Berlin-Neukölln, Gratiseinkauf bei Biocompany

Bio Company trotz Hartz 4

Zu den beschaulichen Weihnachtstagen gab es heute eine feine Aktion in der seit einigen Monaten neu eröffneten Biocompany in der Sonnenallee (Berlin-Neukölln) zu Armut und Reichtum, die sich auch im Kühlschrank bemerkbar machen. Die Eröffnung des Bio-Supermarktes ist zudem ein Symbol der Gentrification, zeigt sie doch, dass mittlerweile immer mehr besserverdienende und besseressende Menschen in das Viertel ziehen.

 

Heute, am Samstag den 17.12.2011, also kurz vor Weihnachten, dem Fest der christlichen Liebe und des Konsums, hatte unsere Neuköllner WG etwas besonderes vor: wir wollten zur seit einigen Monaten neu eröffneten BioCompany in der Sonnenallee und dort umsonst einkaufen.

 

Warum das ganze? Weil wir zwei Gutscheine bei uns im Briefkasten gefunden hatten, in denen uns der Filialleiter, Herr Trafara, zusagte, Waren im Wert von 5 Euro mitnehmen zu können, wenn wir zwischen 13 und 15 Uhr dort sein würden. Soziales Engagement ist ja schwer im Trend, also dachten wir uns nichts weiter dabei und zwei von uns gingen los. Den ersten 20 Kunden wurden gar Waren im Wert von 20 Euro versprochen, den ersten 100 das Buch „100 Prozent Bio trotz Hartz4“. Da auch bei uns die Essenskasse meist knapp ist, dachten wir, diese feine Geste käme gerade richtig, Containern könnte Dank dieses Kochbuchs bald überflüssig sein. Entsprechend pünktlich fanden wir uns in der Filiale ein und waren nicht die einzigen, verschiedenste Anwohner_innen waren gekommen: das Geschäft war ungewöhnlich voll und kurz vor 13 Uhr entstand eine längere Schlange an den Kassen.

 

Leider stellte sich heraus, dass die Biocompany nicht bereit war, die Gutscheine einzulösen. Es waren offenbar über 2000 bei Anwohner_innen in Briefkästen gesteckt worden. Es entstanden aufgeregte Diskussionen, die Kassierer_innen erklärten, die Gutscheine seien ungültig. Eine Mutter mit Kind ließ genervt ihr Essen an der Kasse zurück, eine Kassiererin lief jemandem hinterher, der angeblich ohne zu zahlen hinausgegangen war, sie war aber offenbar nicht schnell genug, sondern kam mit leeren Händen zurück. Einzelne Leute taten dasselbe, gaben an, nur wegen des Gutscheins hier zu sein und es nicht einzusehen, jetzt nichts zu bekommen. Die meisten ließen nach längeren Diskussionen ihre Waren an der Kasse liegen. Die Angestellten und der Filialleiter hatten sich mittlerweile versammelt und beschwichtigten die Leute. Man ginge von einer Aktion aus.

 

Beim zweiten Blick auf den Flyer, erscheint uns dies plausibel, heißt es doch dort im letzten Satz, die Biocompany freue sich „weiterhin auf ein freundliches Nebeneinander hier im Kiez.“ Denn dieses ist tatsächlich der Fall. Die Ansiedelung der Biocompany zeigt einen Trend an, der längst bekannt ist. Im Rahmen der Gentrifizierung von oft ärmeren Kiezen wie in Kreuzberg oder Neukölln entstehen Parallelwelten besserverdienender Bio-Familien und denen, die im Discounter-Supermarkt immer nur die Tomaten für 0,79 Euro/Kilo kaufen (können). Bei der Biocompany geht der Tomatenpreis bei 3,00 Euro/Kilo los.

 

So können wir sehr gut verstehen, dass eine solche Aktion gemacht wurde und finden es fast schade, dass wir nicht auch etwas spontaner gesagt haben: dann nehmen wir uns eben unser Essen und gehen damit raus ohne zu zahlen. Sicher sind wir nicht gegen Bioessen oder für Aldi-Lidl-Netto-Konzerne. Dennoch ist es unserer Ansicht nach wichtig, klar zu machen, dass auch in Deutschland Armut und Reichtum ihren Ausdruck in den Kühlschränken der Leute wiederfinden. Die Aktion empfanden wir als inspirierende, aber sicher ausbaufähige Kommunikationsguerilla. Am verstörtesten wirkten im übrigen diejenigen, die durch die Aktion in ihrer schönen Parallelwelt des gesunden Genusses gestört wurden, die mit einem 100 Euro vollen Einkaufswagen in der Schlange standen und eigentlich garnichts wissen wollten davon, dass sie in einem Viertel wohnen, in dem ca. 20% der Haushalte überschuldet sind. Denn solches kam in entstanden Diskussionen zur Sprache.

 

Die Angestellten und der Filialleiter gaben sich da gelassener und schlugen einzelnen Leuten vor, sich bis Montag eine Entschädigung zu überlegen, wenn sie jetzt ihre Daten abgeben würden. Ob darauf Leute eingegangen sind, wissen wir nicht, wir verließen das Geschäft schon um 13:15, vielleicht waren ja noch andere Leute später dort und haben Ergänzungen.

 

Alles in allem eine nette Aktion, gerne wieder. Anbei ein Foto des Gutscheins.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

„Bio“ für alle und zwar umsonst!

Für eine gerechte Verteilung aller Lebensmittel!

dumm das der proletarische einkauf dort kaum mehr möglich ist.

einige idioten haben das diy prinzip im Jahr 2010 in prenzlauer berg verraten.

sie wollten sich unbedingt als gut menschen brüsten sie .

5 tofu enteignet.

nie dagewesen

was für idioten

Echt schöne Aktion und weiter so!

Eine/n kritik/Diskussionspunkt möchte ich doch los werden:

Nahrungsmittel haben ihren Preis und sind oft zu billig, sodass ich als Bio-Landwirt mit meinem Gemüse oft gerade so von existieren kann und dafür echt schuften muss... Am liebsten würde ich es auch verschenken, wenn davon meine Familie, Hof, Maschinen, Helfer über die Runden kämmen...

Grund dafür sind nicht nur die Supermarktketten mit ihren Dumping-Löhnen, sondern es ist auch der verbraucher gefragt, der ein zu großes Kohlrabi, eine aufgeplatzte Möhre oder einen Apfel mit einer Macke im Regal liegen lässt, bzw. oftmals nur das billigste vom billigen(Aldi-Fleisch...) kauft...  

Daher sollten doch eher konventionelle Märkte Zielpunkt von Kritik werden und Brot, Obst und Gemüse und wer nicht darauf verzichten kann, auch Fleisch einen reellen Preis erhalten; Dann würde vielleicht auch nicht mehr bis zu 50% der Lebensmittel in Deutschland in die Tonne geworfen.

Um Anregung und Kritik bitte ich!

Dass Nahrungsmittel ihren Preis haben (sollten) ist klar, dass diese viel zu günstig verkauft werden ist genauso klar, dass durch diesen Preis der Wert der Nahrungsmittel evtl. nicht anerkannt wird und die Arbeiter_innen einen viel zu geringen Lohn bekommen ist die Folge daraus. ABER!: das kapitalistische Ausbeutungssystem gibt vielen Menschen einfach nicht genügend Geld um sich eben Bio-/FairTrade-Produkte zu kaufen, die Menschen können es nicht, selbst wenn sie (und ich glaube es sind einige) es wollen würden. Genau hier zeigt sich ein Kreislauf, der Teufelskreis, der dahin führt, dass die Menschen gezwungen werden das System weiter zu unterstützen, wieder in Supermarktketten mit Dumping-Löhnen einzukaufen, wieder die moderne Sklaverei unterstützen, wieder gegen ihren eigentlichen Willen zu handeln.

Einfach auf den_die Verbraucher_in zu zeigen und diese_n für die scheiß Arbeitsbedingung der Landwirt_innen, wenn auch indirekt, verantwortlich zu machen stimmt also, meiner Meinung nach, nicht.

Die Preise in den "konventionellen Märkten" (ich versteh das als ALDILIDLNETTO und wie sie alle heißen) zu erhöhen, die Löhne der Lohnabhängigen aber beizubehalten, würde zu einer Existenzgefährung vieler vieler Menschen führen.

Dass unsere wegschmeiß-Kultur ekelhaft ist steht außer Frage, zu diesem Punkt sollten fortschrittliche Bewegungen evtl. (mehr) arbeiten, die Ergebnisse würden wahrscheinlich zu einem größeren Verständnis gegenüber anderen Gesellschaftsformen beitragen, da die Ergebnisse zeigen würde, dass die benötigten Ressourcen längst vorhanden sind.

...interessant, dass du nicht auf die Idee kommst, dass sich (direkt und indirekt) Lohnabhängige (ArbeiterInnen mit und ohne Arbeit) zusammschließen und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen können. Stattdessen zu sagen: "Einfach auf den_die Verbraucher_in zu zeigen und diese_n für die scheiß Arbeitsbedingung der Landwirt_innen, wenn auch indirekt, verantwortlich zu machen stimmt also, meiner Meinung nach, nicht." ist pure bürgerliche Ideoligie. Damit wird die eigene Verantwortung  (sich zu wehren) zugunsten eines "Naturgesetz Kapitalimus", gegen den wir ja (weil Naturgesetz) nichts machen können, aufgegeben. Dann kann man(n) auch mit beruhigtem Gewissen weiter in der subkulturellen Nische den Kapitalismus wegdiskutieren.

 

BTW: nette Aktion!

Ich dachte mit meinem letzten Satz ("zu diesem Punkt sollten fortschrittliche Bewegungen [Anm.: Stichpunkt "sich wehren"!] evtl. (mehr) arbeiten, die Ergebnisse würden wahrscheinlich zu einem größeren Verständnis gegenüber anderen Gesellschaftsformen beitragen") wäre klar geworden, dass ich FÜR den Kampf GEGEN den Kapitalismus bin, schade.

Ich gebe dir recht, in einer Gesellschaft, in der jede_r die Möglichkeit hat sich Bio-/Fairtrade-Produkte anzuschaffen, wäre es bürgerlich diesen Satz zu sagen/schreiben. Da diese Gesellschaft zum einen nicht existiert, zum anderen kapitalistisch wäre, da sie einen Unterschied zwischen Arbeitsbedingungen macht und somit der eine Arbeiter schlechtere Arbeitsbedingungen hätte als die andere Arbeiterin (die z. B. unter dem Lable FairTrade produziert) sehe ich kein Problem darin so ein Statement abzulassen.

Klar wäre es eine super Sache wenn wir alle auf solche Produkte umsteigen könnten, allerdings sehe ich in der jetzigen Situation keine Möglichkeit dazu, und auf nichts anderes war mein Kommentar bezogen. Da "TanteEmma" nicht davon gesprochen hat wie wir eine andere Gesellschaftsform hinbekommen, sondern innerhalb der jetzigen möglichst gute Verhältnisse bekommen (habe ich zumindest so verstanden, korrigiert mich wenn nötig) habe ich eben auf diese Art und Weise geantwortet.

Habe ich in meinem ersten Kommentar vergessen: Super Aktion! :)

was sollte diese aktion?? ihr wolltet aufmerksamkeit dann aber nicht auf dem rücken anderer die nichts dafür können..das drucken der fake gutscheine hat doch bestimmt geld gekostet dieses hättet ihr lieber spenden sollen als es sinnlos in papier zu investieren!!! zeichen setzen geht auch professioneller" fremdschämen"

Oh man, du hast echt nichts kapiert.  Es ging bei dieser Aktion nicht darum, dass einige Menschen (ungerechtfertigt) Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollten, wie du es ihnen hier zwischen den Zeilen unterstellst.  Es ging darum, Aufmerksamkeit auf ihre Kritik zu lenken.  Die richtet sich natürlich auch gegen jemanden, wird aber nicht auf den Rücken von Menschen ausgetragen, die nichts dafür können.  Für die Verhältnisse, unter denen wir leben, und in denen sich nicht jeder Hartz 4 Empfänger Bioessen leisten kann, egal, wie gerne sie das auch wollte, sind wir alle verantwortlich, denn wir reproduzieren sie jeden Tag, außer in den seltenen und unendlich kostbaren Momenten, wenn wir es schaffen, uns mit anderen zu organisieren und auf die eine oder andere Art dagegen aufzubegehren.  Wie bei dieser absolut gelungenen Aktion.  Vielleicht solltest du mal aufhören, deine Trägheit auf dem Rücken anderer, die nichts dafür können, dass du deinen Arsch nicht hochkriegst, um die Verhältnisse zu bekämpfen, auszutragen. 

Das Geld für das drucken von Gutscheinen ist in einer Aktion, in der sich Menschen gemeinsam zu einem Akt des kollektiven Widerstandes gegen dass, was sie stört, zusammenfinden, hundert mal besser angelegt als in paternalistischen Almosen für die Armen.  Und dir fehlt die Professionalität in der Aktion?  Hast du dir die Gutscheine mal angeschaut?  Die sahen täuschend echt aus, war fast etwas zu professionell für meinen Geschmack. Und ganz nebenbei halte ich Professionaltät wirklich nicht für das entscheidende Kriterium, um Widerstand zu bewerten.  *fremdschäm für deinen Kommentar*

kleines video zum thema

 

http://vimeo.com/33877198