Zwischen Harz 4 und untragbaren Arbeitsbedingungen

Hier der öffentliche Brief einer Künstlerin, die 2015 an Krebs erkrankt ist und die, von  Menschen gemachten Lebensbedingungen, für ihre Erkrankung verantwortlich macht. Sie hofft damit, anders als intellektuelle Abhandlungen und Parolen, mit diesem Text der gerne vervielfältigt werden darf, die Herzen der Menschen zu erreichen. Wohl wissend, dass sie kein Einzelschicksal ist. Auch weil ich bemerke, dass selbst in der Linken, oft kein Verständnis da ist, für Menschen die keiner "normalen" Tätigkeit nach gehen können. Schaut herein:

 

An das Jobcenter XYL

und Die Kita Anonyma

 

 

Irgendwo in Deutschland, 22.06.2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren vom Jobcenter,

sehr geehrte MitarbeiterInnen der Kindertagesstätte.

 

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen Frau Ch.. (Leiterin der Kindertagesstätte) bedanken. Ich weiß es zu schätzen, dass sie bereit sind, eine Kranke Person in Ihrem Team willkommen zu heißen.

 

Gerade aus diesem Grund habe ich mich dazu entschlossen, es nun mit Ehrlichkeit zu probieren. Ich hoffe, dass mir aus diesem Entschluss im Nachhinein von Seiten des Jobcenters kein Strick gedreht wird und möchte Ihnen Mitteilen, dass ich in diesem Fall bereit bin, diesen meinen Brief und etwaige daraus resultierende Repressionen, wie die Kürzung meiner Gelder, öffentlich zu machen. Denn ich weiß, dass dieser Text nicht nur von mir, sondern von unzähligen anderen Menschen (meistens Frauen die die Zustände im Sozialbereich nicht mehr aushalten) stammen könnte. Und ich habe ihn bereits an einige Überparteiliche Gremien aus der Occupy-Bewegung geschickt, sowie an einige Politikerinnen, deshalb ist er anonymisiert.

 

Ich kämpfe seit dem Jobangebot mit einem inneren Konflikt, der in etwa so aussieht:

Meine Gedanken waren hin und her gerissen. Einerseits ist es verlockend, sich vor zu stellen, ich könnte vielleicht wieder vom Jobcenter unabhängig werden und an den restlichen Tagen an denen ich nicht arbeiten muss, „frei“ sein. Also keine Rechenschaft über eine Ortsabwesenheit, wie viel ich mit meiner Selbständigkeit als Malerin verdient habe, wo ich mich beworben habe und ähnliches ablegen müssen.

Diese Rechenschaft hat in den letzten Monaten einen unvorstellbaren Druck auf mich ausgeübt, der mich verkrampft und meine Kreativität gelähmt hat. Ich weiß, dass die Mitarbeiterinnen des Jobcenters immer freundlich zu mir waren und mache ihnen nicht den geringsten Vorwurf. Das Problem liegt nicht in der Persönlichkeit der MitarbeiterInnen sondern im System, das wie eine Maschine funktioniert und in dem es für persönliche Befindlichkeiten keinen Platz gibt. Und auch nicht für Menschen mit anderen Meinungen.

 

Ein Mensch, der die Pädagogik in einem normalen Kindergarten und in der Schule nicht richtig findet, ist im System nicht vor gesehen. Das heißt aber nicht, dass es ihn nicht gibt.

 

Ich finde die Zustände im Sozialbereich untragbar.

Die Person, die im letzten Jahrhundert den größten Beitrag zur Lösung der Probleme der Menschheit geleistet hat, ist in meinen Augen Jean Liedloff.

Sie hat herausgefunden, dass die Glücksfähigkeit der Menschen unserer Zivilisation, dadurch zerstört wird, dass die Kinder von frühester Kindheit an daran gewöhnt werden, dass ihre Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Sie vertritt die Ansicht, dass Babys permanent am Körper getragen werden sollten und und dann von selber eine langsame Ablösung statt findet. So wie die Kinder das möchten und auf gar keinen Fall schneller! Auch jeglicher Zwang ist vollkommen überflüssig.

Den Willen eines Menschen zu brechen macht Menschen kaputt und Irre. Ja, tatsächlich sollte sich das ganze Leben um die Kinder drehen. Und dies ist nicht Aufgabe der Frauen allein. Daraus entstehen Menschen, die faktisch kein Aggressionspotential mehr haben. (Unbefriedigte Menschen sind unfriedlich und streben nach Ersatz in Form von Konsum, Süchten bis hin zur Zerstörungssucht, die sich in Kriegen legalisieren. Die Konsumsucht wiederum lassen die Kriege notwendig erscheinen um den Konsumstatus aufrecht zu erhalten.) Ich habe hier mal versucht die Erkenntnisse von Jean Liedloff und zum Teil auch Maria Montessori in einem kleinen Absatz zusammen zu fassen. Und darüber hinaus einen kleinen politischen Bogen zu schlagen um die Auswirkungen auf dieser Ebene deutlich zu machen. Besser lest mal ihr Buch: „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“, selbst.

 

 

Nun stellen Sie sich doch mal vor, sie müssen -und seien es nur 2 Tage jede Woche, an einen Ort gehen und dort Dinge tun, die sie nicht richtig finden. Und denen sie nicht gewachsen sind.

 

Ich halte jede soziale Institution für den Ausdruck einer vollkommen kranken Gesellschaft.

Kinder, alte Menschen, Menschen mit Behinderung, brauchen Geborgenheit, echte Anteilnahme konstante Bindungen, und keine professionelle Distanz! (für die nicht Pädagogen: Die Professionelle Distanz ist angeblich Voraussetzung für jede „gute“ Pädagogik und natürlich auch dafür, diesen Job überhaupt durchstehen zu können, denn würden wir an jedem Schicksal Anteilnehmen, würden wir den Job nicht durchhalten.)

Aber entschuldigt bitte: Ich bin kein Roboter und ich bin kaputt gegangen. Ich habe Anteil genommen. Ich habe nächtelang nicht geschlafen, weil ich das stundenlange Weinen eines neuen Kindes nach seiner Mutter, nicht einfach, nach Feierabend vergessen konnte.

Weil ich in Wohnheimen für Menschen mit Behinderung nicht vergessen und ignorieren konnte, wie freizügig die Bewohnerinnen dort mit Neuroleptika (Haldol, Risperdal und Co.) abgefüllt werden, angeblich zu ihrem Besten- In Wahrheit damit die Arbeit mit so wenig Personal überhaupt möglich ist…

weil in Altenheimen die Menschen wie am Fließband abgefertigt werden.

Und natürlich auch, weil die Arbeit viel zu schwer, die Verantwortung zu groß, in Stoßzeiten viel zu viel Zu bewältigen war. (Zu viele Kinder, zu wenig Betreuer, in Wohnheimen auch oft zu gefährlich, alleine mit Menschen in der Gruppe die mir körperlich überlegen und ein großes Aggressionspotential (weil sie unzufrieden sind) hatten.

Von der Altenpflege will ich erst gar nicht reden…

Die körperliche Belastung schwere Menschen heben zu müssen...

Es gibt Menschen die hier übrigens Abhilfe schaffen könnten: Eine Gruppe, deren Talente heutzutage nicht mehr gewürdigt werden: Menschen mit viel Muskelkraft.

Sie wären als Unterstützung einer Pädagogin oder Pflegerin ein wahrer Segen und sollten immer vor Ort sein. Es sollte niemals eine Erzieherin (Heilerziehungspflegerin) alleine mit potentiell gefährlichen Menschen arbeiten müssen, noch dazu eine 50 Kilo Person wie ich! Dazu müssten die Menschen mit Muskelkraft aber mehr verdienen als, als Lagerarbeiter…. Das wäre dann immer hin die Spitze des Eisberges und könnte helfen, dass die sozialen Berufe wieder attraktiver werden…

 

Ich weiß, der Weg zurück zu einer Gesellschaft in der Kinder, alte und behinderte Menschen nicht mehr in Institutionen abgeschoben werden, ist lang und das oben genannte wäre mein Rat. Nur als erste Hilfe um den Bereich schnell zu entschärfen.

 

Nun zurück zu mir: Seit meiner Kindheit wollte ich nie etwas anderes als Künstlerin und Heilpraktikerin sein. Aber der Weg war so weit, ich habe es nicht geschafft. Zunächst hatte ich gehofft, dass meine Mitarbeit innerhalb von Institutionen nur temporär ist. Ich habe gleichzeitig das Ziel verfolgt Heilpraktikerin zu werden, habe in meiner Freizeit gemalt, getanzt, geschauspielert und musiziert.

Aber mehr und mehr ist mir der Konflikt, dass ich permanent etwas tun muss, was ich nicht vertreten kann an die Substanz gegangen. Immer öfter habe ich mich selbst bei einem Verhalten gegenüber den Kindern ertappt, dass ich eigentlich gar nicht gut fand und einfach nur aus der Not der Situation, weil ich mit den Kindern nicht fertig geworden bin, Chaos ausgebrochen ist, die Kinder einander und mich geschlagen haben, gemacht habe. Ich habe eine Art von autoritärem Verhalten an den Tag gelegt, für das ich mich selber gehasst habe. Die Kinder zum still sitzen und puzzlen gezwungen zum Beispiel.

Dann kamen die Erschöpfungsanfälle, mit denen ich monatelang gekämpft habe, bevor dann die Diagnose Brustkrebs die Sache dramatisiert hat.

Um mein Ziel Heilpraktikerin zu werden zu verfolgen, zu malen, Theater zu spielen, hatte ich lange vorher schon keine Energie mehr.

 

Nun frage ich Euch: welchen Sinn macht es, mich wieder in diese Situation zurück zu bringen? Ich habe realistische Heilungschancen. Aber doch nicht, wenn ich mutwillig in diesen Konflikt, der zu Schlaflosigkeit und Erschöpfung führt, zurück gedrängt werde. Selbst die Schulmedizin hat inzwischen heraus gefunden (das Gebiet nennt sich Psycho-Neuro- Immunologie), dass bei schlechter psychischer Verfassung und Stress (das war ein Megastress für mich, wenn ich zu viele Kinder zu betreuen hatte und die dann ausgeflippt sind, etc.) das Immunsystem praktisch gelähmt wird und zunächst Infektionen (ich war permanent an den unterschiedlichen Formen der Grippe erkrankt, bevor der Krebs diagnostiziert wurde), und dann aber auch ernste Erkrankungen wie Krebs, erst überhaupt ermöglicht werden.

 

Ich bitte euch: Unterstützt mich bei meinem Bestreben als selbständige Künstlerin zu arbeiten. Leider sehe ich momentan keine Möglichkeit, dass ich in kurzer Zeit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Weder als Selbständige, noch als Angestellte. Und überlegt euch bitte eins: Nicht nur für mich ist es ein Megastress, wenn ich wieder entgegen meiner Überzeugung im Kindergarten oder einer anderen Institution arbeite. Auch für meine Kolleginnen ist es sehr anstrengend, da ich unsere Arbeit permanent in Frage stelle und die Kinder müssen unter der schlechten Stimmung leiden, die dadurch entsteht. Die Leitung muss sich mit Mobbing-Tendenzen gegen mich auseinander setzten. Es nutzt niemandem etwas!

 

Als Künstlerin kann ich der Gesellschaft nützlich sein. Ich schenke Freude und Schönheit.

 

Leider bin ich keine Geschäftsfrau. Hilfe die ich bräuchte, betrifft vor allen Dingen die Vermarktung. Ich müsste einen Führerschein machen, damit ich auf echte Künstlermärkte fahren kann, da meine Kunst für die normalen Touristenmärkte zu speziell ist. Ich glaube, dass es meine eigentliche Berufung ist, als Malerin zu leben.

 

Und wenn ihr nun insgeheim denkt: Ach, das möchte ich auch gern! Dann frage ich euch, warum ihr es nicht tut? Warum ihr ein System, das niemandem gut tut, aufrecht erhaltet mit eurer Arbeitskraft.

Wenn ihr aber eure Arbeit gerne tut, dann freue ich mich und bitte euch nur, mich gehen zu lassen und zu begreifen, dass ein bürgerliches Leben nicht für jeden gut ist.

Ich bin nicht gerne Sand im Getriebe, denn dabei wurde ich nur selber zermahlen und ich wünsche mir ein Leben am Rande der Gesellschaft, bei dem ich nicht unbedingt dem System, aber den Menschen dienen kann, mit meinen Talenten. Wo ich erfreue, beglücke, anrege selber kreativ zu werden.

Glaubt mir: das ist für alle besser so!

 

In echter Liebe und ohne jede persönlich gemeinte Anklage oder Wut, Eine Künstlerin

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Du sollst nicht der Gesellschaft nützlich sein, sondern dem Profit. Wenn das nicht möglich ist, dann eben als Verfügungsmasse des Jobcenters. Au ja, die Leut meinen es ja gut, wenn sie sich darstellen und zeigen, was sie alles können oder könnten, wenn man sie nur ..... die scheißen darauf. Das ist die Wahrheit. Wissen wir doch. Ich rat dir wenn es Probleme gibt, eher zu nen Anwalt. Noch haben Arbeitslose ein Recht auf Übernahme von Gerichtskosten.

Hallo,

danke für die Rückmeldung.

In dem Fall waren wirklich alle freundlich und sogar liebevoll. Vermutlich da sie ja auch von der Erkrankung wissen und ich Glück hatte an "menschliche" Exemplare zu geraten. Ich glaube,  dass meine Fallmanagerin in dem selben Konflikt steckt wie ich. Es ist schwer zu glauben, aber einige meinen es tatsächlich gut und haben auch ihre schlaflosen Nächte, wenn ihnen bewusst wird, dass sie Mensch in Krankheit und Tod treiben und dass dieses System eben nicht "hilft".

Leider gibt es extrem wenig Verständnis in der Bevölkerung, die immer noch meinen es sei sinnvoll Menschen zum arbeiten zu zwingen. Überleg mal: wir werden durch den Entzug unseres Grundrechte, der Freizügigkeit bestraft, weil wir arbeitslos sind. Das alleine ist ein ungeheurer Schock, der das Gefühl vermittelt, dass die Gesellschaft einem feindlich gegenüger steht...Und für die meisten Künstlerinnen ist das Leben in dieser Gesellschaft besonders schwer. Eine Freundin von mir, die eine große Künstlerin war, hat deshalb 2011 Selbstmord begangen. Sie hat einfach keine Perspektive mehr gesehen. Die meisten Künstlerseelen sind sehr sensibel und vertragen deshalb weder die Arbeitsbedingungen noch das Theater um Harz 4...

Ich glaube eben nicht, dass es "die" gibt. Klar, manchen ist es "scheißegal". Die haben die berühmte professionelle Distanz. Aber ob das löblich ist??? Und wessen Interessen vertreten werden, oder ob es einfach der falsche Gleube ist, dass das Leben eben leidvoll sei. Ohne dass die Menschen sich klar machen, dass sie nur selber dieses Leid erzeugen und nicht "das Leben". Das Leben ist eigentlich reine Freude.

Die Profitgier.. ich weiß. Aber noch nie hat die Befriedigung von reiner Gier irgend einen Menschen glücklich gemacht. Die Befriedigung von Bedürfnissen allerdings schon! Aller Bedürfnisse. Den körperlichen, emotionalen den geistigen und den spirituellen... Deshalb wiederstrebt es mir so, in einer Form Kinder zu betreuen, in der ich nicht annähernd in der Lage bin, ihre Bedürfnisse zu befriedigen! Lasst uns doch endlich diese finseren Zeiten vorbei sein lassen... Nähren wir nicht die Gier, und sorgen wir dafür, das alle zu essen haben, dass niemand stumpfsinnige Arbeit machen muss, und so weiter. Und das fängt erstmal bei uns selber an...