Im Einsatz mit der „Polit-Putze“

Erstveröffentlicht: 
18.02.2017

Die bekannte Aktivistin Irmela Mensah-Schramm hat erneut Bautzen besucht – und einmal mehr zur Farbe gegriffen.

 

Bautzen. Schrapp-schrapp-schrapp. Und wieder einer weg. Stolz präsentiert die ältere Dame die Überreste eines Aufklebers, die sie gerade von einem Laternenpfahl auf der Bautzener Karl-Marx-Straße heruntergekratzt hat. Mit ihrem Spezialwerkzeug – einem zweckentfremdeten Cerankochfeldschaber. „Das war Nummer 75 581“, verkündet sie zufrieden. „Ich führe Buch.“

 

Ordnung muss schließlich sein. Nach der geglückten Aktion wandert der Herdkratzer wieder in ein kleines Etui zurück, das in jenem Beutel verschwindet, den sich Irmela Mensah-Schramm zusätzlich zu ihrem Rucksack heute morgen vor ihrer Abfahrt in Berlin umgeschnallt hat. Im Beutel steckt alles, was die 71-Jährige für ihren Einsatz benötigt. Der Schaber, Nagellackentferner und zwei Farbspraydosen.

 

Seit inzwischen mehr als drei Jahrzehnten zieht Irmela Mensah-Schramm regelmäßig los, um in Deutschland und darüber hinaus Nazi-Aufkleber zu entfernen und Hass-Parolen umzugestalten. Die für ihr Engagement schon mehrfach ausgezeichnete bekannte Berlinerin nennt sich selbst „Polit-Putze“. Dreimal war sie zum „Putzen“ bereits in Bautzen. Vor wenigen Tagen stattete die 71-Jährige Bautzen nun erneut einen Besuch ab. Ausgerechnet in der Stadt, wo sie sich im November reichlich Ärger mit der Polizei eingehandelt hatte. 

 

Ein Herdkratzer ist treuer Begleiter


Viel Zeit will die Sauberfrau gar nicht erst verlieren, als sie an einem kalten Februarvormittag am Bahnhof in Bautzen aus dem Zug steigt. Mit forschem Schritt geht es in Richtung Innenstadt – die Augen stets auf die Umgebung gerichtet. Tatsächlich dauert es ein paar Minuten, bis Irmela Mensah-Schramm auf der Karl-Marx-Straße das erste Mal an diesem Tag eingreifen wird und besagte Nummer 75 581 vermerkt ist.

 

Der Herdkratzer ist für Irmela Mensah-Schramm längst treuer Begleiter. „Den habe ich wirklich so gut wie immer dabei“, sagt sie. Aber schon wenige Meter weiter wird es der Schaber nicht mehr richten. Die 71-Jährige steht in der Fußgängerunterführung zwischen Karl-Marx-Straße und Kornmarkt-Center und blickt auf die bunt besprühten Wände – bis sie schließlich auch hier fündig wird. „No Homo“ steht da, eine Aussage, die sich gegen Homosexuelle richtet. Die Rentnerin greift kurzentschlossen in ihren Beutel – und holt jetzt eine Dose mit rotem Farbspray hervor. Kurz schütteln, in der Dose klackern die Kugeln – dann drückt sie aufs Knöpfchen. Das „No“ verschwindet unter einem roten Herz. 

 

Anzeige von der Polizei


Schon im November hatte Irmela Mensah-Schramm in Bautzen zum Farbspray gegriffen. Erst im Tunnel und später auf der Hauensteingasse, wo sie an einem Verteilerkasten ihre Arbeit jedoch abrupt einstellen musste. Die Polizei war auf die 71-Jährige aufmerksam geworden, nahm ihr die Farbe weg und zeigte sie obendrein wegen Sachbeschädigung an. Das nagt an Irmela Mensah-Schramm bis heute: „Ich habe mir extra eine Dose mit der gleichen Farbe wie die des Kastens besorgt.“ Doch diesmal erlebt sie erneut eine Überraschung. Der Kasten wurde abmontiert.

 

Irmela Mensah-Schramm nimmt es erfreut hin. Hauptsache, die Parole ist verschwunden. Das Farbspray kommt kurze Zeit dennoch wieder zum Einsatz. In einer Einfahrt wenige Hundert Meter weiter hatte sie ein rechtsextremes Schablonen-Graffito entdeckt. Anders als im November verrichtet Irmela Mensah-Schramm ihr Handwerk diesmal ohne Störungen. Damals war nicht nur die Polizei eingeschritten – auch Passanten hätten sie beschimpft. Diesmal werfen Fußgänger nur gelegentlich einen neugierigen Blick herüber, als sich die 71-Jährige mit ihrem Küchengerät an einem Laternenpfahl zu schaffen macht. 

 

Hassbotschaften übersprüht


Als Irmela Mensah-Schramm gegen Mittag wieder am Bahnhof angelangt, hat sie etwa ein Dutzend Aufkleber beseitigt und zwei Hassbotschaften übersprüht. „Es sind etwas weniger Nazi-Aufkleber, viele Parolen an den Häusern sind überstrichen worden“, stellt die 71-Jährige fest. Dass die Zahl der Sticker abgenommen hat, könnte auch daran liegen, dass zunehmend mehr Bautzener mit Hand anlegen. Zuletzt hatte sich auch Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) dazu bekannt, auf seinen Wegen durch die Stadt Nazi-Aufkleber von Laternen oder Dachrinnen abzulösen.

 

Einen Grund, sich zurückzulehnen, ist das für die energiegeladene „Politputze“ keineswegs. Sie will wiederkommen, hat sie schon angekündigt. Und bis dahin gebe es auch anderswo in Deutschland genug zu tun: „Das Problem gibt es nicht nur in Bautzen. Anderswo ist es mitunter noch viel schlimmer“, sagt sie.