[S] Ein Brandanschlag und seine Folgen

Erstveröffentlicht: 
16.01.2012

Rechtsextremismus. Heute beginnt der Prozess gegen zwei mutmaßliche Täter des Brandanschlags in Winterbach. Der Angriff auf fünf Ausländer hat vor allem eines gezeigt: die rechtsextreme Szene hat viele Facetten und Lager im Land. Von Kathrin Wesely

 

Auf versuchten Mord lautet die Anklage. Die beiden jungen Männer sollen maßgeblich beteiligt gewesen sein, als Rechtsradikale in der Nacht vom 9. auf den 10. April vergangenen Jahres eine Gartenhütte anzündeten, in die sich fünf junge Ausländer vor ihnen geflüchtet hatten. Es war ein lauer Abend gewesen, auf einem Wiesengrundstück bei Winterbach im Rems-Murr-Kreis feierten etwa 70 rechte Skinheads, auf dem Nachbargrundstück saßen neun junge Leute italienischer und türkischer Herkunft am Lagerfeuer. Die Rechten fingen Streit an und wurden handgreiflich. Die Gruppe floh - fünf von ihnen verschanzten sich in der Holzhütte. Der jüngere der beiden Angeklagten soll mit einem brennenden Ast die Hütte angezündet haben. Die Männer drinnen riefen die Polizei und trauten sich erst heraus, als die Angreifer fort waren. Die Hütte brannte vollständig nieder. 14 Verdächtige nahm die Polizei in dieser Nacht vorläufig fest, gegen etwa 40 Personen laufen Ermittlungen, die zwei Hauptverdächtigen stehen von heute an vor Gericht.

Die Polizei arbeitete mit Hochdruck an der Aufklärung, richtete die 16-köpfige Ermittlungsgruppe „Gartenhütte” ein und bemühte sich um so viel Transparenz, wie ermittlungstaktisch vertretbar war. Von Anfang stufte sie den Anschlag als Tat von Rechtsradikalen ein und nicht etwa als alkoholbedingten Ausraster junger Leute. Die Polizeidirektion Waiblingen agierte vorbildlich. Es ging auch darum, einen guten Ruf zu verteidigen, einen Ruf, den man sich in Jahren hart erarbeitet hatte: Zu Beginn des Jahrtausends hatte der Rems-Murr-Kreis im Ruch gestanden, eine braune Hochburg zu sein. Es begann im August 2000 mit einem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Waiblingen, dann folgten mehrere brutale Angriffe auf Ausländer, ein Brandanschlag auf einen Wohncontainer für Obdachlose und ein weiterer auf das Asylbewerberheim in Unterweissach.

Die Häufung der Gewalt und die Erkenntnis, dass es eine organisierte rechtsextreme Szene samt Treffpunkten mit überregionalem Zulauf gab, ließ die Alarmglocken schrillen. Das Landratsamt richtete die Fachstelle Rechtsextremismus ein, und die Polizeidirektion Waiblingen rief die Koordinierungsstelle Rechtsextremismus (Korex) ins Leben. Die Fachstelle kümmert sich um die Prävention, die Polizei bearbeitet Jugendliche, die in die rechtsextreme Szene abgedriftet sind. Die Statistik bestätigte die Arbeit, „seit 2006 geht die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten im Rems-Murr-Kreis zurück”, sagt Andreas Lindauer, der Leiter der Korex. Die Bestrebungen im Landkreis gelten mittlerweile als Vorbild - wie 2010 eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigte.

Dann kam Winterbach. Die Aufmerksamkeit war wieder auf den Kreis gerichtet, und sie brachte mehr zu Tage als einen Brandanschlag: Es wurde bekannt, dass es in Winterbach bereits im September 2010 ein Konzert mit einer rechten Skinhead-Band gegeben hatte, dass die NPD ihre Landesparteitage 2009 und 2010 sowie einen Bundeskongress ihrer Jugendorganisation in Korb abgehalten hatte, was das Landratsamt und der Bürgermeister den Bürgern verschwiegen. 2011 fanden in Korb und in Aspach weitere NPD-Treffen statt. Das Bild vom sauberen Landkreis hat dunkle Flecken.

Faktisch aber ist der Rems-Murr-Kreis keine Hochburg des Rechtsradikalismus, behaupten die Verfassungsschützer. Die rechtsextreme Skinhead-Szene ballt sich im gesamten Großraum Stuttgart, weitere Schwerpunkte im Land sind laut Verfassungsschutz die Region Mannheim-Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim, Villingen-Schwenningen, Friedrichshafen, Sigmaringen und Schwäbisch Hall. Auch die Gruppe, die den Brandanschlag in Winterbach verübt hat, werde der rechten Skinhead-Fraktion zugerechnet, sagt Korex-Leiter Lindauer.

Es existieren noch weitere rechte Lager im Land - etwa die Neonazis, die ideologisch beschlagener sind und sich einen totalitären Staat herbeisehnen. Und obschon die Zahl der Rechtsextremisten generell schrumpft - von 2009 auf 2010 um 200 Personen auf nunmehr 2200 - haben die Neonazis Zulauf. Gelegentlich sind die Grenzen zwischen rechten Skinheads und Neonazis auch fließend, wie bei der Kameradschaft Rastatt. Laut jüngstem Verfassungsschutzbericht ist dies „die aktivste neonazistische Kameradschaft in Baden-Württemberg”.

Eine wichtige Rolle spielt ferner das Aktionsbüro Rhein-Neckar. „Es koordiniert im gesamten Rhein-Neckar-Raum die Aktivitäten der dortigen rechtsextremistischen Neonazi- und Skinhead-Gruppierungen”, heißt es im Bericht. Zudem sei das Aktionsbüro personell mit der NPD verflochten. Knapp ein Drittel der Neonazis in Baden-Württemberg rechnen die Verfassungsschützer aber einer relativ jungen Gruppierung zu, den Autonomen Nationalisten. Von ihren rechten Gesinnungsgenossen unterscheiden sie sich hauptsächlich durch ihr Auftreten, denn sie imitieren ihre Gegner: Mit ihrem Wortschatz und ihrer schwarzen Kleidung sind sie den Linksextremisten zum Verwechseln ähnlich. Die Autonomen Nationalisten verfügen nicht wie andere Gruppierungen über eine Bundesorganisation. Sie sind versprengt, organisieren sich regional in kleinen Gruppen und haben Zulauf. Diese Leute sind extrem auf Krawall gebürstet.

Seit die Mordserie der Zwickauer Zelle aufgedeckt wurde, ist klar, dass Rechtsextremisten organisiert töten. In der Öffentlichkeit hatte bisher die Meinung vorgeherrscht, dass rechtsradikale Schläger oder Brandstifter Tote zwar billigend in Kauf nehmen, konkrete Tötungsabsichten wurden aber selten unterstellt. Die Zwickauer Zelle hat das geändert. Fälle wie der Anschlag von Winterbach rücken nun möglicherweise in ein anderes Licht.

 

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Ein Trauma bleibt lange Zeit gespeichert


Trauma. Die psychischen Folgen einer Gewalttat belasten das Leben der Opfer. In vielen Fällen hilft nur eine Therapie. Von Thomas Schwarz

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Liegestuhl im Garten, einem vertrauten, sicheren Ort. Und nun taucht urplötzlich ein wildfremder Mensch auf und greift Sie an. Ohne Grund, ohne irgendeinen Anlass. Vielleicht gelingt es Ihnen noch zu fliehen, vielleicht aber fällt der Angreifer über Sie her. „Solch ein Erlebnis zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Das Vertrauen, es könne uns nichts geschehen, wenn wir keinen Anlass dazu geben, scheint nicht gerechtfertigt gewesen zu sein”, sagt Gaby Breitenbach. Die Traumatherapeutin behandelt in der Villa Lindenfels in Untertürkheim Opfer von Gewalttaten. Die Zahl ihrer Patienten ist mittlerweile so groß, dass im Moment keine neuen aufgenommen werden können. Die Opfer leiden unter posttraumatischen Belastungsreaktionen nach einschneidenden Ereignissen wie Unfällen, Naturkatastrophen, Krieg oder Gewaltverbrechen.

„Diese Sache hat mein ganzes Leben umgedreht. Eigentlich wollte ich demnächst heiraten, aber gerade geht alles den Bach runter”, sagt einer der fünf jungen Männer, die vergangenen April in dem brennenden Gartenhaus in Winterbach ausharrten. Die Erinnerungen sind zu stark. Der 29-Jährige, der selbstständig einen Reifenhandel betreibt, kann sich nicht mehr allein in seiner Werkstatt aufhalten. Bei dem Anschlag hat er eine Rauchvergiftung, einen gebrochenen Arm und Prellungen erlitten. Seinen beiden jüngeren Brüder, die ebenfalls in der Hütte waren, geht es ähnlich schlecht. Beide trauen sich nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch aus dem Haus. Der jüngste, der einen Milzriss davongetragen hat, brach seine Lehre ab. Ihr Vater, der 1971 als Kind von der Türkei nach Deutschland kam, hat das Vertrauen in seine Umgebung verloren. Angst, Enttäuschung, Resignation: mit diesen Worten beschreibt die Familie ihre Gefühlslage seit dem Anschlag im vergangenen Frühjahr. Nicht einmal zu Hause fühlen sie sich mehr sicher.

„Das sind ganz typische Symptome”, sagt Gaby Breitenbach. Quälende Rückerinnerungen, ausgelöst durch alltägliche Eindrücke, belasten die Betroffenen. „Bei einer Traumatisierung stoppt die Informationsverarbeitung im Gehirn. Der Körper reagiert mit einer angeborenen Alarmreaktion, um sich zu schützen. Dadurch ermöglicht er das Überleben extremer Ereignisse.” Die Eindrücke werden dennoch abgespeichert und ähnliche Bilder, Geräusche, Gerüche oder Gefühle lösen schlagartig wieder die Alarmstimmung aus. Flashbacks nennen Traumatherapeuten solche Rückerinnerungen.

„Diese Reaktion ist bei jedem Menschen vorhanden, keiner kann bewusst entscheiden, ob ein Ereignis traumatisch gespeichert wird”, sagt Breitenbach. „Die Evolution hat das so in uns angelegt, um uns zu schützen. Hat in Urzeiten ein Mensch beispielsweise eine Feuersbrunst überlebt, warnte ihn danach der Geruch oder das Prasseln von Feuer, er könne nun wieder in diese Situation geraten.” Es gibt Betroffene, die gar nicht wissen, dass sie traumatisiert sind, denn die Symptome können erst sehr viel später auftreten. Erleben sie plötzlich die Flashbacks, glauben sie, sie würden verrückt. „Das ist nicht der Fall”, sagt Breitenbach nachdrücklich.

Im Gegensatz zu Alltagserfahrungen, bei denen „die Zeit alle Wunden heilt”, ändere sich dieser Zustand nicht von alleine. „Ein Trauma kann ohne spezielle therapeutische Hilfe über Jahrzehnte hinweg unverändert gespeichert bleiben.” Dringend rät sie ab, die Probleme im Gespräch mit Freunden und Verwandten lösen zu wollen. Allerdings: „Die Konfrontation mit dem Peiniger vor Gericht kann sogar zum Triumph für das Opfer werden.”