Verfassungsschutz: Ein mieses Spiel mit der Angst der Menschen

Erstveröffentlicht: 
31.05.2017
Die Bundesregierung hat Angst vor ihren Bürgern und verabschiedet immer neue Überwachungsgesetze. Doch dem Verfassungsschutz genügt das nicht, er will noch mehr Daten. Ein Kommentar von Kai Biermann

 

Jeder ist unschuldig, solange seine Schuld nicht bewiesen ist? Dieser mehrere Hundert Jahre alte Grundsatz gehört zum Fundament dessen, was wir als Rechtsstaat bezeichnen. Doch die Unschuldsvermutung gilt nicht mehr. Dem Staat sind längst alle Bürger verdächtig und er will sie stets im Blick behalten.

 

Das hat Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gerade wieder bewiesen. Maaßen will die gesamte Netzkommunikation in Deutschland mit Stichworten und Suchbegriffen durchforsten. Jedes im Internet gesprochene und geschriebene Wort soll der Verfassungsschutz abgreifen und auswerten können. "Wie der BND im Ausland brauchen wir im Inland die Möglichkeit zur strategischen Kommunikationsüberwachung mithilfe von Selektoren", sagte Maaßen – erst als Andeutung auf einem Podium während einer Sicherheitskonferenz und dann auch wörtlich der Rheinischen Post.

 

Anmerkung 1. Juni 2017: Das Bundesamt für Verfassungsschutz dementiert das obige Zitat von Verfassungsschutzpräsident Maaßen. Er habe den Satz so nicht gesagt, der entsprechende Bericht der Rheinischen Post sei falsch. Bei dem Symposium des Verfassungsschutzes forderte Maaßen aber allgemein "zusätzliche Ressourcen und Befugnisse". Die Sicherheitsbehörden müssten die nötigen Werkzeuge an die Hand bekommen, um der Terrorgefahr begegnen zu können. "Der Werkzeugkasten ist noch nicht wirklich voll." Die Sammlung von Informationen aus dem Umfeld von Verdächtigen müsse verbessert werden.


Dem Verfassungsschutz ist diese Art der Schleppnetzfischerei verboten. Er darf nur einzelne Personen überwachen und das auch nur, wenn er einen Verdacht gegen sie hegt. Maaßen genügt das nicht, es soll die ganz große Überwachung sein. Als Grund nannte er das böse T-Wort: Terrorismus.

 

Terrorismus dient immer als Begründung, wenn die Freiheit der Bürger eingeschränkt werden soll. Dank der großen Angst vor Terroranschlägen lassen sich Wähler und Gewählte jeden Unsinn andrehen.

 

Bürgerrechte? Was war das noch? Kurze Erinnerung: Sie wurden einst geschaffen, um den gegen einen mächtigen Staatsapparat hilflosen Menschen vor Überwachung und Willkür zu schützen. Denn Macht neigt dazu, missbraucht zu werden. Egal, was die jeweiligen Machthaber beteuern. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages hat sich gerade vier Jahre lang mit den modernen Methoden der Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst NSA und den Bundesnachrichtendienst beschäftigt und damit, wie diese Methoden Bürgerrechte verletzen. Es ging auch um Selektoren, wie Maaßen sie einsetzen will. Der Ausschuss förderte Schlamperei, Missbrauch und Gesetzesbrüche zutage. 

 

Schmutzige Tricks


Die Bundesregierung schert sich um solche Ergebnisse nicht. Was ist die Folge des Untersuchungsausschusses? Keine Einschränkungen der Geheimdienste, sondern vielmehr ein neues BND-Gesetz, das dem Nachrichtendienst all das erlaubt, was er bislang heimlich tat. Die Regierung traut ihren Bürgern nicht. Alleine im vergangenen Vierteljahr hat sie fünf neue Überwachungsgesetze installiert:

 

Am 9. März wurde die Videoüberwachung ausgeweitet. Am 27. April wurde im Bundestag beschlossen, dass nun auch in Europa Fluggastdaten genutzt werden dürfen. Am 18. Mai gab die Koalition aus Union und SPD die Erlaubnis, dass alle Dienste und Polizeibehörden die biometrischen Fotos aller Bürger für fast alle Ermittlungen verwenden dürfen. Vom 1. Juli an müssen alle Anbieter die Kommunikationsdaten ihrer Kunden sechs Monate lang speichern. Diese Vorratsdatenspeicherung, die in mehreren Gerichtsurteilen als gefährlich und illegal eingestuft wurde, wird damit Realität. Und gerade wird im Bundestag über den sogenannten Staatstrojaner verhandelt, über die Erlaubnis also, dass der Staat auch bei kleineren Vergehen die Kommunikationsgeräte seiner Bürger ausspionieren und verwanzen darf.

 

Dabei arbeitet die Bundesregierung sogar mit schmutzigen Tricks, um ihre Spionagewerkzeuge durchzudrücken. So wird nicht einmal mehr die Bundesdatenschutzbeauftragte vom Justizministerium angehört, wenn die Beamten dort eine neue Überwachung planen. Die Datenschützer müssen davon erst aus Medien erfahren. 

 

Simulierte Sicherheit


Es gibt bei der Sicherheit kein Genug. Auf jede neue Regelung folgt eine weitere Forderung nach mehr Daten, mehr Kameras, mehr Überwachung. Denn absolute Sicherheit ist nie zu erreichen. Ein jeder Wunsch, sobald erfüllt, kriegt augenblicklich Junge, sagte Wilhelm Busch. Ist so ein Gesetz erst einmal in Kraft getreten, wird es nicht etwa nach einigen Jahren überprüft und vielleicht wieder abgeschafft, wenn die anfangs beschworene Gefahr vorbei ist. Im Gegenteil, die Spähbefugnisse werden kontinuierlich ausgeweitet. Daten, von denen es eben noch hieß, sie würden nur in Ausnahmefällen gesammelt, werden regelmäßig und bei nichtigen Anlässen gespeichert.

 

Es ist ein mieses Spiel mit der Angst der Menschen. Statt teure Sozialarbeiter, Lehrer, Polizisten, Staatsanwälte und Richter einzustellen, die wirklich etwas verändern würden, wird den Bürgern nur mehr Sicherheit simuliert. So wächst langsam aber stetig ein Überwachungsstaat. 

 

Keep calm and go to Karlsruhe – bleib ruhig und ziehe vor das Bundesverfassungsgericht, wirbt eine Bürgerrechtsorganisation, die Klagen gegen eben solche Gesetze organisiert. Doch es ist schwer, angesichts der immer neuen, immer weiter gehenden, immer maßloseren Überwachungswünsche ruhig zu bleiben. Oder wie es ein bekannter Datenschützer am Rande einer politischen Veranstaltung gerade sagte: "Ich könnte kotzen, jede Woche neu."