Santiago de Chile: Bis die letzte Bastion der Gefängnisgesellschaft in Trümmern liegt.

Raus aus dem Knast!

Am 08.05.2017 versammelten sich vor dem Gefängnis San Miguel in Santiago, anti-autoritäre GenossInnen und Familienangehörige der 81 Gefängnisinsassen die am 08.12.2010 bei einem Brand innerhalb der Haftanstalt starben. Man erinnerte sich auch an Mauricio „El Punki“ Morales der im Jahr 2008, beim Versuch dieselbe Bullenkaserne mit einem Sprengkörper anzugreifen, starb. „Die Lebenskraft der Anarchie liegt darin, dass sie aufhört ein verdauliches Produkt zu sein und zu dessen Gegenteil wird: Ein scharfer und kraftvoller Stich gegen das System.“ - Mauri
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Bis die letzte Bastion der Gefängnisgesellschaft in Trümmern liegt. In Gedenken an Mauricio Morales und die 81 ermordeten Gefängnisinsassen der Haftanstalt San Miguel.

Am 22. Mai 2009 radelt in den frühen Morgenstunden eine in schwarz umhüllte Silhouette durch das Quartier ´Mata´. Sie eilt pausenlos voran, entschlossen für den Angriff. Sie bleibt stehen und zieht ihren Rucksack aus. Die Nacht ist ruhig und still, keine neugierigen Blicke, niemand bemerkt die schwarz gekleidete Gestalt. Plötzlich wird die gesamte Szenerie durch einen Lichtstrahl und eine heftige Detonation unterbrochen.
Um 01:24 Uhr erschüttert eine ohrenbetäubende Explosion die Straßen des alten Quartiers. Mitten auf der „Ventura Lavalle“- Straße liegt eine Person, der Geruch von Schwarzpulver umhüllt zum Abschied den leblosen Körper, nebendran ein Revolver Kaliber 32 mit nur einer Kugel in der Trommel…
So ist der Genosse/Bruder Mauricio Morales gestorben, die Bombe die eigentlich für die Schule der chilenischen Gendarmerie gedacht war, ist frühzeitig explodiert. Mauri ist auf der Stelle von dieser Welt gegangen, nur ein paar Meter von seinem Ziel entfernt.
Er wollte die nach Verwesung riechende Institution der Gendarmerie angreifen, weil er sich über die Rolle der Gefängniswärter und deren Verantwortung für die Einsperrung und Folter Tausender Menschen bewusst war. Sie verteidigen die Interessen der Autoritäten, sie sind unterwürfige Arschkriecher im Dienste der Mächtigen; in den Knästen sind sie die Despoten, das haben zahlreiche Gefangene und ihre UnterstützerInnen bereits zu spüren bekommen.
Es sind 8 Jahre seid diesem Vorfall vergangen, die Macht antwortete nach dem Tod Mauris mit unerschütterlicher repressiver Entschlossenheit: Es wurden Bilder publiziert, ihm nahestehende Personen verhaftet, Häuser unter lausigen Vorwänden durchsucht und zahlreiche Haftbefehle ausgesprochen. Doch auch nach 8 Jahren erinnern sich Verschwörer, antiautoritäre, schwarz-umhüllte Herzen und muntere Vermummte an Mauri.  
Mauri und seine freiheitlichen Ideen/Praktiken, erhellen weiterhin die Nacht, sie beflecken die Wände mit Farbe oder Papier, sie zirkulieren in verschiedenen Publikationen, sie umarmen die Herzen aller freiheitsliebenden Menschen welche die Freiheit als einen nicht verhandelbaren Wert verstehen auf den sie unter keinerlei Umständen verzichten werden.
Obwohl wir Mauri physisch nicht wahrnehmen können, ist sein Gelächter noch zu hören, er lacht weiter über die Richter, die Gendarmerie, die Staatsanwälte und die Polizei und positioniert sich im sozialen Krieg, er beschleunigt seinen Puls und ist in permanentem Konflikt mit der Autorität. 
Mauri suchte leidenschaftlich nach Erfahrungen, war immer bereit um mit seiner Hilfe beizutragen, egal wie, er hatte eine Menge Widersprüche und Fehler, aber auch die klare Gewissheit, bis zur letzten Bastion die Gefängnisgesellschaft vernichten zu wollen damit eine befreite Erde entstehen kann, ohne Herrschaft, ohne Kapitalismus, Lohnarbeit, ohne Ausbeutung, ohne Privateigentum, ohne Privilegien, ohne Machtpositionen.
Er beteiligte sich an Bücherverlage, riss Projekte an, schrieb Geschichten, Poesie, Lieder, Zeitschriften; betrieb Wandmalerei, blockierte Straßen, steigerte den Konflikt.  Anti-sozial, aber ein äußerst aufgeschlossener und einfühlsamer Menschen mit den Leuten um ihn herum. Er nahm eine große Herausforderung auf sich, entschloss sich für einen langen Lebensweg, suchte und eröffnete neue Pfade für die praktische Negation der Autorität, unabhängig von ihrem auftreten, egal ob freundlich oder brutal. .
Sein Lebensdrang, seine Möglichkeiten und Entscheidungen führten ihn in die Nähe des Todes, aber   es sind Entscheidungen wie diese die ihn wirklich so leben ließen wie er wollte. Ab 22. Mai 2009 ist ein Bruder gestorben der sich entschlossen hatte im Krieg zu leben, und auch wenn nicht alles in Freude mündet, bleibt dennoch ein immenser Stolz über diesen zurückgelegten Weg vorhanden.

Gute Reise Genosse, sei eins mit der Erde...

„Dem Leben muss notwendigerweise die vorzügliche Erhebung des Armes und des Verstandes geboten werden“ - Severino

 

 

Weshalb wir hier sind


Die Erinnerung an einen anarchistischen Genossen aufrecht zu erhalten, der vor diesem Knast im Kampf gegen die Gefängniswärter starb, derselbe Knast in dem der Staat und die Gendarmerie am 8. Dezember 2010  81 Insassen ermordeten, hat eine besondere Bedeutung und Wichtigkeit.
Der Platz auf den Straßen, dieser Bruch mit der Normalität der Stadt, haben sich die Familien der ermordeten Insassen mit hartnäckiger Entschlossenheit erkämpft, sie haben die Straßen in einen Erinnerungsort und Treffpunkt im Kampf gegen die Gefängnisse verwandelt, deshalb sind wir heute hier, in Gedenken an einen Genossen der bis zum letzten Tag seines Lebens die Gefängnisse bekämpfte.
Der Entscheid Mauris die Gefängniswärter anzugreifen ist das Resultat einer permanenten Suche nach Befreiung, ein fortschreiten durch verschiedene Pfade welche die Ideen, die Überzeugungen und die Praktiken derjenigen anspornen die sich in offener Feindschaft mit jeglicher Dynamik der Macht befinden.
Die Gefängnisse sind Folter- und Vernichtungszentren, sie sind elementare Bestandteile für die Aufrechterhaltung der Herrschaft die nur den Mächtigen dient. Die Gefängnisse sind eine latente Bedrohung, sie versuchen jeglichen Dissens einzuschüchtern. Die Gefängnisse sind Käfige in denen das Leben eingesperrt wird und Orte an denen die Logik der Hierarchie und der Herrschaft sich verdichtet.
Wir bekämpfen die Gefängnisse und Käfige weil wir die Freiheit lieben. Wie bekämpfen die Gefängniswärter weil wir die Macht verachten.
Schikanen, Demütigungen, Folterungen und Morde innerhalb der Gefängnisse sind eine historische Konstante. Egal wo sich ein Gefängnis befindet und egal welches Regime die Macht über das Gefängnis hat, es bleibt ein Produkt von autoritären Werten und reproduziert diese in seinen Fundamenten.
Am 8. Dezember 2010, bewegten sich unterschiedliche Bestandteile des autoritären Getriebes simultan; was wie ein Tag wie jeder andere anfing, mündete im größten Gefängnismassaker innerhalb des chilenischen Territoriums. Das wuchtige Feuer breitete sich schnell im Turm Nr. 5 des Gefängnis San Miguel aus und die Gendarmerie zeigte ihre beglückte und blutrünstige Maskerade: Aus angeblicher Angst ließen sie 81 Gefangene innerhalb des Gebäudes sterben.
Die Verantwortung für den Tod von 81 Menschen trägt nicht das Feuer sondern das Gefängnis und somit auch diejenigen die die Gefängnisse verteidigen und aufrechterhalten … Gefängniswärter, Richter, Anwälte und Polizisten sind Komplizen des Gefängnismassakers, wiedereinmal zeigt die Herrschaft, diesmal im demokratischen Kostüm, ihre wahre Absichten...Folter und Staatsterrorismus. Dennoch braucht es weder ein Feuer noch Dutzend Tote um zu wissen, dass diese Art der Gewalt, in den Vernichtungszentren, täglich stattfinden. Diese Gewalt ist eine beständige Praxis gegenüber den Gefangenen und deren Familien.
Es sind solche Situationen die Mauri zum Handeln führten, seine Perspektive war geprägt von der Praxis gegen die Gefängnisse, er versuchte stets solidarische Werte aufzubauen und die Trennung der Mauern zu durchbrechen, er hatte einen unbändigen Drang in Übereinstimmung mit seinen Ideen zu leben, ohne Passivität oder resignierender Unterwerfung. Er lebte in Autonomie und Freiheit. Mit Kohärenz und Entschlossenheit.
Nach dem Brand in San Miguel waren Politik und Gefängnisbehörden bemüht das Geschehene schnell in Vergessenheit zu bringen, einige Gefängnistrakte wurden saniert und im Jahr 2012 wurde die Haftanstalt in ein Frauengefängnis verwandelt. Hinter diesen Mauern sind einige Genossinnen eingesperrt. Wir senden unsere brüderliche Grüße an alle Gefangenen in den Käfigen von San Miguel.
Die Mächtigen wollen sich bei den Familien der 81 Ermordeten einschmeicheln und versuchen das Geschehene als simpler Kampf zwischen rivalisierenden Gruppen darzustellen, um so die langsame Todesmaschinerie, sie zum Wesen aller Gefängnisse gehört, zu verschleiern. Das Feuer ist die logische Konsequenz eines perversen Gefüges innerhalb dessen die Menschen, die in Käfigen leben müssen, vernichtet werden.
Die Macht versucht das Gedächtnis in die stille Gewässer der Institutionen zu treiben, als ob eine Lösung des Konfliktes innerhalb des legalen Rahmens einer Gesellschaft die 81 Menschen ermordete, gefunden werden könnte.
Deshalb ist unsere Präsenz hier auch eine Form um gegen die Amnesie und die Resignation zu rebellieren, wir machen mit glühendem Gedächtnis weiter.



Unsere Erinnerung ist schwarz, unsere Herzen auch.

 

Bald sind 8 Jahre seit dieser schwarzen Nacht im Mai vergangen in welcher der Körper eines anarchistischen Kämpfers seine letzte Reise unternahm. Wir bringen anhand der Praxis unseren Genossen, der physisch nicht mehr bei uns ist, in den anti-autoritären Pfad zurück.
8 Jahre sind vergangen seit dem Ideen und Überzeugungen in die offensive Praxis des Angriffs verwandelt wurden. Diese Entscheidung, mit Willen Verstand und Kraft voranzuschreiten, wurde von einem Genosse aus Fleisch und Blut, mitsamt seinen Ideen, Bestrebungen, Gefühle, Emotionen, Widersprüche und Mängel, getroffen.
Weder der Entschluss anzugreifen noch der Tod sind simple Statistiken für die Geschichte oder Bücher die festhalten was andere gemacht haben. Sie sind wertvolle Erfahrungen derer, die ihr Leben dem Kampf gegen die Autorität gewidmet haben, und diese Erinnerung am Leben zu halten ist die Aufgabe all derjenigen die denselben Impuls fühlen und die gleichen Mittel in die Hand nehmen; jeder auf seiner eigenen Art und Weise und aus seinem Blickwinkel, mit voller Autonomie.
Das rebellische Gedächtnis zu umarmen geht Hand in Hand mit dem schmerzlichen Verlust unserer GenossInnen, unserer geliebten Brüder und Freunde. Der Tod hinterlässt in der Tiefe unserer Gefühle niemals etwas positives, die Trauer ist in der Begegnung mit dem Tod immer vorhanden, aber das bedeutet nicht das wir daran zerbrechen müssen. Aus dem Tod, aus jedem wundervollen Leben unserer GenossInnen, muss eine neue Kraft und ein anarchistischer Wille gedeihen, neue Horizonte müssen sich eröffnen, um immer gegen diejenigen weiterzukämpfen die uns beherrschen wollen; nur das ist der beste Gruß an all diejenigen die sich auf diese Reise eingelassen haben.
Wir leugnen nicht das Gedenken an unsere GenossInnen, denn das würde einer Respektlosigkeit gleichkommen und die Würde des Kampfes untergraben. Die Gefühle der Zuneigung und der Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern stärken unsere eigenen Schritte. Wir leugnen nicht unsere Gefühle, vielmehr umarmen wir sie um aufrecht den Kampf fortzuführen.  
Wir sprechen über unsere Toten weil sie Teil unseres Weges sind, in ihnen haben wir gemeinsame Ideen und Praktiken gefunden, daher können wir uns trotz räumlicher oder intergenerationaler Distanz, als Teil desselben Kampfes fühlen. Unsere Tote sind Dünger für antiautoritäre Perspektiven und sie sind der schwarze Samen der Konfrontation, sie stärken die Aktualität der Revolte und bleiben in jedem Akt gegen die Autorität bestehen.
Die lebendige Erinnerung ist anti-autoritäre Aktion. Lebenswege, Kämpfe, Tote, oder Gefangene in Erinnerung zu rufen ist ein wichtiger Bestandteil für die Bekämpfung des Gegebenen. Erinnerungen sind nicht nur auf emotionaler und psychischer Ebene wichtig, sie sind in ihrem Wesen dass was dem Kampf unzähliger GenossInnen über Jahrhunderte der Unterdrückung,  eine historische Kontinuität geben. Unsere Geschichte ist durch schwarze Fäden verwoben.
 Unsere Tote bilden keine statische Vergangenheit, die Kraft ihrer Leben, die Erfahrungen ihrer Wege, wirken sich auf unseren alltäglichen Kampf aus, sie sind in und zwischen uns vorhanden und stärken uns in unseren eigenen Herausforderungen.
Wieso sagen wir dass sie hier sind? Weil ihre Ideen, ihre Aktionen, alle schwarze Samen die sie gesät haben, motivieren und inspirieren neue GenossInnen. Sie sind hier, unter denen die verschiedene Aktivitäten anreißen, sie bemalen Wände, besetzen Häuser, schreiben Lieder/Propaganda, blockieren die Straßen und steigern den Konflikt.
Die Verbreitung der Kraft die in dem Leben derjenigen GenossInnen präsent war die heute physisch nicht mehr unter uns sind, ist eine unerlässliche Aufgabe um unsere Gegenwart zu nähern, um nicht zu vergessen und die Zukunft der permanenten Insurrektion zu verstärken.
Wir umarmen in jeder anti-autoritären Aktion unseren Genossen Mauri der mit den Kräften der wilden Natur verschmolzen ist, wird sind stolz und glücklich dass unsere Wege sich treffen durften. Aus der ikonoklastischen Erinnerung heraus, weit entfernt von Altären und Idealisierungen, begleiten unsere Toten unsere Schritte.
Bis die letzte Bastion der Gefängnisgesellschaft zerstört wird! Nichts ist vorbei, alles geht weiter.
Keine einzige Minute des Schweigens, nur ein lebenslanger Kampf.
Kollektiv Sacco y Vanzetti
Mai 2017