1. Mai in Berlin: Ungewohnt unaufgeregt

Erstveröffentlicht: 
19.04.2017

Polizei und Senat schauen dem 1. Mai gelassen entgegen. In Kreuzberg soll es dieses Jahr gleich mehrere Demonstrationen geben.

 

Eigentlich, sagt Thomas Neuendorf, eigentlich wünsche er sich ja, dass nicht mehr so ein Hype veranstaltet werde um den 1. Mai, mit Pressekonferenzen und ständigen Berichten – dass „dieser ganze große Aufriss“ mal ein Ende habe.

 

Ungewöhnliche Worte für einen Sprecher der Berliner Polizei, aber dafür gibt es Gründe: Schon seit Jahren hat es in Berlin am 1. Mai keine nennenswerten Ausschreitungen mehr gegeben, die jährlichen Weltuntergangsvoraussagen der Boulevardmedien im vorhinein wirken immer anachronistischer. Einen „fast störungsfreien Verlauf“ nennt Neuendorf das in Polizeisprache, ein „annähernd normales Demonstrationsgeschehen“ – 30 Jahre nach den ersten großen Ausschreitungen in Kreuzberg 1987 erwartet die Polizei auch in diesem Jahr einen ruhigen 1. Mai.

 

Dem ersten 1. Mai unter Rot-Rot-Grün schaut die Polizei also offiziell ganz entspannt entgegen, und auch aus der Senatsverwaltung für Inneres klingt es unaufgeregt: Die genauen Absprachen liefen zwar momentan noch, sagt Sprecher Martin Pallgen, „klar ist aber, dass wir erneut auf das bewährte Einsatzkonzept der letzten Jahre setzen werden.“ Wie viele Polizisten genau im Einsatz sein werden, ist noch unklar – und damit auch, ob die Polizei nicht nur verbal abrüstet und in diesem Jahr tatsächlich weniger als die zunehmend überdimensioniert wirkende Zahl von 6.000 Beamten ins Rennen schickt.

 

Auf die Ankündigung der Veranstalter, die traditionell um 18 Uhr beginnende Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration in diesem Jahr unangemeldet durchzuführen, reagiert Neuen­dorf ebenfalls gelassen: „Wir werden die Demonstration wie sonst auch begleiten, da wird nichts aufgelöst“, sagt er. Vermutlich werde sich vor Ort ein Anmelder finden, doch selbst wenn das nicht der Fall sei, wolle die Polizei die Demons­tration laufen lassen: „Alles andere ergibt bei so einer Teilnehmerzahl gar keinen Sinn.“ Letztes Jahr zählte die Polizei rund 13.000, die Veranstalter rund 20.000 TeilnehmerInnen.

 

Die 18-Uhr-Demo soll in diesem Jahr erneut am Oranienplatz beginnen. Die Nichtanmeldung sei kein „besonderer Ausdruck von Militanz“, schreiben die Veranstalter in ihrem Aufruf selbst. Man habe „keine Lust mehr auf leidliche Kooperationsgespräche mit der Polizei“, sondern wolle das Recht auf Demonstration „selbstbestimmt“ wahrnehmen, heißt es, aber auch: „Es geht uns nicht um eine Konfrontation mit der Polizei, sondern um unsere Inhalte.“

 

Unübersichtlich könnte das Demonstrationsgeschehen in diesem Jahr allerdings so oder so werden: Neben der wie immer um 10 Uhr am Hackeschen Markt startenden DGB-Demo und einer erneut um 13 Uhr in Neukölln stattfindenden maoistischen Demonstration soll es auch in Kreuzberg noch weitere Demonstrationen geben.

 

So wird seit Montag zu einer Demonstration aufgerufen, die um 16 Uhr am Lausitzer Platz starten soll. Dahinter steht der unter anderem aus Palästina- und Kurdistansolidaritätsgruppen bestehende Internationalistische Block, bisher Teil des 18-Uhr-Bündnisses. In einer auf Facebook veröffentlichten Stellungnahme hatte dieser erklärt, auf eine Anmeldung nicht verzichten zu wollen und deswegen eine eigene Demonstration zu organisieren. Ebenfalls für 16 Uhr rufen seit Dienstag mehrere linke Jugendgruppen für eine Jugenddemonstration „als Ergänzung zum Protestgeschehen“ auf, die am Michaelkirchplatz beginnen soll.

 

Inhaltlich werden auf der 18-Uhr-Demonstration voraussichtlich erneut stadtpolitische Themen im Vordergrund stehen, wichtig ist außerdem die beginnende Mobilisierung für die Proteste gegen den G-20-Gipfel, der im Juli in Hamburg stattfinden wird. In ihrem Aufruf solidarisieren sich die Veranstalter außerdem unter anderem mit „Läden im Kiez um die Oranienstraße, die aufgrund ihrer #FreeDeniz-Aushänge von nationalistischen AKP-Mitgliedern angegriffen wurden“.
In der Walpurgisnacht wird ebenfalls erneut protestiert: Für 16 Uhr rufen verschiedene Initiativen, darunter das Bündnis Hände weg vom Wedding und die Berliner Obdachlosenhilfe, zu einer am U-Bahnhof Leopoldplatz beginnenden Demonstration auf.