Hausbesetzer in Leipziger Bahn-Gebäude Ausstieg links

Erstveröffentlicht: 
29.07.2017

Jahrelang ließ die Deutsche Bahn ein Grundstück in Leipzig verfallen. Linke haben es besetzt und zum Kulturprojekt umgebaut - Sauna, Bandproberaum, Kino inklusive. Nun droht die Räumung.

 

Auf den ersten Blick ist da einfach nur Schrott. Fünf ineinander gestapelte Autos stehen auf einer schmalen Zufahrt, umgeben von Zäunen, hohen Gräsern und einem maroden Backsteinhaus. Auf den zweiten Blick entpuppt sich der Schrott als eine Art Kunstwerk, denn die Autos sind bunt angemalt und von Graffiti überzogen; in der Mitte hängt ein Laken mit der Aufschrift "Black Triangle". Liest man sich die Verhaltensregeln durch, die auf Holzplatten niedergeschrieben sind, wird klar: Hier handelt es sich um den Eingang zu einem linken Kulturprojekt. Als solches betrachten es zumindest die Besetzer.

 

Die Deutsche Bahn als Eigentümerin des etwa 10.000 Quadratmeter großen Grundstücks im Leipziger Süden sieht das anders. Für den Konzern handelt es sich um unerwünschte Gäste, die so schnell wie möglich verschwinden sollen. Die Räumungsklage läuft. Und die Besetzer wappnen sich.

 

Nach den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg wird der Umgang des Staates mit Autonomen neu bewertet, nicht nur konservative Politiker fordern ein härteres Vorgehen. Die Existenz des Autonomenzentrums Rote Flora, seit fast 30 Jahren besetzt, wird wieder in Frage gestellt. Die linksextreme Szene steht so stark im Fokus wie lange nicht.

 

Das umstrittene Leipziger Areal liegt zwischen mehreren Bahngleisen und einem Kleingartenverein. Jahrelang kümmerte sich niemand mehr um das frühere Umspannwerk, die riesigen Gebäude bröckelten vor sich hin. Das änderte sich vor etwas mehr als einem Jahr, als eine Gruppe junger Menschen das Bahneigentum für sich in Anspruch nahm, um es zu sanieren und dort Wohn- und Veranstaltungsräume zu schaffen.

 

Friedlich, freundlich, rücksichtsvoll

 

Arthur Schmidt besucht das "Black Triangle" regelmäßig. Er hilft bei Konzerten, Kochabenden oder an der Bar und bringt häufig seine Fähigkeiten als Handwerker mit ein. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen, denn die Bahn hat bereits Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs erstattet. Während des Gesprächs trägt Schmidt eine Sturmhaube. "Ich wurde eigentlich sehr bürgerlich sozialisiert", sagt der Mittzwanziger. "Doch negative Erfahrungen mit der Polizei und der Justiz haben mich politisch stark radikalisiert."

 

Damit ist er offensichtlich nicht allein. Überall im "Black Triangle" sind deutliche Botschaften zu lesen: gegen Rassismus, gegen Sexismus - und gegen die Polizei. Laut "Bild"-Zeitung gilt das besetzte Bahngelände in Sicherheitskreisen bereits als "Leipzigs linksextremes Hauptquartier" mit hohem Gewaltpotenzial. Auf Anfrage möchte die Pressestelle der Polizei dazu keine offizielle Einschätzung abgeben.

 

Fragt man die beiden direkten Nachbarn - zwei Männer über 50 -, schütteln diese mit dem Kopf. Die Besetzer seien friedlich, freundlich und rücksichtsvoll. Zudem würde nun niemand mehr nachts randalieren und Scheiben einschmeißen wie in früheren Jahren, als das Gebäude leerstand.

 

"Ursprünglich war das Black Triangle für mich wie eine Kneipe, aber mittlerweile ist es ein fester Bestandteil meines Lebens geworden", sagt Arthur Schmidt. Innerhalb eines Jahres seien hier unter anderem Sauna, Bandproberaum, Kino, Umsonstladen sowie Siebdruck- und Fahrradwerkstatt entstanden. Dass die Besetzung illegal ist, bestreitet er nicht. Er betrachtet sie jedoch als eine Art zivilen Ungehorsams: "Es gibt einen riesigen Bedarf an sozialem Wohnungsbau. Gleichzeitig stehen solche Gebäude leer und verfallen."

 

Tatsächlich wächst Leipzig seit Jahren, die Einwohnerzahl ist seit 2011 von 500.000 auf mehr als 580.000 gestiegen. Der Wohnungsleerstand beträgt derzeit etwa drei Prozent. "Eine Knappheit gibt es noch nicht", sagt die parteilose Stadtentwicklungsbürgermeisterin Dorothee Dubrau.

 

Doch das dürfte sich bald ändern. Laut Prognosen des städtischen Statistikamtes könnte Leipzig bereits in zehn Jahren die Marke von 700.000 Einwohnern knacken. Die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB soll bis dahin mindestens 5.000 neue Wohnungen bauen. Das allein wird nicht ausreichen, um alle zuziehenden und alteingesessenen Leipziger unterzubringen.

 

Das Handy seit Wochen ausgeschaltet


Ein Bewohner des "Black Triangle", der Ernst Everhard genannt werden möchte, ist erst kürzlich eingezogen. Seine vorherige WG war auseinandergebrochen. Vieles ist nun anders: "Mein Handy ist seit Wochen ausgeschaltet, aber daran habe ich mich gewöhnt. Was wirklich fehlt, ist fließendes Wasser. Auch die gewohnte Sicherheit ist hier nicht gegeben - aber das macht es interessanter."

 

Mit der Bahn sei bedauerlicherweise kein Dialog möglich, sagt Everhard. Er möchte im besetzten Gebäude ein Aufnahmestudio einrichten und verfügt bereits über die nötige Technik. "Aber solange das Projekt nicht geduldet wird, ist es schwierig, die vielen kreativen Pläne umzusetzen."

 

Die Bahn lässt offen, wie das große Areal zukünftig genutzt werden soll. Bestimmte Anlagen erforderten eine "ständige Zugänglichkeit", heißt es lediglich. Nachfragen zum Verlauf der Gespräche mit den Besetzern blieben unbeantwortet.

 

Demnächst wird der Bundesgerichtshof über eine Rechtsbeschwerde der Bahn entscheiden. In den vorherigen Instanzen hatte sie mit ihrem Versuch, die Besetzer von dem Grundstück entfernen zu lassen, keinen Erfolg.

 

Freiwillig werden die jungen Leute das Gelände wohl nicht räumen. Die gestapelten Autos dienen auch als massive Barrikade. Ernst Everhard hofft weiterhin auf ein Einlenken der Bahn. "Eine Räumung wäre schade für das Projekt und für mich persönlich", sagt er. "Ich wäre dann obdachlos."