Das Desaster von Dresden

Erstveröffentlicht: 
16.02.2009

Das Fatale an der Schlacht von Dresden war, daß es zu keinerlei Schlacht kam. Der gesammelte Nazipöbel von NPD bis Kameradschafts-SA, marschierte einmal mehr völlig ungehindert durch die Straßen. Die Innenstadt wurde den Nazis stundenlang überlassen. »Dresden macht vor, wie man gegen Neonazis kämpfen kann«, nennt das Wolfgang Tiefensee.
Nun müssen wir die Größenverhältnisse in die Perspektive setzen. 6000 Faschisten sind eine Menge. Aber als die NPD am 1. März 1997 gegen die Wehrmachtsausstellung nach München mobilisierte, da waren es knapp 5000. Diese numerische Steigerung in zwölf Jahren fällt kaum ins Gewicht.

Der Unterschied zwischen dem Sieg von München 1997 und dem Desaster von Dresden 2009 liegt nicht in den Zahlen. Er liegt auf der Ebene der Organisation, des Willens, der Kampfmoral und der Kampfkraft.

Das Alarmierende sind nicht 1000 Nazis mehr oder weniger. Das Problem ist die Zusammensetzung der Nazidemonstration. 1997 in München gab es auch schon einen massiven Anteil von Stiefelfaschisten. Aber insgesamt war die Nazidemo deutlich älter – viele inzwischen verstorbene Altnazis latschten damals noch mit – und weitaus weniger schlagkräftig.

Was dagegen 2009 in Dresden auf der Straße war, das war eine durchorganisierte, faschistische Bürgerkriegsarmee. Bedrohlich sind weniger die 6000 Neonazis an sich, als die militärische Schlagkraft dieser 6000 Neonazis: ihre Kompaktheit, ihre Organisation, ihre intakten Befehlsketten, ihre Sicherheit im Manövrieren.

Das muß um jeden Preis zerschlagen werden! Aber wie? 1997 in München endete die NPD-Demo mit einer krachenden Niederlage. Auch damals spielte die Polizei den Faschos in die Hände. Auch damals gewährte die Justiz den Faschos die Münchner Innenstadt als Marschroute. Edmund Stoiber gab an, den Marienplatz nötigenfalls freiknüppeln zu lassen. Dort aber kam die Nazidemo bis heute nicht an. In Dresden 2009 kamen sie durch, und zwar problemlos! Sie kamen nicht durch, 1997 in München.

Warum? In Dresden gab es zwei Bündnisse. Dem einen fehlte die Masse, dem anderen die Entschlossenheit. 1997 in München gab es ein gemeinsames Bündnis, eine breite antifaschistische Einheitsfront von autonomer Antifa bis DGB. Die militanten Aktivisten in diesem Bündnis waren gute Einheitsfrontkader. Sie waren in der Lage, auch Gewerkschafter und bürgerliche Antifaschisten für den Slogan »Marien­platz – nazifrei!« zu gewinnen, und schließlich in der Großdemonstration praktisch durchzusetzen, daß man den Marienplatz unter allen Umständen verteidigen mußte.

Nach dem Ende der Bündnis-Demo strömten dann Abertausende weiter Richtung Marienplatz. Verstärkt durch die spontane Beteiligung von Passanten in der Innenstadt waren es bald an die 20000. Diese bauten über eine, über zwei Stunden Druck auf gegen die Polizeiabsperrungen ... bis der erste über die Spanischen Reiter sprang, und dann war kein Halten mehr. Der Marienplatz wurde gestürmt und besetzt, schon zogen die Massen ins Tal, der Nazi-Demonstration entgegen. Zweimal, dreimal wurde versucht, durch die Polizeiketten zu brechen, Unruhe bei den Nazis, Anzeichen von Panik. Nur knapp hielten die Ketten der Polizei. Am Ende wurden die Nazis zur Umkehr gezwungen. Es war eine krachende Niederlage für die Faschisten.

Seither haben die Nazis in München nichts Nennenswertes mehr hingekriegt, keine bundesweite Mobilisierung dorthin gewagt. Nach Dresden wird man als Faschist auch 2010 wieder gerne fahren.

Gibt es Lichtblicke? Ja, gibt es. 4000 auf der Demonstration von »No pasarán« – das ist ein satter Mobilisierungserfolg der Antifa. Die antifaschistischen Gegenaktivitäten fielen dieses Jahr insgesamt stärker aus als sonst – zahlenmäßig. Aber dieser Mangel an Entschlossenheit! Diese Bereitschaft, sich mit dem Setzen von »Zeichen«, mit purer Symbolik zufriedenzugeben, während man den Faschisten kampflos die Innenstadt läßt. Dresden zeigte 2009, wie man gegen Nazis nicht kämpft.