Abschiebungsdebatte: Afghanistan ist nicht sicher

Erstveröffentlicht: 
31.05.2017

Wer Abschiebungen in das Land rechtfertigt, verschließt die Augen vor der Realität

 

NÜRNBERG - Mehr als 60 Menschen sind gerade vor der deutschen Botschaft in Kabul gestorben. Wer dieses Land sicher nennt, ist realitätsfremd, meint NN-Redakteurin Sarah Benecke. Anerkennung gebührt dagegen den Schülern, die sich in Nürnberg gegen die Abschiebung eines Klassenkameraden einsetzten. Die Polizeigewalt gegen sie ist eine Schande.

 

64 Tote bei Anschlag nahe deutscher Botschaft in Kabul. Afghanischer Polizist erschießt fünf Kollegen. 20 Tote bei Bombenexplosion in Afghanistan. Deutsche in Kabul getötet.

 

Das ist nur eine kleine Auswahl an Meldungen aus diesem Mai, zahllose ähnliche erreichten uns in den Monaten zuvor, fast täglich. Nach eines Anschlags nahe der eigenen Botschaft in Kabul hat die Bundesregierung die für heute geplante Sammelabschiebung nach Afghanistan zwar vorerst abgeblasen - allerdings wegen der Botschaftsmitarbeiter, nicht wegen der Gefahr für die Flüchtlinge. Alle vorherigen Anschläge hätten sie schließlich auch nicht daran gehindert. Als wäre nichts dabei, als wäre das Land größtenteils sicher und die Kampfzonen nur Nebenschauplätze.

 

Leider ist das völlig realitätsfremd. Die Hälfte des Landes am Hindukusch ist inzwischen Kriegsgebiet. Die Regierung in Berlin will es nicht so nennen, aber ja: Es tobt ein Krieg in Afghanistan zwischen dortigen Regierungstruppen und radikalislamistischen Taliban. Zwei Millionen Menschen sind innerhalb der Landesgrenzen vertrieben worden, rund um Kabul gibt es Flüchtlingscamps mit erbärmlichen Lebensbedingungen.

 

Und: Die Lage verschlechtert sich. Seit vergangenem Sommer sind immer mehr Tote zu beklagen.

 

Unfassbare Polizeigewalt gegen Schüler in Nürnberg

 

Abschiebungen in so ein Land sind nicht zu rechtfertigen. Möglich, dass es noch Regionen gibt, die weniger in Gefechte verwickelt sind. Aber wenn sich selbst das Rote Kreuz nicht mehr traut, seine Mitarbeiter ins Land zu lassen, ist es doch sehr schönfärberisch, von einem sicheren Staat zu reden.

 

Das wissen offenbar auch die dutzenden Schüler an einer Nürnberger Berufsschule, die einen Sitzstreik abgehalten haben, um die Abschiebung eines Klassenkameraden zu verhindern. Sie wollten ihm mit ihrem friedlichen Protest das Leben retten.

Es ist unerträglich und durch nichts zu entschuldigen, dass die Polizei die Lage heute eskalieren ließ. In was für einem Land leben wir denn, wenn Beamte gewalttätig gegenüber Schülern werden und sogar mit Polizeihunden auf sie losgehen? Und was für ein schreckliches Bild erzeugt das von unserer Demokratie?