Die erschütternde Nüchternheit der Geisteskranken (zur Rezension in der konkret 4/17)

Regen

Während unserer manischen Phasen kommt es bisweilen vor, dass wir einfach unbedacht und willkürlich irgendwelche Zeitschriften kaufen. So sind wir auf die Rezension des Buches Kalifat und Barbarei in der konkret Nr. 4/17 gestossen. Sie wurde von Friedrich C. Burschel geschrieben, er ist Journalist und Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Wenn der Staat seine Dienste zur Verteidigung der Demokratie benötigt, ist er als guter Demokrat selbstverständlich zur Stelle, so war er z.B. Leiter der Landeskoordinierungsstelle „Bayern gegen Rechtsextremismus“.

 

Unglücklicherweise leidet er offensichtlich an akuter Dyslexie, denn er glaubt tatsächlich, es gehe dem Autor darum, „beim IS emanzipatorische Elemente […] herauszuarbeiten“. Der Autor kommt jedoch auf S. 83 zu folgendem Schluss: „ Als Tagtraum und neue Phase eines Albtraums kann diese gigantische, reaktionäre ZAD rund um den Tigris und den Euphrat nur als monströse Variante einer kapitalistischen Weltordnung verstanden und bekämpft werden, dessen Feind sie vorgibt zu sein.“ Eine Lobrede tönt definitiv anders.

Vermutlich vermisst der Kritiker die Gegenüberstellung von westlicher Zivilisation und islamistischer Barbarei. Darauf deuten seine Empörung darüber, dass der IS so etwas vermeintlich positives wie einen Rechtsstaat aufbauen könnte, und die Beschreibung desselben als „faschistoid-repressiv“. Der Hinweis auf die Repression ist trivial, jeder Staat benutzt sie. Die Charakterisierung des IS als „faschistoid“ dürfte hingegen Teil seines politischen Programms sein. Der Duden definiert das Adjektiv folgendermassen: „faschistische Züge zeigend“. Der Erkenntnisgewinn ist also nahe bei null, denn der Begriff ist dermassen vage, dass letztendlich alle Staaten so beschrieben werden können. In Teilen der deutschen Linken versucht man permanent den Islamismus in die Nähe des Nationalsozialismus und des Faschismus zu rücken, damit man endlich die Geschichte als Farce wiederholen und mit dem Aufbau einer neuen Allianz beginnen kann.

 

Historisch betrachtet hat der zeitgenössische Islamismus damit allerdings herzlich wenig zu tun. Obwohl die ideologischen Wurzeln in den Debatten innerhalb der Muslimbruderschaft zu finden sind und diverse theologische Elemente schon seit Jahrhunderten von islamischen Gelehrten diskutiert werden, kann man die gegenwärtige Form des jihadistischen Salafismus nicht verstehen, wenn man sich nicht mit der kapitalistischen Restrukturierung seit den 1970er Jahren befasst. Der Ölpreisschock 1973 führte dazu, dass man in Saudi-Arabien plötzlich viel mehr Kleingeld zur Verfügung hatte als geplant. Zu diesem Zeitpunkt begann das saudische Königshaus eine gewaltige ideologische Offensive zur Verbreitung des Wahhabismus. Weltweit wurden (und werden immer noch) Koranschulen und Moscheen finanziert und so löste der Islamismus nach und nach den panarabischen Nationalismus als vorherrschende Ideologie der rebellischen Jugend ab [1].

 

Théorie communiste hat den Islamismus 2003 als „Opposition innerhalb der Globalisierung“ bezeichnet, „die ihr beinahe inhärent ist und sich auf ihrem Niveau und in den gleichen Begriffen wie sie situiert, sie konstituiert sich nicht einmal als Alternative zu ihr. Sie ist nicht ihr Widerspruch, sondern ihr Schatten“ [2]. Karl-Heinz Lewed kommt in einem etwas jüngeren Text zu einem ähnlichen Schluss: „Den zentralen Widerspruch, auf welchen die islamistische Ideologie des Niedergangs verweist, könnte und kann nur in der Tatsache gefunden werden, dass, obwohl der Rahmen der gesellschaftlichen Netzwerke auf modernen Formen beruht, die Universalisierung der Produktion abstrakten Reichtums in diesen Formen scheiterte. Sie repräsentiert eine spezifische ideologische und (post)politische Form des Niedergangs der vereinnahmenden Modernisierung, womit sie als solche an der Kontinuität dieses Prozesses beteiligt ist. Sowohl die Entstehung, als auch der Niedergang der Form des Nationalstaates sind konstitutiv für die Entstehung des Islamismus.“ [3]


Der Islamismus ist also weder eine archaische Form des Islams, noch ein entferntes Enkelkind des Faschismus und/oder des Nationalsozialismus. Er ist ein zutiefst modernes und postmodernes Phänomen, das mit sterilen Extremismusvergleichen nicht erfasst werden kann. Diese Modernität zeigt sich notabene – auch wenn man darüber erstaunt sein mag – in seinem Frauenbild. Im Gegensatz zum traditionellen Fundamentalismus darf sich die Frau im Islamismus unter gewissen Umständen an der öffentlichen Sphäre beteiligen. Hierin findet man die konzeptuelle Erklärung für die Bedeutung jener Tatsache, welche unser Kritiker für so nebensächlich hält, nämlich dass Frauen in Raqqa ein Auto lenken dürfen, aber nicht in Riad. Olivier Roy stellte das schon 1992 fest: „Die Frauenfrage ist […] einer der Punkte des Bruches des Islamismus mit dem traditionellen Fundamentalismus. Die Islamisten halten die Rolle der Frau in der Bildung und der Gesellschaft für wesentlich. Sie sehen sie als Person und nicht mehr nur als Instrument zur Befriedigung der sexuellen Begierde und zur Reproduktion.“ [4] Natürlich ist das alles nicht gleichbedeutend mit jeglicher emanzipatorischen feministischen Perspektive, doch das wird im Text auch nirgends behauptet. Weiter ist der Vorwurf unhaltbar, dass die Massaker gegen Jesiden und anderen als „ungläubig“ qualifizierten Gemeinschaften nirgends erwähnt werden. Vermutlich hat unser Kritiker die Seite 74 versehentlich überblättert, darum helfen wir ihm ein bisschen nach: „Und die ermordeten, vergewaltigten und versklavten schiitischen, christlichen und jesidischen Frauen? […] Sie verdienen dieses Schicksal, weil sie in der Logik des IS juristisch nicht in die Kategorie ‚Frauen‘ gehören, dazu gehören nur muslimische Frauen.“

 

Auch was den Antirassismus betrifft, wurde nirgends behauptet, Raqqa sei die bunteste Stadt der Welt. Der antirassistische Diskurs des IS ist allerdings eine Tatsache, denn im Kalifat wird die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft nicht durch die Nation, sondern durch die Religion bestimmt. Es gibt kein Volk, nur die Umma. Das führt durchaus auch manchmal zu Spannungen, so beklagten sich beispielsweise die Kämpfer des Kalifats, als sie die libysche Küstenstadt Sirte noch kontrollierten, über den Rassismus der lokalen Bewohner. Als Reaktion berief der IS ein „Versöhnungstreffen“ ein und warnte die Bewohner in einem Flugblatt, dass Rassismus nicht toleriert werde [5]. Selbstverständlich lässt sich der Rassismus nicht per Dekret abschaffen, das beweist ein britischer IS-Kämpfer, der sich in einem ausführlichen Text über die angeblich schlechten Manieren seiner arabischen akhis beklagt [6].

 

Mit diesen paar Absätzen sind die grundlegendsten Verleumdungen unseres Kritikers wohl widerlegt. Tristan Leoni meinte zwar, mit Leuten, die nicht lesen können, lohne es sich nicht, zu diskutieren, und damit hat er grundsätzlich recht. Trotzdem kann eine solche Rezension voller Lügen und Beleidigungen nicht unkommentiert stehen gelassen werden. Burschel mag empört sein über die erschütternde Nüchternheit eines Autoren, der davon ausgeht, dass man den Lesern nicht erklären muss, dass man Massenvergewaltigungen oder andere Grausamkeiten verurteilt. Und da er von der Materie des Buches vermutlich wenig bis gar nichts versteht, begnügt er sich damit, uns zu beleidigen. Er glaubt, die Taten des IS seien „wesentlich kriminell“ und vergisst dabei, dass Kriminalität definitionsgemäss keine Essenz ist, sondern von der herrschenden Gesetzgebung definiert wird. Diese Bemerkung entlarvt seinen sozialdemokratischen Standpunkt, denn im Gegensatz zu unserem Kritiker wollen wir weder Fanta, noch Fatwa, sondern schlicht und einfach den Kommunismus.

 

13.05.17

 

Doc Sportello

 

Quelle

 

[1Siehe u.a. Gilles Kepel, Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, Piper, 2002 (2000), S. 85-102.

[2Théorie communiste, „Pétrole, sexe et talibans“ in: Théorie communiste, Nr. 18, 2003, S. 114.

[3Karl-Heinz Lewed, „Curtains for Universalism: Islamism as Fundamentalism in Modern Social Form“ in: Neil Larsen (et al., Hg.), Marxism and the Critique of Value, MCM‘ Publishing, 2014, S. 295.

[4Olivier Roy, L‘Échec de l‘Islam politique, Seuil, 1992, S. 82.

[6Siehe Abū Sa’eed Al-Britānī, „Culture Clash: Understanding the Syrian Race“, 24. August 2015.

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"Der Hinweis auf die Repression ist trivial, jeder Staat benutzt sie. Die Charakterisierung des IS als „faschistoid“ dürfte hingegen Teil seines politischen Programms sein. Der Duden definiert das Adjektiv folgendermassen: „faschistische Züge zeigend“. Der Erkenntnisgewinn ist also nahe bei null, denn der Begriff ist dermassen vage, dass letztendlich alle Staaten so beschrieben werden können."

 

Wollt ihr mich verarschen? Das soll ein Gegenargument sein?

Jeder Staat benutzt repression und jeder Staat ist irgendwie faschistoid. Außerdem schauen wir zur theoretischen Reflexion in den Duden. Das ist doch eine geistige Bankrotterklärung.

Wenn ale Staaten irgendwie gleich böse repressiv und faschistoid sind, dann können wir auch gleich die gesamte internationale Soliarbeit einstellen, weil es ja nach eurer Definition nirgends wirklich schlimmer oder besser sein kann, also z.B. hier.

Deine Schlussfolgerung wird im Text nirgends gezogen. Natürlich sind nicht alle Staaten gleich repressiv, aber sie sind alle Teil der kapitalistischen Weltgesellschaft und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Der Duden scheint mir als definitorische Grundlage durchaus passend, oder insinuierst du, dass ich jetzt alle Antifa-Pamphlete der letzten 30 Jahre lesen sollte, um mitreden zu dürfen? Deine Argumentation läuft darauf dein Hier gegen irgendein Dort zu verteidigen, und nein, zu deiner Beruhigung, niemand hat es darauf abgesehen jemanden zu verarschen, es war eigentlich alles ganz nett gemeint.

nett gemeint war weder die Rezension, noch der Artikel hier. Das ist ja auch ok so.

 

Und nein: Für Begriffe wie "faschistoid" ist der Duden keine passende Quelle. Und ja: Wenn du "mitreden" willst ist es hilfreich, wenn du dich in der Thematik auskennst. Hier wären das z.B. Faschismustheorien. Wenn du dich nciht so gut auskennst ist das kein Problem. Dann kann man nachfragen. Aber einfach eine inhaltlich völlig unbestimmte Definition aus dem Duden zu nehmen (der ja die inhaltliche Unbestimmtheit gerade zum Prinzip hat), die einem dann nicht weiterhilft und das dann dem Autor ankreiden zu wollen ist schlicht und ergreifend peinlich.

 

Meine Schlussfolgerung ist eine logische Konsequenz aus den Thesen des Text. In der formalen Logik nennt man dieses Argumentationsmuster reductio ad absurdum. Es geht also garnicht darum irgendwem zu unterstellen, dass genau das gesagt wurde, sondern darum auf die absurden Konsequenzen einer Argumentation aufmerksam zu machen. Konkret: Die im Text verfolgte Argumentation halte ich für absurd, weil sie in dieser Form die Konsequenz hat, dass man gar keine Unterschiede zwischen irgendwas mehr machen kann und es folglich auch keine Grundlage für Solidaritätsarbeit mehr gibt, weil man nicht mehr ausmachen kann, wer warum gerade Solidarität braucht. Die Argumentation im Text (und auch in deinem Kommentar) lässt alles zu einem undurchsichtigen Brei verschwimmen, der mehr vernebelt als das er Klarheit schafft. Sie ist zu abstrakt um inhaltlich relevant zu sein.

 

Und ja: Ich würde jederzeit "mein Hier" gegen verhältnisse verteidigen, wie sie im so genannten "Islamischen Staat" herrschen. Genau so wie ich sie jederzeit gegen Faschisten jeglicher Couleur verteidige oder gegen die Angriffe des Neoliberalismus. Das ist doch selbstverständlich. Solche Verteidigungskämpfe sind notwendig. Insbesondere in einer Situation in der sich Bewegungen für eine befreite Gesellschaft tendenziell eher in der Defensive befinden.

Du bist es, der hier die Dinge durcheinander bringt. Dann liefere mir doch bitte eine "antifaschistische" Definition von faschistoid, ich bin gespannt. Zudem argumentierst komplett am Text vorbei, es ging darum, dass es letztendlich müssig ist, zu diskutieren, ob der IS faschistoid ist oder nicht, da der potenzielle Erkenntnisgewinn dabei gleich null ist. Argumentiere doch zumindest, warum bitte schön der IS faschistisch oder faschistoid sein soll, anstatt einfach zu behaupten.

 

Das Argumentationsmuster des Textes läuft darauf hinaus, dass man den Kapitalismus als Totalität analysieren sollte, nicht einzelne seiner Akteure nach moralischen Gesichtspunkten. Von welcher Solidaritätsarbeit sprichst du denn genau?

 

Wie würdest du denn "dein Hier" genau verteidigen? Was hälst du denn genau für verteidigenswert? Die proletarische Selbstverteidigung sollte sich nie auf die Bourgeoisie verlassen. Wenn du unsere Demokratie mit einer befreiten Gesellschaft verwechselst, bist du tatsächlich schwer in der Defensive. Und wer überall die Etikette "Faschismus" draufkleben will, sollte mir nicht vorwerfen, einen undurchsichtigen Brei zu präparieren.

Wenn du dich mit den Begriffen Faschistoid oder Faschistisch auseinandersetzen möchtest ist ein relativ guter anfang der Wikipedia-Artikel zu Faschimustheorien (nicht der zu Faschismus). Aus einer explizit linksradikalen Perspektive ist auch der Blog http://faschismustheorie.de/ interessant. Dort ist unter anderem auch eine Artikelserie aus dem AIB dokumentiert, die sich um die Frage eines angemessenen Faschismusnbegriffs in der raikalen Linken dreht und dabei unter anderem auch die Frage stellt "Können Faschismustheorien bei der Analyse des Islamismus helfen?" ( https://www.antifainfoblatt.de/artikel/k%C3%B6nnen-faschismustheorien-be... ).

Der Text argumentiert, dass das Adjektiv "faschistoid" keine Erkenntnisgewinn brigt, weil ihm der Duden keine nährere inhaltliche Bestimmung gibt. Im Gegensatz zum adjektiv "faschistoid" ist es diese Argumentation, deren Erkenntnisgewinn gleich Null ist. Das die Frage ob der IS als faschistoid einzuschätzen ist oder nicht irrelevant sein soll ist darüb er hinaus harter Tobak. Am besten wir teilen die Welt nur noch in "Gut"und "Böse" ein, weil alles andere überflüssig ist oder wie?

"Faschistoid" ist darüber hinaus kein moralisches Urteil. Wenn man ausschließlich den Kapitalismus als Totalität analysieren möchte, dann viel Spaß im Kapital-Lesekreis. Ein Buch, eine Rezension und eine Replik auf eine Rezension zum IS braucht man dann aber weder zu schreiben, noch zu kommentieren.

 

Ich habe darüber hinaus weder "überall" die Etikette "Faschismus" drauf geklebt, noch die bürgerliche Demokratie mit der befreiten Gesellschaft gleichgesetzt, noch irgendetwas über das Verhältnis proletarischer Selbstverteidigung zur Bourgeoisie gesagt.

Wenn dir wirklich nicht einfällt, was man denn an den Verhältnissen hier evtl. verteidigen könnte, dann frag doch mal einen eritreischen Geflüchteten, ob er seine Flucht nicht auch irgendwie sinnlos findet, weil er durch die kapitalistische Totalität und den Verblendungszusammenhang doch irgendwie immer noch unterdrückt wird. Oder frag mal die kurdischen Genoss*innen, warum sie eigentlich hier und nicht in den türkisch besetzten Gebieten von Kurdistan leben, wenn doch Staat gleich Staat und Repression gleich Repression ist. Frag doch mal die feministische Gruppe deiner Wahl, was das eigentlich gesollt hat, das sie sich dafür eingesetzt haben, dass Vergewaltigung in der Ehe rechtlich verfolgt wird, statt mit schlauen Texten über den Fetischcharakter der Ware aufzuklären.

Wenn dir dazu echt nur einfällt, ich würde mich "auf die Bourgeoisie verlassen", die Demokratie mit der befreiten Gesellschaft verwechseln und über all die Etikette Faschimus drauf kleben wollen, dann weiß ich ehrlich gesagt auch nich weiter.

Einerseits wundert es mich, dass Du die Verhältnisse "hier" von irgendwas anderem trennen kannst und willst, als ob die Verhältnisse "hier" auf einer abgekoppelten Insel entstanden wären, und nicht durch die ursprüngliche Akkumulation, also Versklavung, Ausbeutung, Rohstoffraub, etc.

 

Denke vielleicht einmal an Berthold Brecht:

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an,
und der Arme sagte bleich: ‚Wär ich nicht arm wärst du nicht reich.’“

 

Andererseits frage ich mich, wo den da behauptet wird das "Staat gleich Staat und Repression gleich Repression" ist. Das der IS der neue Faschismus ist, ist eine These die anscheinend in dem Buch nicht geteilt wird, die Konkret aus Hamburg aber schon vertritt.

Die Genese des Faschismus ist eine zutiefst europäische, christliche, und ist verknüpft mit dem Erstarken revolutionärer Kräfte nach dem 1. Weltkrieg. Entstanden ist er in entwickelten, industrialisierten Gesellschaften, wohingegen der IS in der Perpiherie floriert.

Wenn der IS faschistoid oder faschistisch ist, frage ich mich, welche Gewerkschaft er zerschlagen hat, welches Mehrparteiensystem und welches Parlament er zerschlagen hat, wo die "rassische" Überlegenheit ist, welche der historische Faschismus IMMER implizierte (sei es der "neue italienische Mensch" oder der "Arier"). Das einzige, was mir auf die schnelle einfällt, und was diese beiden Bewegungen vielleicht verbindet, ist ihr Todeskult und (im Falle des deutschen Faschismus) der Antisemitismus. Der deutsche Faschismus ist aber eine Sonderform und Singularität.

Warum kann der IS nicht als "theokratisch" bezeichnet werden, ist das nicht "schlimm" genug?

 

Gerade als Antifaschist will ich mich nicht zum "Demokratieverteidiger" machen lassen, und finde eine inflationäre Verwendung des Begriffes Faschismus falsch.

Der Hauptfeind steht immer im eigenen Land, insofern geht mir das ständige Fernfuchteln und Faschismus-Diagnostizieren, irgendwo anders, ganz weit weg, schon am Arsch. Es wundert mich auch sehr, dass dies nun auch in der Konkret so stark passiert.

Ich werde mir deine Links genauer anschauen und dann etwas ausführlicher reagieren, der Text im AIB verkörpert genau jenen Ansatz, den ich kritisiere. Entgegen jeglicher historischer Offensichtlichkeit wird einfach behauptet, solch ein Vergleich sei nützlich, ohne dass auch nur irgendwie zu belegen. Dann kommt man zur klassischen antifaschistischen Schlussfolgerung, nämlich dass man sich mit "Linken" (sprich in den meisten Fällen Stalinisten und Sozialdemokraten) verbünden sollte, um alle gemeinsam unsere ach so schöne Demokratie zu verteidigen.

 

Deine Vorwürfe sind zudem einmal mehr komplett absurd, mein Ziel ist es eben genau, die Welt nicht in Gut und Böse (oder antifaschistisch und faschistisch, wie du es formulieren würdest) einzuteilen, sondern sie zu verstehen. Dein Glaube an deine moralische Überlegenheit führt dazu, dass du glaubst, nicht mehr argumentieren zu müssen. Dein überheblicher Ton fällt dir vermutlich nicht einmal auf, weil du ihn für dermassen gerechtfertigt hälst.

 

Am Schluss nimmst du gar noch Geiseln, um die hiesigen Verhältnisse zu verteidigen. Alle eritreischen "Gefüchteten", kurdischen "Genoss*innen" und feministischen Gruppen sind also auf deiner Seite, Amen. Du legst mir einmal mehr Zeug in den Mund, dass ich so nicht gesagt habe. Immerhin gestehst du im letzten Satz implizit ein, dass du argumentativ nichts zu bieten hast.

Ich habe an keiner Stelle moralisch argumentiert. Dein Vorwurf, ich würde Geiseln nehmen ist im Gegensatz dazu eine astreine Moralisierung. Ich habe nie gesagt, das irgendwer auf meiner Seite wäre. Aber es gibt Gründe, warum Menschen hier her fliehen und es gibt Fortschritte, die hier erkämpft wurden und die es natürlich zu verteidigen gilt. Du kommst statt dessen wieder mit nichtssagenden Andeutungen zur abstrakten Totalität des globalen Kapitalismus und der ursprünglichen Akkumulation um die Ecke. Natürlich hängen die Verhältnisse hier mit Ausbeutung und Unterdrückung z.B. im globalen Süden zusammen bzw. sind zum Teil darin begründet. Das ist eine schöne Erkenntnis für den Lesekreis und für die unversöhnliche Kritik der Verhältnisse. Ich weiß nicht ob das jetzt wieder eine Moralisierung deinerseits ist, aber sollen wir jetzt aus schlechtem Gewissen das bisschen Freiheit was wir hier haben deswegen aufgeben? Oder denkst du das sich an der Ausbeutung auf der Welt irgendetwas ändert, wenn wir morgen alle zu unserem Chef gehen und ihm sagen, dass wir jetzt gerne für einen Hungerlohn arbeiten würden, weil unser hohes Lohnniveau nur auf dem Rücken der Menschen im globalen Süden möglich ist?

 

Du sagst, du willst die Welt verstehen und das du das tust indem du das Adjektiv "faschistoid" für nichtssagend erklärst. Dafür hast weder du noch der Text irgend ein Argument geliefert (außer halt das mit dem Duden). Wenn aber alles, was ein Phänomen inhaltlich näher bestimmen würde von das als nichtssagend erklärt wird, dann bleibt halt nicht mehr übrig als "gut" und "böse". Da kannst du noch so sehr beteuern, dass du die Welt verstehen willst. Man kann das Adjektiv "faschistoid" für falsch oder zu ungenau oder was weiß ich halten. Aber zu sagen es sei nichtssagend, wenn man etwas als faschitoid bezeichnet halte ich für Unfug.

 

Ich halte dein Argumentation bzgl. IS und  Faschismus für mechanistisch und histor(ist)isch verkürzt. Aber immerhin ist das eine Grundlage auf der man streiten kann. Meine ursprüngliche Kritik am Artikel hier bezog sich vor allem auf dieses bescheurte Duden-"Argument". Auch wenn das jetzt vielleicht enttäuschend ist, aber ich habe nicht vor mit dir hier weiter darüber zu diskutieren ob man den IS als faschistoid bezeichnen kann/muss oder nicht. Ich führe solche Debatten lieber in meinen real-life politischen Kontexten in denen man dann auch überlegen kann, wie man mit seinen Erkenntnissen so umgehen kann, dass sie auch anderen was bringen. Mein Punkt hier war, dass die Argumentation im Artikel bescheuert ist.

 

Meine etwas polemischen Ausführungen haben ihren Grund darin, dass ich nach den ganzen Worthülsen im Kommentar davor ("den Kapitalismus in seiner Totalität analysieren", "die Proletarische Selbstverteidigung darf sich nicht auf die Bougeoisie verlassen",...) erstmal nicht mehr davon ausgegangen bin, dass du die Diskussion hier ernst nimmst. In den Mund gelegt habe ich dir weiterhin garnichts. Ich habe höchstens Argumente von dir genommen, sie konsequent weitergesponnen und bin dabei bei Schlussfolgerungen gelandet bei denen ich davon ausgegangen bin, dass du sie genau so wenig teilst wie ich.