Linke und Polizei bewaffnet mit Kameras

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Erstveröffentlicht: 
31.03.2009

Vor dem Nato-Gipfel wird die Innenstadt Strassburgs komplett abgeriegelt. Die Universität ist schon geschlossen, als Nächstes sind die Schulen an der Reihe.

 

Mit einer neuartigen Kommunikationsstrategie will das französische Innenministerium verhindern, dass ultralinke Aktivisten mögliche Ausschreitungen beim Jubiläumstreffen der Nato in Strassburg via Internet-Videos anheizen. Sie kalkulieren ein, dass radikale Kräfte Unruhen auslösen und die anschliessenden Polizeimassnahmen als gewalttätige Repression filmen wollen.

Als Gegenmassnahme wird die französische Polizei Kameraleute unter ihre Einsatztruppen mischen und ihre Aufnahmen anschliessend «den Medien zur Verfügung stellen, wenn das notwendig sein sollte». 2500 Journalisten sind zum Gipfel akkreditiert, was den Nato-Gegnern entsprechende Aufmerksamkeit sichert. «Die starke Mobilisierung ultralinker und anarcho-autonomer Netzwerke lässt Ausschreitungen wie beim G-8 in Genua befürchten», zitiert der französische «Figaro» einen hochrangigen Polizisten.

 

Die französische Innenministerin Michèle Alliot-Marie warnt seit Wochenanfang ausdrücklich vor einem «terroristischen Risiko». Sie fürchtet, dass sich 5000 bis 6000 gewalttätige Nato-Gegner unter die Demonstranten mischen werden, die zum mehrtägigen Gegengipfel und zur Grosskundgebung am Samstag nach Strassburg unterwegs sind. Die französischen Behörden rechnen mit 70'000 Teilnehmern. Das Innenministerium von Baden-Württemberg rechnet mit bis zu 25'000 Demonstranten auf deutscher Seite und fürchtet bis zu 3000 gewaltbereite Aktivisten.

 

Grosse Verkehrsbehinderungen

 

Insgesamt 25'000 deutsche und französische Polizisten sollen das Treffen der Staats- und Regierungschefs sichern und das Umfeld der Tagungsorte mit einem «blauen Pflaster» versehen. Bahn- und Flugverkehr, öffentlicher Nahverkehr und die Schifffahrt auf dem Rhein sind eingeschränkt. TGV-Schnellzüge werden am 4. April über Metz, Saarbrücken und Mannheim umgeleitet. Der Lastwagenverkehr wird 250 Kilometer im Norden umgeleitet. Die Autobahnen (B 500, B 28, B 6, A 5, A 4 und A 35) werden zeitweilig gesperrt, damit die Delegationen rasch von einem Ort zum anderen gelangen können.

 

Monatelange Vorbereitungen für die Sicherheit

 

Noch sind die Staats- und Regierungschefs der 30 Nato-Mitgliedsstaaten nicht unterwegs zum dem Treffen, das diesmal als eine Art Wandergipfel zwischen Baden-Baden, Kehl und Strassburg stattfindet. Doch schon seit Monaten beschäftigen die Sicherheitsmassnahmen rund um die Treffpunkte und entlang der Route Betriebe, öffentliche Einrichtungen und Anlieger.

 

In Strassburg herrscht Alarmstufe «eins plus». Arbeitnehmer, die im weiteren Umfeld der Kongresshalle oder des Palais de Rohan beschäftigt sind, müssen sich in Vorbereitung der kommenden Tage seit sechs Wochen bei den Behörden registrieren lassen. Seit Montag sind an den deutsch-französischen Grenzübergängen Personen- und Fahrzeugkontrollen alten Stils in Kraft. Die Universität von Strassburg hat ihre 42'000 Studenten schon am vergangenen Samstag in einen vorübergehenden Urlaub geschickt. Während des Gipfeltreffens bleiben Schulen, Schwimmbäder und andere Sporteinrichtungen geschlossen.

 

Zwei Drittel der Innenstadt werden von Donnerstagnachmittag bis Samstagabend mit 50'000 Sperrgittern abgeriegelt. Anlieger brauchen ab dem 2. April Passierscheine vom Polizeikommissariat. Die Nervosität der Sicherheitskräfte ist so hoch, dass sie in Strassburg nicht einmal pazifistische Regenbogenfahnen vor den Fenstern von Privatwohnungen dulden. (Tages-Anzeiger)