DA: Demo zur Unterstützung der Besetzer_Innen

Unterstützt die Besetzer_innen der Neckar 5

Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, sondern die ganze Bäckerei!
Alles für alle!

Ende September haben wir zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Haus in Darmstadt besetzt, wurden aber - wie bei der ersten Besetzung in der Neckarstraße 5 - bereits nach der ersten Nacht durch die Polizei geräumt. Dabei wurde Strafanzeige gegen die anwesenden Besetzer_Innen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung gestellt (mittlerweile wurde diese allerdings wieder zurückgezogen). Durch beide Besetzungen wollten wir uns Raum aneignen, diesen für uns nutzbar machen, um dort vor allem zu wohnen, aber auch um ein autonomes und soziales Zentrum zu schaffen und diesen Raum selbstbestimmt und selbstverwaltet zu organisieren.

Wir haben den Weg der Besetzung anstelle eines Dialogs mit der Stadt gewählt, weil es uns um mehr geht, als um eine Kritik der Wohnungspolitik in Darmstadt. Wir kritisieren grundlegend, dass Menschen für Wohnraum Geld bezahlen müssen. Unsere Besetzungen verstehen sich als Aufruf zur Selbstermächtigung und Selbstorganisation. Wir wollen nicht nur, dass die Mieten in Darmstadt billiger werden, sondern dass gar keine Miete mehr gezahlt werden muss – von Niemandem!

 

Warenförmigkeit anstelle von menschlichen Bedürfnissen

 

Doch Wohnraum im Kapitalismus ist – genau wie alles andere auch – eine Ware, hergestellt mit dem Sinn, Gewinne zu erwirtschaften und nicht, um die menschlichen Bedürfnisse nach Wohnraum möglichst gut zu befriedigen. Häuser werden dem Verfall überlassen, obwohl das Bedürfnis sie zu nutzen vorhanden ist, aber nicht die Aussicht, ausreichend Profite damit zu erwirtschaften oder weil das Geld fehlt, diese wieder in einen akzeptablen Zustand zu bringen. Anstatt zu versuchen, wirklich menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen, werden heruntergekommene 1-Zimmer-Wohnungen gebaut und vermietet, weil es einen Markt für „einkommensschwache“ Menschen gibt, denen diese Gesellschaft nichts zugestehen kann und will, als in den letzten Löchern ihr Dasein zu fristen. Und das, obwohl die Anzahl an verfügbaren Gütern und die übermäßige Produktivkraft längst ein Leben im materiellen Überfluss für alle möglich machen könnte. Dabei geht es uns aber nicht nur um die Verteilung von Wohnraum, sondern um die Verteilung des gesamten gesellschaftlich produzierten Reichtums.

Die Warenförmigkeit – also kurz gesagt die Tatsache, dass die Dinge für den Tausch und die Erzeugung von Mehrwert produziert werden – steht einer Verteilung nach rationalen Kriterien und dem Versuch, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, grundsätzlich und unabänderlich im Wege. Auf der anderen Seite ist die Warenförmigkeit die Grundlage einer kapitalistischen Gesellschaftsorganisation, in der die Produktion von Mehrwert letztendlich der entscheidende Faktor in der Organisation ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse ist. Wenn wir also dazu aufrufen, die bestehenden Besitzverhältnisse nicht länger zu akzeptieren und den vorhanden Wohlstand nicht mehr mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, sondern nach den Kriterien der Vernunft mit dem Ziel eines guten Lebens für alle zu verteilen, dann sollte spätestens jetzt klar sein: Wir fordern keine Reformen und keine Anpassung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung, sondern die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung als Ganzes und eine komplette Neuorganisation der sozialen und menschlichen Prozesse.

 

Diese muss selbstredend weit mehr Aspekte umfassen, als bloß die Verteilung von Gütern. Wer den Kapitalismus überwinden will, kann sich nicht einfach nur die Ergebnisse seiner Produktion aneignen, sondern muss die Strukturen ausmachen und überwinden, die konstitutiv für eine kapitalistische Vergesellschaftung und damit Ursache für das Leben in Elend des Großteils der Menschen weltweit sind.

 

Diese fangen damit an, dass die Produktionsmittel nur von einem kleinen Teil der Menschheit verwaltet werden, die zudem in Konkurrenz zueinander produzieren. Deswegen verläuft die Verwaltung des erzeugten Wohlstands und der Ressourcen nicht unter Beteiligung aller und schon gar nicht mit dem Ziel, allen ein möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen, sondern wird von wenigen entschieden, nach der Aussicht auf mögliche Profite und mit dem Ziel, den anderen Konkurrenten zu schaden, während der Großteil der Menschen entweder in der Lohnarbeit zwar den gesellschaftlichen Reichtum produziert, aber nur minimal an ihm teilhaben darf oder ohne eine solche Arbeit in völliger Armut leben muss. Zur Überwindung des Kapitalismus müssen zwingend auch diese Prozesse aufgelöst und die Produktion unter Beteiligung aller und der Einbeziehung ihrer Bedürfnisse organisiert und durchgeführt werden.

 

Von der Theorie zur Praxis

 

Mit Hausbesetzungen allein kann es auf diesem Weg nicht getan sein. Dennoch haben wir uns für diesen Weg einer antikapitalistischen Praxis entschieden. Nicht etwa, weil sie für sich genommen zur Überwindung des Kapitalismus hinreichen würde, sondern weil wir denken, dass sich am Beispiel des Wohnraums der Widerspruch zwischen dem was – schon allein durch die Nutzung der schon vorhandenen, leerstehenden Häuser – theoretisch möglich wäre und der gesellschaftlichen Realität besonders deutlich aufzeigen lässt. Dass sehr viele Menschen einfach eine miserable Wohnsituation oder gar keine Wohnung haben, ist offensichtlich, ebenso wie die Tatsache, dass es viele ungenutzte Wohnungen gibt. Auf diesen Widerspruch möchten wir nochmals hinweisen, dabei jedoch auch deutlich machen, dass dieser innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft nicht aufgelöst werden kann. Der einzige Weg aus diesem Dilemma ist die Überwindung von Staat und Kapitalismus.

 

Der angeeignete Raum bietet noch andere Perspektiven als die Aneignung oder Umverteilung jeder x-beliebigen anderen Ware. Hier bietet sich nicht nur die Möglichkeit der Umverteilung eines Teils des gesellschaftlichen Reichtums, sondern – durch das Zusammentreffen und -leben vieler Menschen in diesem Raum – die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und dabei Formen zu wählen, die in der Lage sind, schon jetzt über die bestehenden Verhältnisse hinauszuweisen. Hier ist es möglich, Interessen und Konflikte in gemeinsamen Verfahren auszuhandeln und basisdemokratisch zu entscheiden. Würden wir in den Supermarkt gehen und dort alles an die Menschen auf der Straße verteilen, so wäre dies zwar ebenso ein Angriff auf die Eigentumsverhältnisse, würde uns darüber hinaus aber wohl kaum neue Perspektiven zur Selbstorganisation eröffnen (wir finden es aber trotzdem sehr gut, wenn Menschen so etwas machen).

 

Die Besetzung eines Hauses ist für uns also aus mehreren Gründen sinnvoll, weil sich hier Formen des kapitalistischen Wirtschaftens tatsächlich angreifen lassen und sich hierbei die Formen der bürgerlichen Gesellschaftsorganisation durch andere, fortschrittlichere Verfahren ersetzen lassen. Dennoch muss immer klar sein: Auch wenn ein solcher Raum – der dann im linken Jargon meist als „Freiraum“ bezeichnet wird – diverse Möglichkeiten bietet, über die bestehenden Verhältnisse hinauszugehen und neue Formen zu erproben, ist es nicht möglich, sich von den Einflüssen der restlichen Gesellschaft völlig zu befreien. Auch ein solcher Raum ist einem gewissen Verwertungszwang unterworfen und auch mit den Ideologien und Unterdrückungsverhältnissen der Gesellschaft konfrontiert. Das sind Widersprüche, die innerhalb dieser Gesellschaft wohl kaum aufzulösen sind, deren Präsenz aber ständiger Teil linksradikaler Selbstreflexion sein muss.

 

Handlungsoptionen der Stadt

 

Dass wir durch Stadt und Polizei aus dem Haus geworfen und Strafanzeigen gestellt wurden, ist selbstverständlich nicht verwunderlich. Schließlich haben Stadt, Staat und Polizei die grundlegende Aufgabe, die bestehende Ordnung zu sichern und einen möglichst reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Wirtschaftens zu gewährleisten. Stadt und Staat versuchen dazu vor allem den jeweiligen Wirtschaftsstandort zu stärken, dienen aber auch der Interessenvermittlung zwischen einzelnen Kapitalfraktionen und zur Schlichtung sozialer Konflikte. Oberstes Ziel muss dabei jedoch immer eine gesicherte Kapitalakkumulation sein, weswegen der Umgang mit sozialen Konflikten vor allem darin besteht, diese in die normal üblichen – und damit kalkulierbaren – Formen bürgerlicher Vergesellschaftung zu pressen. Darunter fallen dann beispielsweise die üblichen Vorgehensweisen bei Tarifverhandlungen, gewisse Formen der Bürgerbeteiligung an planerischen Prozessen oder Versuche, Interessen im Rahmen von Parteipolitik oder Volksentscheiden durchzusetzen. Somit steht der soziale Frieden und die Sicherung des Wirtschaftens im Mittelpunkt dieser Maßnahmen. Sollten diese nicht ausreichen, wenn Proteste sich etwa nicht eingliedern lassen, müssen diese eben polizeilich durch Gewalt und Repression niedergehalten werden. Der Staat, die Stadtverwaltungen und die Polizei stellen dabei niemals neutrale Vermittler dar, sondern müssen die Interessen des Kapitals vertreten, da auch ihre eigene Existenz vom Funktionieren des Kapitalismus abhängig ist.

 

Dennoch ist es stellenweise für sie möglich, sich in Einzelfällen anders zu verhalten, etwa wenn zwischen verschiedenen konkurrierenden Kapitalinteressen entschieden werden muss, wenn zugunsten der Gesamtwirtschaft entgegen einzelner Kapitalinteressen gehandelt wird oder eben wenn Proteste oder soziale Spannungen insgesamt den sozialen Frieden oder die Stabilität der Regierung bedrohen. Ebenso ist die Politik in einer bürgerlichen Demokratie nicht nur als Ganzes an der Funktion des eigenen Wirtschaftsstandorts interessiert, sondern auch persönlich bzw. als Partei am eigenen Machterhalt oder etwa dem möglichst positiven Ausgang der nächsten Wahl.

 

Es gibt also einen gewissen politischen Spielraum innerhalb der Sachzwänge des kapitalistischen Systems. Durch einen entsprechenden Druck können hier und da Reformen oder Zugeständnisse gegen die Kapital- und Standortinteressen erkämpft werden, seien es Arbeitszeitverkürzungen, mehr Rechte für Migrant_Innen, der Atomausstieg oder eben ein autonomes Zentrum und selbstbestimmtes, mietfreies Wohnen.

 

Perspektive

 

Nun fordern wir also ein Ersatzobjekt für die, von uns zuvor besetzten, Häuser ein – entgegen den Kapitalinteressen und entgegen den Interessen des Wirtschaftsstandorts Darmstadt. Dies ergibt sich zum Einen natürlich aus unserer Intention, Kritik am herrschenden Gesellschaftssystem zu üben und dessen Widersprüche aufzuzeigen und zu hinterfragen. Als politisch motivierte Gruppe verstehen wir uns demnach als Organ, welches diese Kritik auch in die Öffentlichkeit transportieren möchte und muss. Doch zum Anderen – und damit wieder zur Frage, warum wir erneut ein Ersatzobjekt fordern – können wir unsere Kritik an gesellschaftlichen Gegebenheiten am Besten mit einem geeigneten Raum und Ort umsetzen. Das Erproben neuer Ideen und Möglichkeiten, welche sich in der allgemeinen Gesellschaft eben nicht verwirklichen lassen, ist uns also ebenfalls von großer Bedeutung. Um diesen Ort für uns zu gewinnen, wollen wir also jede Möglichkeit nutzen. Und eine dieser Optionen ist eben die Forderung nach einem Ersatzobjekt. Jedoch bleibt zu sagen: Sowohl aufgrund unserer Erfahrungen mit den Gesprächen mit der Stadt, als auch aufgrund der Umstände, dass ein autonomes Wohn- und Kulturzentrum nicht im Interesse einer kapitalakkumulativ agierenden Stadt liegt, bleiben unsere Erwartungen, ein Ersatzobjekt zu erhalten, weiterhin minimal.

 

In unserem weiteren Vorgehen werden wir jedoch nicht auf den „guten Willen“ der Stadt setzen, sondern unseren vorherigen Kurs weiterhin verfolgen und für ein autonomes Wohn- und Kulturprojekt in Darmstadt kämpfen.

 

Um unsere Forderung nach einem selbstbestimmten Wohn- und Kulturzentrum in Darmstadt noch einmal zu äußern und unsere Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik zu formulieren, wird am 16.10.2010 eine Demonstration in Darmstadt stattfinden. Treffpunkt ist um 17 Uhr auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs.

 

Alles für alle!

Für ein autonomes und soziales Wohn- und Kulturprojekt in Darmstadt!

Für die soziale Revolution!

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