Handy-Jagd: Wie Syrien Journalisten per Telefon tötet

Erstveröffentlicht: 
02.03.2012

 Das syrische Regime soll westliche Journalisten angreifen. Sie werden mit Hilfe ihrer Handys gejagt. Die dafür notwendige technische Ausrüstung kostet kaum etwas.

Der Tod der erfahrenen US-Kriegsreporterin Marie Colvin in Syrien hat das Regime von Baschar al-Assad nach Einschätzung von Benedikt Driessen vermutlich weniger als 10.000 Euro gekostet.

 

Der Experte für Kryptographie und Datensicherheit an der Ruhr-Universität in Bochum hat die Sicherheit von Satellitentelefonen untersucht.

Mit der entsprechenden technischen Ausrüstung können auch deren Sicherheitseinrichtungen geknackt werden. Die Position der Telefone – und damit auch die ihrer Benutzer – lassen sich so orten. Journalisten in Krisenzonen riskieren nicht nur, dass ihre Gespräche abgehört werden, durch ihre Telefone werden sie auch zu Zielscheiben, warnen Sicherheitsexperten.

 

2011 starben 66 Journalisten

Mehrere Journalisten kamen in den vergangen Monaten bei Angriffen ums Leben, unter ihnen der Franzose Gilles Jacquier und der syrische Amateurjournalist Rami al-Sajjed, dessen Internetvideos aus Homs von internationalen Nachrichtensendern übernommen wurden. 2011 stargen nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ 66 Journalisten, die meisten von ihnen, während sie über den Arabischen Frühling berichteten.

 

Das syrische Regime hat alle offiziell nicht zugelassenen Reporter mit dem Tod bedroht. Marie Colvin und der ebenfalls in der vergangenen Woche in der Rebellenhochburg Homs getötete französische Fotograf Rémy Ochlik wurden im syrischen Staatsfernsehen der Spionage beschuldigt. Bei dem Granatenangriff wurden zwei weitere ausländische Journalisten verletzt. Westliche Regierungen beschuldigen Damaskus, gezielt das Haus, in dem die Journalisten arbeiteten, beschossen zu haben.

Ein deutscher Sicherheitsexperte, der anonym bleiben möchte, sagt, dass es für eine Regierung ein Leichtes sei, Handysignale zu orten. Vor allem dann, wenn die Regierung selbst der Mobilfunk-Provider sei. Bei einem Satellitentelefon dauere dies zwar etwas, aber mit einem Empfangsgerät in der Nähe oder einem unbemannten Flugkörper sei es relativ unkompliziert.

 

Operationen von Spezialisten á la „Kobra, übernehmen Sie“ sind nicht notwendig, um eine Person mit Hilfe ihres Telefons zu orten. „Die Technologie kommt aus Russland, sie ist billig und man findet sie vielerorts im Mittleren Osten“, meint Driessen.

In Kriegsgebieten sollten Journalisten ein Gerät mit integrierter Sicherheitssoftware verwenden, rät Driessen. Die Standardlogarithmen A5-GRM1 und A5-GMR2, die von Providern von Satellitentelefonen wie Thuraya, Iridium oder Inmarsat verwendet werden, weisen seinen Untersuchungen zufolge Sicherheitslücken auf.

 

Position ist genau bestimmbar

Doch auch ein verschlüsseltes Gerät ist nicht völlig sicher. Noch bevor ein Gespräch beginne, sendet der Apparat automatisch seine GPS-Position und seine Geräte-ID, genannt IMEI, im „cleartext“, also unverschlüsselt, erklärt Driessen. Providerfirma und registrierte Besitzer werden sofort erkannt.

„Ein kurzes Gespräch ist nicht gefährlich“, sagt Driessen. Doch in Homs benutzten die Reporter gemeinsam über Stunden hinweg ihre Telefone und einen Generator, um ihre Reportagen zu senden. Beim Einschalten sucht ein Mobiltelefon automatisch nach GSM-Zellen und den nächstgelegenen Sendestationen, erklären Experten. Die Stationen senden die Position des Geräts an den Provider. Mit sechs Türmen könne man die Position genau bestimmen.

 

In Homs wurden Häuser angegriffen, wo Handygespräche geführt wurden, sagt der syrische Oppositionsaktivist Abu Abdu Al-Homsi. Da das Regime die meisten Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen hatte, gab es nur noch wenige Ziele. Das Haus, in dem die Journalisten Schutz gesucht hatten, geriet durch die Telefonsignale ins Fadenkreuz der Armee. CNN-Mitarbeiter wollten Berichten zufolge eine Antenne auf dem Dach aufstellen, diese wurde sofort heruntergeschossen.

 

Ein spanischer Korrespondent berichtete auf Twitter, er habe Spionageflugzeuge gesehen. Außerdem berichten Journalisten in Syrien von abgehörten Telefongesprächen und angeblich von der Regierung mit Virenprogrammen infizierten Computern.

 

Für Kriegsberichterstatter gehört diese neue Art der Verwundbarkeit nun dazu. Experten empfehlen, keine Geräte zu verwenden, die automatisch GSM-Signale suchen und stattdessen hoch entwickelte Verschlüsselungssysteme zu benutzen. Außerdem sollten sie zwischen Antenne und Telefon mindestens hundert Meter Abstand halten. Eine andere Möglichkeit ist, über Wifi ins Internet zu gehen. Aber auch Wifi lasse sich orten, warnen sie.