V-Mann in Münchens linker Szene - In geheimer Mission

Erstveröffentlicht: 
25.10.2011

Ein Aktivist in der linken Szene hat offenbar über Jahre Berichte an den Verfassungsschutz geliefert - nach seinem Tod tauchten die Tonbänder im Nachlass auf .In seinen Berichten tauchen auch Personen auf, die nicht in Verdacht stehen, Verfassungsfeinde zu sein.

 

Franz W. ist im vergangenen Frühjahr gestorben. 64 Jahre alt ist er geworden, jahrzehntelang war er aktiv in Münchens linker Szene, und so haben ihn auf seinem letzten Weg traurige Mitstreiter begleitet. Sie hatten einen verloren, der half, wo er konnte, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Einen, der Jobs erledigte, die keiner wollte, zum Beispiel, sich um die Kassen diverser Gruppen zu kümmern.

Franz W. war weniger graue Eminenz als graue Maus. Inzwischen aber herrscht Entsetzen in Münchens linker Szene: Man ist sich sicher, dass Franz W. (Name geändert) über viele Jahre als V-Mann des Verfassungsschutzes spioniert hat. Der Süddeutschen Zeitung liegen Tonbänder aus den vergangenen Jahren vor, die von W. besprochen wurden und diesen Schluss nahelegen.

 

Dass einige linke Gruppen vom Geheimdienst beobachtet werden, ist bekannt, man kann das Erkenntnisdestillat jedes Jahr im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz nachlesen. So verwundert auch nicht, dass zu den Lieblingsobjekten des mutmaßlichen Spitzels das "Bündnis gegen Krieg und Rassismus" gehörte. In seinen Berichten tauchen, neben Persönlichem über die Freunde und öffentlich Bekannten, aber auch Personen auf, die nicht in Verdacht stehen, Verfassungsfeinde zu sein. Etwa die heutige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, die Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag, Margarete Bause, oder der frühere Münchner SPD-Bürgermeister Klaus Hahnzog.

Es war im Mai 2008, bei einem Treffen des "Bündnisses gegen Krieg und Rassismus" im Gewerkschaftshaus, als sich die Mitglieder mit dem damals heftig umkämpften Versammlungsgesetz beschäftigten. Im Biergarten der DGB-Kantine fielen die Namen der prominenten Politiker. Der Grund: Leutheusser-Schnarrenberger und Co. waren als Redner auf einer Kundgebung vorgesehen. Der Protest gegen das Gesetz reichte damals bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein, später wurde es vom Bundesverfassungsgericht gekippt.

 

Auf Interesse stieß bei W. auch eine Friedenskonferenz, die 2004 in der Schwabinger Kreuzkirche stattfand, im Rahmen der Proteste gegen die alljährliche Sicherheitskonferenz. Der mutmaßliche V-Mann reportierte in einem Absatz die Ausführungen von Hans-Peter Dürr. Dürr ist als Friedenskämpfer und Wissenschaftler eine anerkannte Persönlichkeit: Der Ehrenbürger Münchens wurde mit dem Alternativen Nobelpreis und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Die Berichte über die linke Szene in München fanden sich im Nachlass von Franz W. in Form von Diktaten, die auf Tonband aufgenommen worden waren. Dass es sich dabei um die Mitteilungen eines V-Mannes an seine Auftraggeber handelt, liegt für die Anwältin Angelika Lex auf der Hand. Er verwende typische Formulierungen aus dem Geheimdienstjargon, spricht von sich selbst als "die Quelle". Ihm unbekannte Personen beschreibt er etwa so: "mittlere Größe, keine Brille, schlank, hellbraune, mittelkurze Haare".

 

Der Fraktionschef der Grünen im Stadtrat, Siegfried Benker, fungiert in der Causa als eine Art Sprecher der linken Szene. "Was hat W. alles mitbekommen?", fragt sich Benker. Misstrauen habe sich in die Szene geschlichen. Benker, in einem der Berichte selbst namentlich genannt, sieht neben der persönlichen auch eine politische Dimension hinter den Tonbändern. Er unterstelle nicht, dass Geheimdienste nun eine Bundesministerin beobachten. Aber der Verfassungsschutz versuche offenbar, das gesamte linke Lager auszuspionieren. "Bespitzelt werden die üblichen Verdächtigen, und die unüblichen." Also auch Personen aus dem bürgerlichen Spektrum, die zufällig anwesend seien oder Bündnisse mit Linken eingingen. Benker vermutet dahinter einen übermäßigen Kontrollwunsch des Innenministeriums. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes blieben bestimmt "nicht im luftleeren Raum", sondern würden auch für politische und juristische Auseinandersetzungen genutzt.

 

So sieht das auch Angelika Lex, Benkers Ehefrau, die als Anwältin schon mehrfach vor Gericht gegen den bayerischen Sicherheitsapparat gewonnen hat. Für "absolut rechtswidrig" hält sie diese Berichte des mutmaßlichen V-Mannes. Sie sei sich sicher, dass dem Verfassungsschutz die Rechtsgrundlage fehle, um so viele Informationen über unbescholtene Personen zu sammeln. Dass das Gelieferte sofort im Schredder lande, könne sie sich nicht vorstellen. "Die Erkenntnisse werden bestimmt in irgendeiner Form verwertet."

 

Im Landesamt für Verfassungsschutz und im bayerischen Innenministerium will man sich weder zur Person Franz W. äußern noch zu den Vorwürfen.

 

Jenseits der juristischen und politischen Bewertung stellt sich eine andere Frage: Gehen die Berichte auf konkrete Aufträge des Geheimdienstes zurück, oder entspringen sie dem Eifer eines "freien Mitarbeiters"? Wie wertvoll war dieser Franz W. für den Schutz der Verfassung? Akribisch diktierte er seine Mitteilungen auf Band, achtete auf Absätze und darauf, dass eine mal geöffnete Klammer auch wieder geschlossen wird. Mal liefert er die Zahl der erwarteten Besucher einer Geburtstagsfeier, mal die Info, dass ein namentlich genannter Aktivist permanent in Geldnot sei. Oder dass die Flugblätter des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen das Versammlungsgesetz "auf starkes, nahezu kartonähnliches Hochglanzpapier gedruckt" seien. Wie relevant ist das für den Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung? Und wenn ein V-Mann liefert, was ohnehin öffentlich ist - will er sich damit nur wichtigmachen?

 

Bisweilen wirkt das von Franz W. Diktierte auch unfreiwillig komisch. Wenn er einen Aktivisten mit dem Satz zitiert: "Hoffentlich werden unsere Handys nicht abgehört." Oder wenn er, auf der Suche nach verfassungsfeindlichen Umtrieben, nebenbei die Namen von Kundgebungs-Rednern liefert, darunter Klaus Hahnzog und Angelika Lex. Beide sind Anwälte - beide sind aber auch Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

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Hier ein weiterer Fall aus München: Ein Nazi-Aussteiger, der in einem staatlichen "Aussteigerprogramm" steckt und damit im regen Austausch mit staatlichen Stellen steht, kam 2014 in die linke Szene. 2015 wurde er enttarnt, woraufhin der Spitzel sein Zimmer auflöste. Mehr dazu:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/167601