Spitzel: Jagdszenen mit Danielle

Erstveröffentlicht: 
03.02.2011

Verdeckte Ermittler werden eingesetzt, um Terror und Kriminalität zu bekämpfen. Das ist die offizielle Version. Tatsächlich spionieren sie oft linke und alternative Szenen aus. Das zeigen etliche Enttarnungen in der jüngeren Vergangenheit.

 

Vor dem Kreisgericht in Wiener Neustadt geht an diesem Freitag ein Prozess in den 68. Verhandlungstag, der in Österreich als Skandal gilt, schon weil er überhaupt begonnen hat. Auf der Anklagebank sitzen 13 Tierschützer, die sich des Vorwurfs erwehren müssen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. In den Zeugenstand wird wieder eine junge Frau treten, die nur mit ihrem Decknamen „Danielle Durand“ angesprochen werden darf, über dem blonden Haar trägt sie wie immer eine braune Perücke, um nicht erkannt zu werden.

 

„Danielle Durand“ hat eineinhalb Jahre lang den Wiener „Verein gegen Tierfabriken“ ausgehorcht, sie hat sich als überzeugte Aktivistin ausgegeben und doch nur Daten gesammelt – darunter Emails, Gespräche, an Fruchtsaftflaschen haftende DNA-Spuren. Die 32-Jährige lieferte Informationen über „Tiertransportblockaden“ und „Jagdstörungen“ an ihren Einsatzleiter. „Danielle Durand“ ist eine Wiener Polizistin.

 

Teil der EU-Sicherheitsstrategie

Verdeckte Ermittler, das ist auch schon die Ironie der Geschichte, sind neben der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten zum sichtbarsten Teil einer sich wandelnden Sicherheitsstrategie der Europäischen Union geworden. Vordergründig geht es in den Plänen der EU-Kommission um Terrorismus und organisierte Kriminalität, seit aber immer mehr verdeckte Ermittler enttarnt werden, wird deutlich, dass mehr dahinter steht: Der deutsche Polizist „Simon Brenner“ folgte Heidelberger Antifaschisten bis nach Brüssel, sein britischer Kollege „Mark Stone“ pflegte seine Tarnung unter Berliner Globalisierungskritikern. Und die mit einer französischen Legende ausgestattete Österreicherin „Danielle Durand“ reiste mit den Tierschützern bis ins niederländische Appelscha und ins schweizerische Luzern. Wie weit die ebenfalls enttarnten Briten „Lynn Watson“ und „Marco Jacobs“ kamen, ist noch unklar.

 

Viel gefunden haben sie alle nicht. Eher wurden sie selbst straffällig, blockierten Straßen (wie „Brenner“), zündeten Mülleimer an (wie „Stone“), gingen sexuelle Beziehungen mit Zielpersonen ein (wie „Stone“ und „Durand“). Seither geht es weniger um das, was sie als Ermittler zutage förderten als um die Probleme, die sie dabei aufwerfen.

 

Im Einzelfall, sagt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, könne der Einsatz verdeckter Ermittler sinnvoll sein. „Aber die rechtliche Grundlage für den Einsatz ausländischer verdeckter Ermittler muss klarer gefasst werden. Das ist alles viel zu schwammig.“ Da gibt es das EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, auf das die Bundesregierung in einer Anfrage zum Fall „Stone“ verweist. Es regelt die Strafverfolgung, aber nicht die Gefahrenabwehr, auf die sich das Bundeskriminalamt beim Einsatz des Briten beruft. Und dann gibt es noch den Prümer Vertrag, er erlaubt es EU-Mitgliedsstaaten, aus anderen Ländern „Beamte, Spezialisten und Berater“ anzufordern. Von verdeckten Ermittlern ist darin nicht die Rede.

 

Dennoch werden sie eingesetzt. Juristen wie der Heidelberger Strafrechtsprofessor Thomas Hillenkamp, an dessen Universität „Simon Brenner“ eingeschrieben war, sehen das kritisch. „Der Einsatz von verdeckten Ermittlern gegen die Mafia leuchtet jedem ein“, sagt er. Würden aber harmlose Gruppen infilitriert, „ist das unverhältnismäßig“.

 

Nach Ansicht des FDP-Europaabgeordneten Alexander Alvaro geschieht es zudem „im luftleeren Raum“. Alvaro, einer von wenigen Brüsseler Abgeordneten, die sich intensiv mit dem Thema befassen, vermutet, dass es noch mehr Fälle gibt, „in denen Ermittler gezielt politische Gruppierungen ausforschen, ohne dass es dafür einen rechtlichen Rahmen gibt“. Die EU verlasse damit den Pfad der Rechtsstaatlichkeit.

 

In Deutschland geht das bereits so weit, dass ausländische verdeckte Ermittler, die eindeutig Polizisten sind, juristisch wie V-Leute behandelt werden, also wie Informanten aus dem zu überwachenden Milieu. So geht es aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage zum Fall „Stone“ hervor. Das ist praktisch, denn Beschränkungen, die für Ermittler etwa bei Beziehungen mit Zielpersonen gelten, müssen so nicht beachtet werden.

 

Die Bundesregierung liegt damit voll auf der Linie, die sie während ihrer EU-Ratspräsidentschaft von 2007 selbst vorgezeichnet hat. In einem Vermerk heißt es schon damals, die „bisherigen Erfahrungen“ zeigten, dass ausländische verdeckte Ermittler „in gewissen Konstellationen leichter in kriminelle Vereinigungen eingeschleust werden können“. Die Themen der zugehörigen Arbeitsgruppen machen klar, was mit „kriminellen Vereinigungen“ gemeint ist. Danach geht es nur zu einem Teil um Mafia und Terror, häufiger fällt ein anderes Stichwort: Crowd Control, die Kontrolle über Menschenmengen.

 

Im Visier: die Meinungsfreiheit

Er könne sich nicht erinnern, dass das je Gesetz geworden sei, sagt Alvaro. „Angewendet wird es aber offenbar trotzdem.“

Die Tendenz zur Infiltration von Protestbewegungen sei „offensichtlich“, sagt der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. „Diese Einsätze richten sich gegen richtige und notwendige Widerstandsbewegungen.“ Ermittelt wird dann letztlich vor allem gegen eines: die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

 

Alvaro kennt noch andere Vorhaben, „bei denen die EU-Kommission in Sicherheitsfragen derzeit ihrer Phantasie freien Lauf lässt“. Mit dem Forschungsprojekt „Indect“ etwa werde versucht, die Vielzahl von Informationen aus dem Internet, aus Datenbanken und von Überwachungskameras zu verbinden. So sollen „Gewalt, „Bedrohungen“ und „abnormales Verhalten“ gefunden und die zugehörigen „beweglichen Objekte“, also Menschen, observiert werden. Fast 15 Millionen Euro lässt sich die EU das kosten, auf deutscher Seite daran beteiligt ist die Bergische Universität in Wuppertal. Einen Testlauf soll es zur Fußball-EM 2012 geben.

 

Mit Begriffen wie „Unschuldsvermutung“ und „gerichtsfester Beweis“ hat das alles nicht mehr viel zu tun. „Es ist eine besorgniserregende Vorstellung“, sagt Alvaro. Wie gegen die Speicherung von Fluggastdaten erwartet er auch bei „Indect“ erheblichen Widerstand im EU-Parlament.

 

Sollte der automatische Bevölkerungsscanner jedoch irgendwann funktionieren, wüssten die Ermittler dann wenigstens, wo sie eigentlich ermitteln müssen. Denn damit scheint es bislang nicht allzu weit her zu sein. „Simon Brenner“ fand in Heidelberg nichts, was ein Gericht interessiert hätte. Stattdessen wurde er gefunden, von einer Urlaubsliebschaft, die ihn enttarnte. Und „Mark Stone“ fiel als „Agent provocateur“ in Heiligendamm eher selbst auf, als dass er anderen kriminelle Umtriebe nachwies.

 

Viel gefunden auch „Danielle Durand“ nicht. Der Prozess in Wiener Neustadt dauert auch deshalb schon so extrem lange, weil die Beweislage extrem dünn ist.