Brandstifter als Biedermann

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Erstveröffentlicht: 
11.07.2017
Zwischen politischem Statement und Lust auf Randale: In den Hamburger Krawallnächten richtet sich die Gewalt zum ersten Mal gegen ganz normale Bürger. Was sagt das über die Täter aus? Erste Antworten auf drängende Fragen.

Von Thorsten Fuchs

Sie tragen keinen blinden Hass in sich, sondern kalte Wut. Die Gewalt der kriminellen Randalierer von Hamburg wirkt sinnlos, aber für die linksradikale Szene ist sie Daseinszweck – und Antwort auf „das System“. Ihre Straftaten sind geplant, koordiniert und potenziell tödlich. Die Kriminellen von Hamburg haben eine Stadt aus dem Takt gebracht – und jeden friedlichen Protest gegen die G 20 zerstört.

 

Was wissen wir über die Täter?


Die übergroße Mehrzahl der Hamburger Straftäter dürfte noch auf freiem Fuß sein. Die extra für den Gipfel für rund 4 Millionen Euro eingerichtete Gefangenensammelstelle in Harburg ist wieder geschlossen, die Insassen auf Gefängnisse verteilt. Nach Polizeiangaben wurden 186 Personen vorläufig festgenommen. Die Staatsanwaltschaft nennt deutlich niedrigere Zahlen: Sie habe gegen 85 Beschuldigte nach Anhörung Haftbefehl beantragt, davon seien 51 direkt in Untersuchungshaft gekommen. Ihnen wird unter anderem schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung zur Last gelegt. Mehrjährige Haftstrafen sind möglich. Ein 27-Jähriger sitzt wegen versuchten Mordes in U-Haft. Er soll aus dem Fenster einer Dachgeschosswohnung in Altona mehrmals mit einem Laserpointer auf den über dem Viertel kreisenden Polizeihubschrauber „Libelle 2“ gezielt haben. Der Helikopter hätte durch die Aktion abstürzen können.

 

Falls ausländische Krawallmacher in großer Zahl nach Hamburg gekommen sind, spiegelt sich das nur sehr eingeschränkt in den Akten wider. Laut Staatsanwaltschaft wurden überwiegend junge einheimische Männer unter 30 Jahren verhaftet – aber auch Franzosen, Italiener, Spanier, Russen, Niederländer, Schweizer und Österreicher. Am Sonnabend wurden 15 Italiener in die Gefangenensammelstelle gebracht, darunter auch die linke Europaabgeordnete Eleonora Forenza. „Sie hätten Informationen gehabt, dass gefährliche Italiener nach Hamburg kämen“, berichtete sie. Gefunden wurde bei ihnen nichts außer schwarzer Kleidung im Rucksack.

 

Was treibt die Täter?


Der schwarze Block sei nur schwer zu fassen, sagt Jörg Radek, Vizevorsitzender der Polizeigewerkschaft GdP: „Typisch ist, dass diese Personen Wechselwäsche dabei haben. Die schwarze Kleidung verschwindet nach der Tat im Rucksack oder fliegt auf die Barrikade, dann beginnt die Metamorphose zum Biedermann.“ Dabei ist Gewalt kein Selbstzweck, sondern Teil ihrer Ideologie. In ihrem Verständnis ist Gewalt legitim, da der Staat strukturelle Gewalt ausübt und man sich dagegen nur wehre. Ihr Konzept ist der aufständische Anarchismus. Friedlicher Protest gilt als Kapitulation. Daher taten sich linksextreme Gruppen auch so schwer, sich zumindest halbherzig von den Ausschreitungen zu distanzieren. Ein alter Szene-Spruch lautet: „Du bist frei in dem Moment, wenn der Stein deine Hand verlässt, bis er auftrifft.“ Der Extremismusforscher Armin Pfahl-Traugh­ber spricht vom „Fun-Faktor der Gewalt“ und von der „Abenteuerdimension“. Diese führt dazu, dass sich auch Jugendliche der Randale anschlossen, die überhaupt nicht politisiert sind.

 

War das wirklich eine neue Dimension der Gewalt?


„Die Art und Weise der Gewalt und der Aggression gegen die Polizei hat eine neue Dimension erreicht“, sagte Timo Zill, Sprecher der Hamburger Polizei, nach den Krawallen im Schanzenviertel. Der Innensenator Andy Grote (SPD) sprach von einem „Niveau der Gewalt gegen die Polizei, wie wir sie noch nie erlebt haben“. Beide wollen damit erklären, warum die Polizei so lange brauchte, bis sie am Schulterblatt eingreifen konnte. Aber war diese Form der Gewalt wirklich neu?

 

„Alles das war nicht erstmalig“, widerspricht der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Der Beschuss mit Zwillen, das Werfen von Molotowcocktails und Steinplatten von Dächern aus, alles das habe es zum Beispiel auch bei Hausbesetzungen und den Berliner Maikrawallen zu Beginn der Neunzigerjahre gegeben. Bei den Auseinandersetzungen um die Startbahn West wurden 1987 sogar zwei Polizisten erschossen. Die Bilder von Rauchsäulen über der Stadt erinnerten Kraushaar an die Rassenunruhen in Chicago und Los Angeles. Eine neue Dimension gesteht er den Krawallen insgesamt dennoch zu: „Das Neue bestand darin, dass sich die Gewalt wahllos gegen die Bevölkerung im Allgemeinen richtete“, erklärt der Protestforscher. „Es schien den Tätern völlig egal zu sein, ob es einen Zusammenhang zu G 20 gab oder nicht.“

 

Wie laufen die Ermittlungen?


Die Hamburger Polizei hat bereits Tausende Fotos und Videos von Bürgern auf ihrem Hinweisportal im Internet erhalten. Deren Auswertung hat nach Angaben eines Polizeisprechers jedoch noch nicht einmal begonnen. Vermutlich werden darauf auch nicht die Rädelsführer der schweren Krawalle zu erkennen sein, die ausnahmslos vermummt agierten. Plünderer hingegen, die in die Geschäfte im Schanzenviertel einstiegen, taten dies oft ohne Vermummung und sind vermutlich einfacher zu ermitteln. Sie könnten wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Landfriedensbruchs belangt werden. Schadensersatzforderungen kämen hinzu. GdP-Vize Radek erhofft sich viel von dem Hinweisportal: „Es besteht ja auch ein Interesse der Allgemeinheit, festzustellen, wer als Erster bei Budnikowsky die Spanplatten abgerissen hat.“

 

Auf dem Rückweg von Hamburg nach Berlin wurden sieben Busse der Linksjugend kontrolliert. Dabei sei es zu Übergriffen gekommen, sagt Organisator Lucas Kannenberg dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Beamten hätten alle Passagiere mit Fahndungsdaten abgeglichen. Festnahmen gab es nicht. „Die Straftäter erscheinen in der Regel nicht im Bild, jedenfalls nicht so, dass man sie erkennt“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele.

 

Muss die Rote Flora jetzt geschlossen werden?


„Die Rote Flora ist die Keimzelle des Linksextremismus in der Stadt“, sagt der innenpolitische Sprecher der oppositionellen Hamburger CDU, Dennis Gladiator, dem RND über das Zentrum der Autonomen im Schanzenviertel. „Von dort aus ist massiv europaweit mobilisiert worden. Sie haben auch noch nach den Krawallen diese militanten Aktionen gutgeheißen. Die Rote Flora muss daher umgehend geschlossen werden.“ Peter Tauber, Generalsekretär der Bundes-CDU, meint, solche Zentren der linken Szene „können aus meiner Sicht nicht länger geduldet werden“.

 

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte sich im „Hamburger Abendblatt“ erbost über die Verantwortlichen der „Roten Flora“ gezeigt, die auch die „Welcome to Hell“-Demonstration am Donnerstagabend angemeldet hatten, an der mehrere Hundert Vermummte teilnahmen. Auf die Frage, ob die Stadt die Rote Flora noch länger dulden könne, sagte er: „Auch das muss diskutiert werden. Wir werden genau sehen müssen, wer für was Verantwortung hat.“ Es sei billig, wenn Andreas Blechschmidt und Andreas Beuth von der Roten Flora nun sagten, „dass die ausländischen Militanten auf sie nicht hören. Das wird Konsequenzen für die Zukunft haben. Ich hoffe, dass denen keiner mehr ein Stück Brot abkauft.“ Am Morgen nach den schweren Ausschreitungen im Schanzenviertel hatte Beuth gesagt: „Wir haben gewisse Sympathien für solche Aktionen, aber bitte doch nicht im eigenen Viertel! Da gibt es großes Unverständnis für solche Aktionen, dass man die eigenen Geschäfte zerlegt, wo wir selbst einkaufen. Also warum nicht irgendwie in Pöseldorf oder Blankenese?“ Gestern ruderte er zurück: „Solche Aktionen sind sinnentleerte Gewalt und haben eine Linie überschritten“, sagte Beuth dem „Hamburger Abendblatt“. Die „Flora“ werde den Opfern der Krawalle helfen. „Denkbar ist etwa ein Solidaritätskonzert.“Einen Beweis, dass Hamburger Linksextremisten mit angereisten Straftätern die Ausschreitungen geplant haben, gibt es nicht.

 

Drohen Sensationstouristen künftig Strafen?


Sie gehörten fest zur Szenerie der Krawallnächte: Die Zuschauer am Rand, die mit Bierflasche in der Hand genüsslich den Vermummten beim Plündern und Barrikadenanzünden zusahen. „Von den Umstehenden bekamen die Randalierer viel Unterstützung“, beklagte sich Innensenator Andy Grote. „Das hat der Polizei das Vorgehen sehr erschwert.“ Viele ignorierten die Aufforderung der Polizei, zu den Chaoten klar auf Distanz zu gehen. Juristisch hat das Krawallpublikum aber wohl kaum Folgen zu fürchten. Infrage käme theoretisch ein Vergehen wegen „psychischer Beihilfe“, heißt es beim Bundesjustizministerium. Dazu müssten die Zuschauer die Täter aber direkt zur Tat aufgefordert und sie entscheidend dazu gebracht haben – was wohl bei diesen Tätern einfach nicht nötig war. Der neue Gaffer-Paragraf gegen Handyfilmer, die nach Unfällen auf der Autobahn die Retter behindern, zieht hier ebenfalls nicht: Er bezieht sich nur auf Fälle, in denen die Hilfe für Verletzte verzögert wird.

 

Was bringt eine Extremistendatei?


Sowohl SPD als auch CDU forderten gestern die Einführung einer zentralen Datei, die grenzüberschreitend Extremisten erfasst. „Wir haben eine neue Qualität der Gewalt erlebt, auf die wir auch mit mehr Kooperation bei der Bekämpfung von Extremisten reagieren sollten“, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Man brauche daher in der EU einen besseren Austausch über extremistische Gewalttäter. Sowohl die Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, als auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), befürworteten eine solche Datei. Sie alle versprechen sich von der Sammlung, dass die Polizei vor Großereignissen mögliche Gewalttäter bei Kontrollen vorab erkennen und festsetzen könnte.

 

Das Bundesinnenministerium reagiert zurückhaltend auf diese Idee. „Dafür muss man sich auf gleiche Kriterien verständigen, und das ist bei europäischen Dateien immer ein gewisses Problem“, sagte Minister Thomas de Maizière in der Tagesschau. Außerdem tauschten sich die Sicherheitsbehörden vor Ereignissen wie dem G-20-Gipfel immer eng mit Polizei und Nachrichtendiensten anderer EU-Staaten aus, so ein Sprecher. Der Grüne Hans-Christian Ströbele warnt zudem vor Beliebigkeit: „Kommt da dann jeder rein, der sich einmal bei der Linksjugend hat blicken lassen?“

 

 


 

Bund und Stadt wollen Opfern helfen

Der Hamburger Verkehrsverbund reagierte am schnellsten: Alle Autobesitzer, deren Fahrzeug bei den Krawallen während des G-20-Gipfels in Flammen aufging, bekommen eine kostenlose Monatskarte, kündigte der HVV an. Laufen müssen die geschädigten Autobesitzer also schon mal nicht. Und sonst?

 

Für die Betroffenen geht es um beträchtliche Summen: Der Chef der Drogeriekette Budnikowsky zum Beispiel, Cord Wöhlke, bezifferte den Schaden an seiner Filiale, die am Freitagabend geplündert worden war, auf 400 000 Euro. Allein an der ­Elbchaussee im Stadtteil Altona brannten rund 30 Autos. Die Versicherungen müssen zwar gemäß der Policen zahlen, decken dabei allerdongs nicht alle Schäden ab.

 

Dennoch zeichnet sich für die Opfer der Krawalle in Hamburg rasche Hilfe ab. Bereits am Sonntagvormittag hätten Gespräche zwischen dem Bundesfinanzministerium und der Stadt Hamburg begonnen, erklärte ein Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gestern. „Wir arbeiten sehr intensiv an einer Lösung, wie den Opfern von Gewalt bei der Beseitigung der Schäden geholfen werden kann“, erklärte er. Die Lösung werde in den nächsten Tagen vorgestellt werden. „Darauf können sich die Betroffenen verlassen.“ Die Verteilung des Geldes werde die Stadt übernehmen, der Bund werde sich finanziell beteiligen.

 

Auch nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 hatte es Schadensersatzforderungen wegen der Randale gegeben. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern bezifferte sie rund vier Monate später auf mehr als 230 000 Euro. Damals wollten unter anderem Bauern Geld für niedergetrampelte Felder. Bis Ende 2007 zahlte die Landesregierung mehr als 30 000 Euro an betroffene Landwirte.