Inhaltsprotokoll Verfassungsschutzausschuss zur Rigaer Straße

Erstveröffentlicht: 
28.06.2017

Auszüge aus dem Inhaltsprotokoll des Verfassungsschutzausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses zur Lage in der Rigaer Straße. Vollständiges Protokoll hier:

https://www.parlament-berlin.de/ados/18/VerfSch/protokoll/vfs18-006-ip.pdf

 

18. Wahlperiode

Plenar - und Ausschussdienst

Inhaltsprotokoll Öffentliche Sitzung

 

nichtöffentlich zu TOP 6 und TOP 7

 

Ausschuss für Verfassungsschutz

 

Sitzung

28. Juni 2017

 

Punkt 2 der Tagesordnung

Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs


Welche Erkenntnisse hat der Verfassungsschutz zu den aktuellen linksextremistischen Angriffen auf Polizisten in der Rigaer Straße?

(auf Antrag der Fraktion der CDU)

 

 

Stephan Lenz (CDU) stellt fest, von einer Beruhigung der Lage in der Rigaer Straße könne nicht die Rede sein. Vor dem Hintergrund der Angriffe auf Polizeibeamte bitte er den Verfassungsschutz um eine Bewertung der linksextremistischen Szene. Der Presse sei zu entnehmen gewesen, dass auch der Innensenator diesbezüglich seine Position zunehmend schärfe. Wie wolle Herr Senator Geisel seine Worte umsetzen, dass ein Zurückweichen vor der Gewalt nicht in Betracht komme?

 

Senator Andreas Geisel (SenInnDS) teilt mit, die geplanten Strategien des Senats seien bereits im Innenausschuss besprochen worden. Im Ausschuss für Verfassungsschutz gehe es allein um die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu den aktuellen linksextremistischen Angriffen auf die Polizeibeamten. Das Problem, dass Herr Abg. Lenz nicht Mitglied des Innenausschusses sei, müsse CDU-intern geregelt werden.

 

Stephan Lenz(CDU) entgegnet, im Ausschuss für Verfassungsschutz

erkläre Herr Senator Geisel, dass der Innenausschuss zuständig sei, während er im Innenausschuss zu Fragestellungen Stellung bezogen habe, die in den Verfassungsschutzausschuss gehörten. Die Trennung scheine nicht durchzuhalten zu sein. Das Dilemma sei, dass die Themen in der Tat nicht scharf trennbar seien.

 

Senator Andreas Geisel (SenInnDS) erwidert, Herr Abg. Lenz habe schon mehrere Male im Verfassungsschutzausschuss Themen angesprochen, über die bereits im Innenausschuss informiert worden sei. Es könne aber nicht in beiden Ausschüssen dasselbe berichtet werden, nur weil Herr Abg. Lenz nicht Mitglied des Innenausschusses sei.

 

 

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Seit 2013 sei rund um die Rigaer Straße 94 ein kontinuierlicher Anstieg von Straf- und Gewalttaten zu beobachten, darunter immer wieder Angriffe auf Polizeibeamte, in deren Rahmen schwere Verletzungen oder sogar Todesfolge billigend in Kauf genommen würden. Die Protagonisten rund um die Rigaer Straße 94 agierten nicht wahllos, sondern suchten gezielt die Konfrontation, offenbar mit dem Ziel der Schaffung autonomer Freiräume in ihrem Kiez, frei von rechtsstaatlichen Eingriffen und dem finanziellen Einfluss von Investoren. Der konkrete Anlass für die Auseinandersetzung am vorvergangenen Wochenende dürfte der G-20-Gipfel in Hamburg, die bevorstehende Räumung der Friedelstraße 54 in Neukölln sowie eine inzwischen abgesagte Verhandlung über die Räumung der sogenannten Kadterschmiede in der Rigaer Straße 94 gewesen sein. In den letzten Wochen seien Einsatzkräfte mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik beworfen worden. Beamte seien verletzt, Einsatzwagen beschädigt worden. Es sei auch zu größeren und kleineren Aktionen an bestehenden und geplanten Neubauobjekten gekommen.

Nach Bewertung der Innenverwaltung werde diese Entwicklung gezielt eskaliert. Es sei einerseits Ziel, die Symbolkraft einschlägiger Szeneobjekte zu stärken und darüber die Klammer zu der von Verdrängung bedrohten Nachbarschaft und zu potenziellen Sympathisanten zu festigen. Die Bewohner neu entstandener Wohnhäuser seien davon allerdings ausdrücklich ausgeschlossen. Sie würden drangsaliert und zum Teil massiv bedroht. Das gelte auch für solche Nachbarn, die mit der Polizei kooperierten oder sich kritisch äußerten. Zum anderen wolle man sich selbst durch gezielte Provokations- und Polizeieinsätze zum Opfer staatlicher Willkür stilisieren, um auf diese Art und Weise Solidarisierungseffekte zu erzielen. Darüber hinaus werde die Polizei von der linksextremistischen Szene als Symbol der verhassten

Herrschaftsordnung angesehen. Diese wiederum werde für die Gentrifizierung und damit auch für die Räumung von zehn Objekten verantwortlich gemacht und über die Polizei symbolisch angegriffen.

Im Zuge der Auseinandersetzung um die Rigaer Straße habe sich die Tonlage spürbar verschärft. Leib und Leben politischer Gegner, darunter in erster Linie Polizeibeamte, aber auch mögliche Projektentwickler, Investoren, Politiker oder kritische Nachbarn, würden immer häufiger unverhohlen bedroht. Aussagen, die Morddrohungen gleichkämen, fänden sich auf Internetpräsenzen oder im öffentlichen Straßenland in höherer Frequenz und mit einer unmissverständlichen Diktion. Auffallend sei, dass sich die Rigaer Straße 94 bei der Mobilisierung zum G-20-Gipfel bislang zurückhalte. Es sei in Betracht zu ziehen, dass Teile der anarchischen Szene darauf setzten, dass durch eine Fokussierung der Sicherheitsbehörden auf Hamburg hier in Berlin Freiräume

entstehen könnten, die dann für militante Aktionen nutzbar gemacht würden. Es sei davon auszugehen, dass die Gewalt gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit der Rigaer Straße fortdauern werde und auch weiterhin Polizeieinsätze gezielt provoziert würden.

Die Situation könnte sich im Zusammenhang mit der bevorstehenden Räumung des Objekts Friedelstraße 54 sowie dem G-20-Gipfel in Hamburg noch weiter zuspitzen. Deshalb sei die Polizeipräsenz in der Rigaer Straße deutlich verstärkt worden. Die bereits im Innenaus-

schuss ausführlich dargestellte Strategie bestehe darin, mit Betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern, die ihre friedlichen Absichten auch mit politischer Kritik verbänden, Gespräche zu führen und die Gewalttäter zu isolieren.

 

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Kurt Wansner(CDU) erklärt, er gebe Herrn Senator Geisel teilweise

recht. Die Diskussion gehe aber nicht um die Vorfälle vor Ort. Wer sich mit den Besetzern in der Rigaer Straße 94 und einigen anderen Besetzern austausche, stelle fest: Sie seien unpolitisch und gar nicht in der Lage, die Dinge zu planen, die passierten. Die Besetzer wären auch nicht in der Lage, die intelligenten Pamphlete herzustellen, in denen es z. B. auch Hinweise auf Istanbul gebe, wo gewisse Kreise darum kämpfen, den Altbaubestand zu erhalten. Zu den Hausbesetzern von vor 10, 20,30 Jahren gebe es einen großen Unterschied. Diese hätten einen politischen Ansatz gehabt, und man habe sich mit ihnen auseinandersetzen können. Die Hausbesetzer von heute seien nur in der Lage, Steine zu werfen. Seine Fraktion erwarte von Herrn Senator Geisel, dass er die Planer der Gewaltexzesse insbesondere in der Rigaer Straße und das Planungsziel benennen könne.

 

Dr. Susanne Kitschun (SPD) bittet Herrn Senator Geisel um eine Einschätzung, in welcher Gefahr sich die bedrohten Anwohnerinnen und Anwohner befänden.

 

Stephan Lenz(CDU) stellt im Hinblick auf die entsprechende Bemerkung von Herrn Senator Geisel klar, dass man es im Zusammenhang mit den Vorfällen rund um die Rigaer Straße mit extremistischen Personen zu tun habe, die unter der Beobachtung der Abteilung II stünden. Redundanzen ließen sich folglich nicht vermeiden. Die Abgeordneten könnten das Thema sowohl im Innenausschuss als auch im Ausschuss für Verfassungsschutz erörtern, wenn sie es für richtig hielten. Herr Senator Geisel werde ihren Wünschen so lange entsprechen müssen, bis das Problem gelöst sei. Das Problem verschärfe sich permanent, aber man sei dabei, es besser zu verstehen. Und dafür benötige man die Erkenntnisse der AbteilungII.

 

Niklas Schrader(LINKE) macht darauf aufmerksam, dass das Problem vielschichtig sei. Man könne im Verfassungsschutzausschuss – wie in den anderen Ausschüssen auch – allenfalls Teilbereiche besprechen. Die Vorfälle in der Rigaer Straße hätten auch mit dem Bezirk zu tun, mit Wohnungspolitik, mit Stadtentwicklung, mit der Gesellschaftsstruktur dort und natürlich auch mit der Polizei. Es sei wichtig, dass man die zuständigen Stellen miteinander verknüpfe. Es sei auch ein falscher Ansatz, nach einer steuernden Hand zu forschen. Dass eine steuernde Macht im Hintergrund die Szene leite, klinge nach einer Verschwörungstheorie. Da gebe es militante Menschen, die man nicht an einen Runden Tisch holen könne, und er teile die Ansicht von Herrn Abg. Wansner, dass der politische Ansatz nicht besonders intelligent sei, aber er warne davor, die ehemalige Hausbesetzerszene, die es dort immer noch gebe, über einen Kamm zu scheren. Man müsse differenzieren. In dem Kiez gebe es auch noch verschiedene andere Hausprojekte, die teilweise aus – mittlerweile legalisierten – ehemaligen besetzten Häusern hervorgegangen seien. Diese seien dort Teil des friedlichen, bunten Zusammenlebens und durchaus berechtigt, an Problemlösungen teilzunehmen. Viele dieser Akteure verstünden sich als links, aber dennoch müsse man mit ihnen reden und in eine Gesamtstrategie einbeziehen.

 

Habe der Verfassungsschutz tatsächlich Erkenntnisse darüber, dass die Gewalttäter in der Rigaer Straße gesteuert würden? Das erwähnte Pamphlet sei ihm nicht bekannt. Er bitte Herrn Wansner, es ihm zur Verfügung zu stellen.

 

 

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Harald Laatsch(AfD) kritisiert, dass Herr Senator Geisel im Ausschuss für Verfassungsschutz oft nicht genügend Informationen liefere. Häufig müsse man sich diese Informationen aus der Presse holen.

Dieser Zustand sei unhaltbar, denn das Parlament müsse den Verfas-sungsschutz überwachen. Das Cluster der Linksradikalen in der Rigaer Straße werde immer größer und radikaler. Es habe ganz klar angesagt,rechtsfreie Räume zu schaffen. Aber Herr Senator Geisel reagiere ganz gelassen darauf nach dem Motto: Ich weiß nichts, ich mache nichts, der Ausschuss ist nicht zuständig. – Nach seinem Eindruck sei die Deeskalationspolitik gegenüber den Vermummten, die der SPD und „denen, die gegenübersitzensehr nahe stünden, eine Tarnpolitik. Wer seien die handelnden Personen hinter den Linksextremisten in der Rigaer Straße?

 

Dr. Susanne Kitschun(SPD) vertritt die Ansicht, dass in unterschiedlichen Ausschüssen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt würden. Der Verfassungsschutzausschuss könne sich nicht mit der Polizeistrategie befassen.Sie wünschte sich mehr Sachlichkeit. Die Worte von Herrn Abg. Laatsch klängen nach Verschwörungstheorie. Das Thema sei wichtig, aber auch schwierig. Der Senat betreibe es mit Ernsthaftigkeit und Strategie. Im Innenausschuss sei es schon breit diskutiert worden. Die Behauptung, Herr Senator Geisel betreibe Vertuschung, wenn er es nicht noch einmal in derselben Länge im Verfassungsschutzausschuss darstelle, weise sie für die SPD-Fraktion zurück. Der Ausschuss für Verfassungsschutz sollte sich im Interesse der Sache und vor allem auch im Interesse der Anwohnerinnen und Anwohner darum bemühen, seiner Aufgabe nachzukommen, Fragen zu stellen und zu prüfen welche Bedrohungslagen zu erkennen seien.

 

Holger Krestel(FDP) teilt die Meinung, dass die Akteure in der Rigaer Straße nicht in der Lage seien, die sogenannten Hausbesetzungen politisch zu unterlegen. Auch er sei sicher, dass Personen im Hintergrund die in der ersten Reihe agierenden Personen anleiteten. Es finde auch eine Vernetzung zur Hafenstraße oder zu anderen Gebieten statt. Der Verfassungsschutz müsse ein Auge auf diese Bestrebungen werfen.

 

Kurt Wansner (CDU) meint, es sei die Aufgabe des Parlaments, die Menschen zu vertreten, die vor Ort nicht zu sprechen wagten. – In der Stadt gebe es Menschen, die Gentrifizierungsängste hätten, die Angst um ihre Wohnung hätten und Angst, verdrängt zu werden, aber sie seien nicht mit den Gewalttätern in der Rigaer Straße identisch. Über die Ängste dieser Menschen müsse im Bau- und im Planungsbereich diskutiert werden, aber nicht im Verfassungsschutzausschuss. Die Frage, wer die Gewalttäter steuere, sei berechtigt. Sie übten Terror gegen die dort wohnende friedliche Bevölkerung aus. An den Laternen hingen Steckbriefe mit Fotos von vorgeblich unliebsamen Bewohnern, und es würden bedrohliche Hausbesuche durchgeführt.

 

Tom Schreiber(SPD) regt an, Herr Abg. Lenz und Herr Abg. Wansner sollten sich abstimmen, damit Herr Lenz nicht im Ausschuss für Verfassungsschutz Fragen stelle, die Herr Wansner schon in der letzten Innenausschusssitzung gestellt habe. Und Herr Abg. Wansner könne in den im Internet zu findenden Studien des Berliner Verfassungsschutzes zum Thema linke Gewalt schon Antworten auf viele seiner Fragen finden. Im Übrigen erweckten die Fragen von Herrn Wansner den Eindruck, als ob er mit dem Thema nie etwas zu tun gehabt habe.

 

 

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Vorsitzender Florian Dörstelmann stellt fest, die Besprechung sei damit abgeschlossen.