti-G8 Komitees“ (7). In dieser Rolle vergas er natürlich nicht, sich vom Schwarzen Block zu distanzieren. Er bezeichnete Teilnehmer davon als „Genossen, die sich irren“ (8) und den Schwarzen Block als etwas, dass nicht zur „reinen anarchistischen Tradition“ (9) gehöre.

 

Diese Politik der Befriedung führt die OSL auch in der Stadt Lausanne, wo die Linke so vereint ist, dass sich Trotzkisten, Stalinisten und Anarchisten bestens verstehen. So unterhält die OSL z.B. einen regen Austausch mit der trotzkistischen Partei SolidaritéS, Frucht davon ist das „Forum des luttes et des résistances“ („Forum der Kämpfe und Widerstände“). Pedrazza zählt auch Freunde in der POP („Parti ouvrier populaire“ - Waadtländer Sektion der PdA), z.B. den ehemaligen Lausanner Polizeivorsteher Marc Vuilleumier (10), der für etliche Repressionsschläge gegen Genossen verantwortlich war. Als im Januar 2012 der Squat „Turbo Mongol“ in Lausanne brutal von der Polizei angegriffen wurde (11), wussten gewisse Leute aus dem OSL-Umfeld nichts gescheiteres als „unseren Freund“ Marc Vuilleumier anzurufen, der natürlich behauptete, nichts davon gewusst zu haben.

 

Diese paar Elemente sollten reichen, um zu zeigen auf welcher Seite der Barrikade Pedrazza und seine Anhänger stehen. Auch das Treffen in St.-Imier war diesbezüglich bezeichnend, doch alle kamen, um die „Einheit der Anarchisten“ zu feiern – und der OSL einen wirksamen Propagandastreich zu ermöglichen. In Lausanne erlaubt die OSL der institutionellen Linken eine gewisse Kontrolle über die Besetzerszene, was mit einer relativ grosszügigen liberalen Politik ihr gegenüber belohnt wird. Gewisse Squats, die der OSL nahestehen bekommen Heizöl im Wert von 15'000 Fr. pro Jahr geschenkt von der Stadt, anderen wird das Dach gratis repariert. Wer sich dieser Ordnung nicht fügen will, wird bestraft, wie die Genossen von „Turbo Mongol“. Diese Leute wollen wohl kaum die Revolution, sie dürften sich eher davor fürchten. Zurecht.

 

Ein wütender Chaot

 

(1) Di Schwarzi Chatz 20, S. 11.
(2) Ebd.
(3) Der Artikel ist hier online verfügbar: https://ch.indymedia.org/demix//2012/08/87236.shtml.
(4) L'Hebdo vom 17. Oktober 1996, S. 31.
(5) Ebd., S. 32.
(6) Ebd.
(7) Bund vom 13. Mai 2003, konsultiert auf http://www.bermuda.ch/reitschule/anti-wto/pressespiegel/ebund_evian_Nachrichtendienst rechnet mit bis zu 3700 Militanten.shtml, konsultiert am 6. Oktober 2012.
(8) https://ch.indymedia.org/fr/2003/04/7880.shtml.
(9) Ebd.
(10) Nicht zu verwechseln mit dem marxistischen Historiker, der den gleichen Namen trägt.
(11) Siehe https://ch.indymedia.org/demix//2012/01/84989.shtml.

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Gewisse Squats, die der OSL nahestehen bekommen Heizöl im Wert von 15'000 Fr. pro Jahr geschenkt von der Stadt, anderen wird das Dach gratis repariert.

 

Diese Info kann vom Verfasser nicht verifiziert werden.

 

Gehört also in den Gerüchtesuppenkessel.

 

Gruss aus der Schweinz

das finde ich an sich nicht schlimm. die frage ist doch, ob es eine gegenleistung gibt und wie die aussieht.

Ich habe zwar keinen Beleg für die angesprochenen Aussagen gefunden. Vielleicht find ich den noch in den Berichten der Stadt, vielleicht nicht. Nur soviel: Das Dolce Vita, die Vorgängerin des Espace autogéré, wurde 1985 mit einem Kredit von 150 000 Fr. von der Stadt Lausanne renoviert (http://www.lausanne.ch/search/Search.asp?q1=dolce+vita, erstes Resultat, S. 1). Als das Abenteuer 2000 als Espace autogéré nach einigen Jahren im Exil weitergeht, "entdeckt" die Stadt sieben Jahre später plötzlich, dass dort Konzerte statt finden, ohne dass sie die Bewilligung dazu haben (http://espaceautogere.squat.net/shownews.php?id=1174640633). Als die Frage im Stadtrat diskutiert wird, verteidigt der im Text erwähnte Marc Vuilleumier (!), damals Kulturminister, später für die Polizei verantwortlich, das Espace autogéré (http://www.lausanne.ch/search/Search.asp?q1=centre+autog%E9r%E9+%E0+cet+..., erstes Resultat, S. 14), es bezahlt bis heute weder Steuern noch sonst welche Abgaben, braucht auch keine Bewilligungen (Ausschank, Konzerte etc.) und dieses Privileg wird explizit von der Stadt zugestanden. Ausserdem heisst es in einem Bericht der Stadt von 2002, dass das Espace autogéré sehr eng mit der Jugendförderung der Stadt zusammenarbeitet (http://www.lausanne.ch/search/Search.asp?q1=espace+autog%E9r%E9+%28squats, erstes Resultat, S. 42).

 

Leider hab ich noch anderes zu tun, als doofe Bürokratenberichte zu lesen. Zudem vermute ich, dass einige schlicht nicht glauben wollen, und sich deshalb an den zwei unbelegten Aussagen festkrallen...

Man wird abhängig, erpressbar, man beisst die hand nicht die einem füttert.

 

Schlimmer find ich aber wenn man vorsätzlich die Gerüchtesuppe kocht.

 

Solche Vorwürfe sollten schon verifiziert sein, bevor man sie in die Welt schmeisst...

Wieso wird hier eigentlich einem persönlichen Racheakt-Text ungeprüft soviel Raum geboten? Ist Indy neuerdings ne Boulevard-Plattform für anarchistische Biedermänner mit Geltungssucht?

Ist auf ch.indymedia.de gang und gäbe.

 

Dem sage ich noch moderat.