Zum 1. Mai-Schwindel

Schon vor 125 Jahren war es klar: "Man hat bisher geglaubt, die Mai-Demonstrationen für anarchistische Propaganda ausnutzen zu können, weil dann die Massen einmal zusammen waren, wer jedoch dieses versucht hat, wird sich bald von der Nutzlosigkeit seines Beginnens überzeug haben, denn bei diesen Demonstrationen ist alles andere eher, wie eine revolutionäre Stimmung zu suchen, und ohne eine solche ist verflucht wenig zu machen."

 

"Seit auf dem, 1889 in Paris stattgefundenen socialdemokratischen Congresse „beschlossen“ wurde, den 1. Mai in Zukunf als einen Feiertag in der ganzen civilisirten Welt festlich zu begehen, hört man alljährlich, kurz vor dem 1. Mai ein grossartiges Summen und Brausen, als rüste man sich zu einem entscheidenden Kampfe, und wenn der 1. Mai dann vorüber ist, und man erhält die ersten Nachrichten von der Bewegung, dann hört man nichts anders, als dass das Ganze nur ein klägliches Spiel war. Je grösser das Geschrei vorher, desto grösser war auch jedesmal der Reinfall. – Es ist auch gar nicht anders möglich, es lässt sich auch gar nicht denken, dass diese „organisierten“ 1. Mai-Demonstrationen etwas erspriessliches hervorbringen werden. In vielen Fällen sind diese Demonstrationen, welche für den „Achtstundentag“ Propaganda machen sollen (wie zu erwarten war), in die reinsten Saufgelage ausgeartet. –

Für uns Anarchisten hat diese Spielerei, dieses ewige demonstriren und protestiren absolut keinen Werth, wir müssen mit THATEN aufwarten, mit INDIVIDUELLEN ACTIONEN; wir müssen unser ganzes ICH einsetzen, im anderen Falle bleiben wir nur leere Schwätzer und blosse Maulhelden. – Für einen Anarchisten soll JEDER TAG der 1. Mai sein. – –

Man hat bisher geglaubt, die Mai-Demonstrationen für anarchistische Propaganda ausnutzen zu können, weil dann die Massen einmal zusammen waren, wer jedoch dieses versucht hat, wird sich bald von der Nutzlosigkeit seines Beginnens überzeug haben, denn bei diesen Demonstrationen ist alles andere eher, wie eine revolutionäre Stimmung zu suchen, und ohne eine solche ist verflucht wenig zu machen. – Bei Zusammenrottungen von Arbeitslosen und Hungrigen, wie vor kurzem in Berlin, hat man viel mehr Aussicht auf Erfolg, hauptsächlich deshalb, weil hier die ALLES HEMMENDE ORGANISATION fehlt, wo jeder durch die elementare Gewalt des HUNGERS zu Handlungen, zu INDIVIDUELLEN Handlungen GETRIEBEN wird, und hier soll jeder Revolutionär den Massen mit GUTEM BEISPIEL vorangehen. – –

Wir wollen hier freilich nicht sagen, dass man die Demonstrationen gänzlich meiden soll, denn das wäre ebenfalls nicht richtig (ein aufrichtiger Revolutionär MUSS IMMER AM PLATZE SEIN), aber man soll nicht zu hochgespannte Erwartungen an derartige Demonstrationen knüpfen. Wenn sich am 1. Mai die Gelegenheit bietet zu einer rebellischen That, dann muss man unbedingt diese Gelegenheit benutzen, wie man sie überhaupt IMMER benutzen soll. Aber den 1. Mai zu „feiern,“ nur um zu demonstriren, dürfen wir ganz entschieden nicht. THUN WIR ES, DANN VERLEUGNEN WIR DEN REVOLUTIONÄREN CHARACTER. – –

Die ewige Träumerei und Dahinschlepperei muss endlich ein Ende nehmen, wir müssen uns stets unserer Sache klar bewusst sein, wir dürfen uns nnicht mit unseren Todfeinden, den Bourgeois in Unterhandlungen einlassen. Die FRIEDLICHEN Demonstrationen werden von den Schurken nur belächelt, weil sie in denselben absolut keine Gefahr für sich erblicken, aber ihr Lächeln wird verstummen, wenn sie sehen, wie Dynamitbomben links und rechts ihre Reihen lichten. Glühender Hass den Bourgeois und denen, die bourgeoismässig handeln, denken und sprechen!

DAS SEI UNSERE LOSUNG! – –"

 

[Der Communist No. 6, London, 30. April 1892]

 

[wurde vor drei Jahren auch in der anarchistischen Zeitschrift Wolja abgedruckt]

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Ein Text von 1892? Interessant, aber könnte man nicht vielleicht sagen: "DAS IST VERALTET!"? (und war vermutlich damals auch schon umstritten, auch in anarchistischen Kreisen)

Genauso veraltet übrigens wie die (pseudo-)individualistischen, z.T. mörderischen Taten der "Propaganda durch die Tat"...

Für einen Anarchismus der massenfähig ist!

Der Text mag alt sein, ist aber alles andere als veraltet.
ganz im gegenteil. er ist aktueller denn je. das solltedoch nun wirklich leicht zu erkennen sein

Mit 16 war ich ein relativ unpolitischer DDR-Bürger. Anarchismus war damal für mich sowas ähnliches wie die Punkbewegung. Wild, chaotisch, Schreck der Gesellschaft. Heuer, bald 30 Jahre später, beginne ich die Anarchisten peu a peu zu verstehen.  Wie bitteschön gedenkst Du einen Anarchismus in halbwegs absehbarer Zeit und ausreichend resistent gegen bürgerliche Vorurteile auch nur annähernd massenfähig zu machen ?

 

Bei den Kommunisten ist es die Stalinkeule, die nachhaltig wirkt. Bei den Anarchisten ist es der Begriff an sich.

 

Stell Dich mal als Anarchist auf die Strasse und versuche, die Idee an die Leute zu bringen.

 

Für 99,999999325416 % steht das für Chaos, brennende Mülltonnen und geplünderte Läden.

 

Wetten wir ?

Für uns Anarchisten hat diese Spielerei, dieses ewige demonstriren und protestiren absolut keinen Werth

Das hätte die RAF grad in ihrer Gründungserklärung schreiben können. Denn genau das hatten sie vorher getan. Dieses ewige demonstriren und protestiren. Nur wenn das Volk nicht will, dann bleibt eben kein anderer Weg. Bzw. wie die Alternative ausssieht, nun die RAF hats ausprobiert.