Interview zu Einheitsfeier und Krise

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Vom 1. bis 3. Oktober zelebriert die BRD in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn die Feier der deutschen Nation. Unter dem Motto „Freiheit.Einheit.Freude – Bewegt mehr.“ feiert sich der stolze Krisengewinner und die „Vorzeigenation“ Europas ein ganzes Wochenende auf sämtlichen Fest- und Parademeilen selbst. Das Medienkollektiv Köln (KMK) führte ein Interview mit Antifa AK Köln zu den geplanten Protesten gegen die Einheitsfeierlichkeiten.

 

KMK: Hi, ihr ruft wie die Letzen Jahre dazu auf, gegen die Einheitsfeierlichkeiten der BRD zu demonstrieren. Was passt euch eigentlich nicht daran, wenn die BRD sich feiert?

AK: Es geht uns grundsätzlich um die Kritik der Nation, ob nun Deutschland Fahnen bei der Fußball-weltmeisterschaft geschwenkt werden, in den Musen die „Kulturnation“-Deutschland beschworen oder das jährliche Staatsritual zur Einverleibung der DDR in die BRD begangen wird, es sind immer Appelle an die Nation und damit die Bestätigung deren Prinzipien: Privateigentum und Konkurrenz, Leistungs-druck und Ausschluss, Zwang zum Selbstzwang, Schicksalsgemeinschaft in der Weltmarktkonkurrenz.

KMK: Das Motto der Einheitsparty „Freiheit.Einheit.Freude – Bewegt mehr.“ müsste doch für Viele, die keine Chance auf eine Ausbildung haben oder in miesen Jobs vor sich hin schuften, wohl wie reiner Hohn wirken.

AK: Klar, die Einheitsfeier ändert nichts an der alltäglichen Ohnmacht in den Mühlen von Staat und Kapital und doch bleibt die Einheitsparty ein ideologischer Fluchtreflex vor dem Druck kapitalistischer Konkurrenz und Vereinzelung, aber zugleich ihr bestes Schmiermittel. Die Identifikation mit der Nation, mit den Symbolen und Zielen des Staates reagiert auf die unausweichlichen Bedrohungslagen des Kapitalismus. Sie ist so unberechenbar wie die kapitalistische Konjunktur, aber parteilich fürs ‘eigene’ Kollektiv. Dabei mutieren gerade diejenigen zu Staatsfans, die am wenigsten von seiner Ord-nung profitieren und die auf seine Almosen angewiesen sind, auf BAföG, Hartz IV oder eine Scheiß-rente. Doch auch allen anderen wird die Identifikation mit der Nation zur automatischen Gefühlslage.

The only PIIGS the System-Plakat KMK: Die letzten Jahre ist der Tonfall deutlich rauer geworden. Von „spätrömischer Dekadenz“ wird fabuliert und eine Integrationsdebatte jagt die Nächste. Derweil liest Frau Merkel den „faulen Südländern“ die Leviten und deutsche Lösungen für Europa werden diskutiert. Kommt alles gar nicht so entspannt und freudig rüber.

Ak: Ja der Ton wird rauer, die Politik verrückter und die Aussichten immer brutaler. Alle sollen sich die Frage gefallen lassen: „Was tragen Sie zum Erfolg des Standorts bei?“ Mit der anhaltenden Krise wird deutlich: Auch in den kapitalistischen Zentren ist der Wohlstand nicht sicher, sondern muss gegen andere Nationalökonomien verteidigt werden. Auch die bürgerlichen Staaten bringen ihr „Humankapi-tal“ gnadenlos auf Trab. Sie biegen jede_n zurecht, um in ihrem Herrschaftsbereich optimale Verwer-tungsbedingungen zu schaffen. Mit staatlicher Gängelung und sozialer Diskriminierung werden alle gezwungen, den ständig wechselnden Trends auf dem Arbeitsmarkt hinterherzulaufen. Jedoch bei allen Konjunkturen des Nationalismus ob kulturalistischer Ausschließungsdiskurs oder „freundliches “ Integrationsangebot“ die Identifikation mit der Nation braucht kein Säbelrasseln, kein Strammstehen und auch keinen Brandstifterrassismus. Es genügt, wenn sich alle Aufenthaltsberechtigten fürs Ge-meinwohl ins Zeug legen.

KMK: Unter dem Motto: “The Only PIGG`s the system!“ thematisiert ihr in eurem Aufruf den Sozialchauvinismus als ideologische Verarbeitung der Staatsschuldenkrise in Europa.

AK: Die „Rettung des Euros“ wird als Schicksalsfrage verkauft, zu der es keine Alternative gäbe. Hier wird erstmal der schmale Horizont der herrschenden Politik deutlich. Denn alternativlos – und damit zu rechtfertigen – sind Sozialabbau, Flüchtlingsabwehr und das Sortieren von Menschen nach Nutzen nur unter der Bedingung zwanghafter Kapitalverwertung und Profitvermehrung. Deren alltägliche Katastrophen wiederum lassen die behauptete Alternativlosigkeit überhaupt erst plausibel erscheinen und dienen als Rechtfertigungen für die Brutalisierung staatlichen Handels. Dass sich der Sozialchauvinismus vor diesem Hintergrund breit macht, verwundert nicht sehr. Die Staatspleiten der sogenannten „Schweineländer“ der europäischen Peripherie (PIIGS-States) verschaffen den Deutschen einen ideellen Krisengewinn. Sie scheinen zu belegen, dass die Verzichtspraxis der letzten Jahrzehnte sich bewährt und auszahlt. Die eigene Opferbereitschaft für den Standort schlägt gegenüber den PIIGS in Bestrafungsphantasien um. Sozialchauvinistische Hetze steht auf der Tagesordnung: den „Pleitegriechen“ und „faulen Südländern“ werden soziale Einschnitte an den Hals gewünscht.

KMK: Ihr seht aber nicht nur den momentanen Kurs der Krisenbewältigung in Europa kritisch, sondern stellt der Europäischen Union den Kommunismus entgegen. Geht es nicht gerade darum das europäische Projekt gegen nationalistische Stimmungsmache von rechts zu verteidigen?

AK: Genau diese Auffassung bringt uns zum Kotzen. Wir sehen wie die Linke sich von dem nationalchauvinistischen Geschwätz der Grünen und anderer vollkommen verdummen lässt. Diese Europäische Union ist auf Wettbewerb, auf die Installation des Euros als Weltgeld festgelegt und dieses Programm bedeutet nichts anders als Lohnkürzung, soziale Einschnitte sowie Militarisierung und Abschottungspolitik nach außen. Um überhaupt Solidarität mit den Kämpfenden in Griechenland, Spanien, etc. entwickeln zu können, muss der Kompass stimmen und der zeigt nur in eine Richtung: Kommunismus!

KMK: Ihr wollt daher dem Sozialchauvinismus und Rassismus einen internationalen Antinationalismus entgegen setzen, wie sollen wir das verstehen?

AK: Unter internationalem Antinationalismus verstehen wir die Perspektive, die ideologischen Krisenbewältigung an zu gehen und gegen die weitere Durchsetzung von Krisennationalismus, Leistungsterror und Standortpolitik den revolutionären Defätismus – die Einsicht, dass ein gutes Leben nur in der Niederlage der eignen Nation zu finden ist – zu stärken. Wer es ernst meint mit der Solidarität mit den Protesten in Griechenland Spanien, der muss auch mit den Erfolgskriterien der BRD brechen wollen, und für die Niederlage der BRD auf dem Weltmarkt eintreten.

KMK: Und die Partymeilen von „schwarz-rot-geil“ sind der richtige Ort für den von euch geforderten Vaterlandsverrat?

AK: Die momentane Staatsschuldenkrise in Europa verhagelt offensichtlich nicht die deutsche Feierstimmung. Im Gegenteil, sie erinnert alle daran, dass in der kapitalistischen Weltordnung nur Vater Staat ein kleines bisschen Sicherheit geben kann. Und diese vermeintliche Sicherheit, die bei der Party im Angebot steht, wird auch konsequent als nicht kostenlos vorgestellt. Durch Freude und Freiheit soll ja „mehr bewegt“ werden. Es braucht nicht mal ausgesprochen werden, was eigentlich bewegt werden soll, auch so wissen alle, dass es darum geht die deutsche Nation vorzubringen. Schließlich soll Deutschland als Winner aus der Krise kommen.

KMK: Ihr bereitet die Proteste auch neben euren Aufruf mit weiteren inhaltlichen Inputs vor. Was steht denn konkret noch an?

Antinationales Seminar AK: Vom 23.-24. September wird es in Köln ein antinationales Seminar geben, wo wir, den Zusammenhang zwischen ideologischer Krisenverarbeitung, der Kritik der Nation, den sozialen Protesten und der europäischen Schuldenkrise behandeln. Die verschiedenen Aspekte werden von: Detlef Hartmann, Terminal 119 aus Griechenland, TOP B3RLIN und Tiqqun aus Frankreich behandelt. Mit der Reorganisierung des kapitalistischen Kommandos über die Gesellschaften werden aktuell die „Lebensbedingungen“ den heutigen kapitalistischen Verhältnissen „angepasst“; das verdeutlicht, dass das schöne Leben nur jenseits der herrschenden Gesellschaftsordnung zu haben ist. Zugleich verklärt der mediale Diskurs die Krise zugleich als naturwüchsig und schicksalhaft. Neben dieser neuen ideologischen Mobilmachung begegnen zugleich diverse soziale Kämpfe den Schock-Therapien, Entwertungspolitiken, Zerstörung von Sozialgarantien und Aufstandsbekämpfung-Politiken. Aber neben der Frage, wie man angemessen die aktuelle Situation kritisieren kann, geht es natürlich zentral um die Frage nach dem „kommenden Aufstand“. Zudem gibt es zum ganzen Themenkomplex noch weitere Veranstaltungen in Berlin, Bielefeld, Göttingen, Frankfurt am Main, München und Thessaloniki (Griechenland).

KMK: Was plant ihr für das „Einheits-Wochenende“selbst?

AK: Das Bündnis "Gegen Einheitsfeier in Bonn 2011“ (www.friede-freude-eierkuchen.net) organisiert für das Wochenende eine ganze Reihe von Veranstaltungen, kulturellen Angeboten und am 3. Oktober selber eine große Demonstration gegen die Einheitsfeierlichkeiten. Das komplette Programm findet ihr bald online. Unter dem Motto "The only PIIG'S the System. Organisiert den Vaterlandsverrat!" organisieren wir zusammen mit Ums Ganze Gruppen (link) und weiteren eine antinationale Demonstration am frühen Abend in der Bonner Innenstadt. Mehr Infos zur Demo findet ihr unter: http://www.no-racism.de/2okt/ demnächst.

KMK: Ok dann warten wir gespannt und freuen uns auf ein actionreiches Wochenende. Vielen Dank für das Interview.