Verdächtig wenig Freizeit

Erstveröffentlicht: 
05.04.2017

"Verdächtig gute Jobs" – mit diesem Slogan wirbt die Polizei in Sachsen um Nachwuchs. Der wird auch dringend benötigt, denn wie auch die Lehrer sind die Polizisten in Sachsen hoffnungslos unterbesetzt. Bis die zugesagten 1.000 neuen Stellen tatsächlich dazu führen, dass mehr Polizisten im Dienst sind, werden noch Jahre vergehen. Aktuell sind Mehrarbeit und Überstunden an der Tagesordnung.

von Ine Dippmann, MDR AKTUELL

 

Über 139.000 Stunden Mehrarbeit schieben Sachsens Polizisten aktuell vor sich her. Das hat die jüngste Anfrage beim Innenministerium ergeben, die Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Links-Fraktion, Monat für Monat stellt. "Mehrarbeit" werden die Überstunden bei Beamten genannt. An der Situation ändert das nichts, so Stange: "Das heißt, wir haben keinerlei Entlastung an irgendeiner Stelle, sondern dieses hohe Niveau hält sich seit nunmehr knapp einem drei Vierteljahr." 

 

Ein strukturelles Problem


Die sächsische Polizei habe nicht nur ein punktuelles Problem, wie es durch viele zu schützende Demonstrationen oder Fußballspiele entstehe, meint Stange. Das Problem der Polizei sei längst ein strukturelles: Nach wie vor fehlt Personal. Obwohl im vergangenen Jahr 315 Beamte neu eingestellt wurden, überwogen die Altersabgänge. 

 

Doch Sachsens Innenminister Markus Ulbig kann in den Überstunden kein Problem erkennen. In vielen Bereichen könnte die Mehrarbeit über ein Jahresarbeitszeitkonto ausgeglichen werden, "wir haben aber zum Beispiel im Bereich der Bereitschaftspolizei, im Bereich des Landeskriminalamtes, dort bei Spezialeinheiten und auch im Bereich der Polizeidirektion Leipzig partiell eine ganze Menge an Mehrarbeitsstunden, die über eine längere Zeit nicht abgegolten werden können." Allein bei der Bereitschaftspolizei sind im Februar mehr als 33.000 Überstunden aufgelaufen, in der Polizeidirektion Leipzig mehr als 12.000. 

 

Kaum Entlastung durch Wachpolizisten


Entlastung war durch den Einsatz der Wachpolizisten erwartet worden. Als die ersten vor einem knappen Jahr ihren Dienst antraten, nannte Innenminister Ulbig sie "einen wichtigen Baustein in der Sicherheitsarchitektur des Freistaates", der zu einer Teilentlastung der Beamten beitragen werde. Damit habe er den Mund zu voll genommen, meint Hagen Husgen, Chef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen: "Denn ganz eindeutig zeigen die Zahlen, dass auch die Belastung des Polizeivollzugsdienstes überhaupt nicht abgenommen hat. Im Gegenteil, es sind mehr Überstunden aufgetreten im Jahr 2016, obwohl wir jetzt die Wachpolizei dabei gehabt haben."

 

Rund 250 sind inzwischen im Dienst und Innenminister Ulbig kann die pauschale Kritik nicht nachvollziehen, er zieht eine positive Zwischenbilanz: "Alle Polizeipräsidenten bestätigen mir, dass der Einsatz der Wachpolizisten gut funktioniert, einerseits beim Objektschutz und andererseits bei der Personenbewachung." 

 

Mehr Befugnisse für Wachpolizisten?


Im Übrigen sieht Ulbig durchaus Spielraum beim künftigen Einsatz von Wachpolizisten. Schon jetzt kämen Fragen aus den Polizeidirektionen, ob den Wachpolizisten nicht weitere Aufgaben übertragen werden könnten, zum Beispiel Ordnungswidrigkeiten im Verkehr zu ahnden. "Wachpolizisten sagen mir, dass es in der Bevölkerung kein Verständnis gibt, wenn sie an der Ampel stehen, Fahrradfahrer Ampeln nicht beachten und ein Wachpolizist nicht eingreift, weil er die Befugnisse dafür derzeit nicht hat. Das wäre zum Beispiel ein konkretes Einsatzgebiet, was ich mir vorstellen könnte."

 

Ob und wie das Wachpolizeigesetz angepasst werden könnte, wird derzeit in der CDU-Fraktion diskutiert.