Drei Jahre nach brutalem Überfall lebt Ballstädt weiter in Angst

Erstveröffentlicht: 
08.02.2017

Ballstädt ringt auch nach drei Jahren noch mit den Nachwirkungen des Überfalls von rechten Schlägern auf die Kirmesgesellschaft.

 

Ballstädt. Reden wollen einige, gern sogar. "Aber ohne den Namen zu veröffentlichen". Das ist immer wieder die Bedingung beim Besuch in Ballstädt. In jenem Ort im Landkreis Gotha, in dessen Kulturhaus in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2014 ein brutaler Überfall bei einer Nachfeier der einheimischen Kirmesgesellschaft stattfand.

 

Diese organisiert jedes Jahr das kirchliche Fest der Gemeinde, die auch sonst durchaus einiges zu bieten hat: Rund 700 Menschen wohnen im Ort. Alle kennen sich. Es gibt einen Konsum mit Post und Bäckerei, einen Kindergarten, eine Tagesmutter, eine Arztpraxis, ein Rittergut, die St. Petri-Kirche, die Bockwindmühle. Im Zentrum steht ein Haus mit einem Plakat, auf dem für Vielfalt und Toleranz geworben wird. Und es existieren viele Vereine, die für Abwechslung in der Freizeit sorgen und das Gemeinschaftsgefühl stärken sollen.

 

Der Zusammenhalt ist jedoch nicht mehr so eng wie früher. Damit ist die Zeit vor dem 9. Februar 2014 gemeint. Eine Frau bemerkt, dass Ballstädt seit jenem "schlimmen Tag" gespalten ist. Sie erntet Kopfnicken für diese Wertung. Wenn Einwohner über das Ereignis reden, dann mit wohlüberlegten Worten. Und am besten unbeobachtet. Andere offenbaren Gleichgültigkeit, winken auf Nachfrage ab und gehen eiligen Schrittes davon. Versteckt oder offen — die meisten Bürger gestehen ihre Angst, das Ereignis scheint noch allgegenwärtig.

 

Nur die Wenigsten beziehen konkret Stellung, sagen unerschrocken ihre Meinung. Das ist durchaus sehr mutig, schließlich leben mutmaßliche Täter des Überfalls nach wie vor in Ballstädt. Also sozusagen Tür an Tür mit den Opfern, deren Familien, Verwandten, Freunden und Bekannten. 

 

Anklage gegen 14 Männer und eine Frau erhoben


Zehn Menschen aus dem Ort wurden bei dem brutalen Überfall verletzt, sie leiden noch heute teilweise psychisch und physisch unter den Folgen. Als die überwiegend Vermummten das Gemeindehaus zwei Minuten nach dem Angriff im Stile eines Rollkommandos wieder verließen, hatten sie eine Blutspur hinterlassen.

 

Angeklagt wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung sind 14 Männer und eine Frau zwischen 20 und 40 Jahren, die der rechten Szene angehören. Einige von ihnen wohnen oder sind häufig zu Gast im sogenannten "Gelben Haus", einer ehemaligen Bäckerei in Zentrumsnähe. Nachdem die "Hausgemeinschaft Jonastal" 2013 – genervt von Protesten – das rund 30 Kilometer entfernte Crawinkel verlassen musste, wurde das Grundstück in Ballstädt erworben. Ein Steinwurf in ein Fenster des Gebäudes soll der Auslöser für die pure Gewalt am 9. Februar 2014 gewesen sein.

 

Die Herberge gilt als Treffpunkt für Gleichgesinnte, die auch aus Österreich, der Schweiz oder der Niederlande zu gemeinsamen Freudenfesten anreisen. Im Dezember 2014, also rund zehn Monate nach dem Überfall im Kulturhaus, wurde im Gelben Haus ein Rechts-Rock-Konzert durch die inzwischen häufiger präsente Polizei aufgelöst. Seitdem gibt es Ermittlungen wegen Volksverhetzung sowie Verbreitung, Verwendung und Besitz von verfassungswidrigen Kennzeichen.

 

"Das Gefühl ist immer mulmig, wenn man den Rechten auf der Straße begegnet", sagt eine ältere Frau. Und sie gesteht, dann zumeist auch die Seite zu wechseln. Sie nimmt öfter an der Verhandlung in Erfurt teil, seit Dezember 2015 läuft der Prozess. Es sind nicht viele Menschen aus dem Ort, die in der Landeshauptstadt den Opfern ihre Unterstützung offen zeigen. Obwohl das 2013 in Ballstädt gegründete Aktionsbündnis Allianz gegen Rechtsextremismus immerhin über 500 Mitglieder in Thüringen hat.

 

Die einstige Bürgermeisterin, Erika Reisser, gehörte regelmäßig zu den Gästen beim Prozess. Sie ist verstorben. Ihr Nachfolger, Horst Dünkel, kennt im Zusammenhang mit dem Ballstädt-Prozess nur zwei Worte: "Kein Kommentar". Feige finden das viele Einwohner. 

 

Provokationen der Angeklagten


"Unmittelbar nach dem Überfall wurde im Ort und außerhalb viel von Unterstützung geredet, da war auch Zusammenhalt spürbar, sagt Anita Ernst, Gemeinde-Vorsitzende des Kirchenrates. "Doch jetzt". Sie macht eine Pause. Viele würden sich schutzlos fühlen. Nur noch wenige der Ballstädter haben die Hoffnung, dass ihre Erwartungen im Prozess erfüllt werden, dass die Täter hart und unerbittlich bestraft werden.

 

Dabei haben die meisten der Angeklagten, die unter anderem aus Suhl, Sonnenberg, Bad Langensalza, Eisenach, Gotha, Pößneck und Stadtilm kommen, schon ein dickes Vorstrafen-Register. Acht von ihnen sind laut Staatsanwaltschaft vorbestraft, manche saßen auch bereits im Gefängnis. Das hindert sie nicht daran, bei der Verhandlung auch gegenüber dem Gericht zu provozieren: Mit Feixen, mit Verspätungen, mit Schlafeinlagen, mit dem Tragen szenetypischer Kleidung. Die Anwälte, von denen sich einige seit Jahren nicht nur im Gerichtssaal mit rechtem Gedankengut beschäftigen, tolerieren das meist.

 

Allerdings wirken die Angeklagten nicht mehr geeint. Einer erscheint stets mehrere Minuten vor den anderen im Saal 1.42 am Erfurter Landgericht, der für den Prozess leicht umgebaut wurde. Mit Schirmmütze und gesenktem Kopf nimmt er seinen Platz ein. Er soll angeblich mal vorgehabt haben, zu gestehen. Ein Kontakt zu den weiteren mutmaßlichen Tätern ist jedenfalls nicht ersichtlich.

 

"Ich wünsche mir sehr, dass die Täter dafür bestraft werden, was sie getan haben", beschreibt eine Frau ihre Hoffnungen, ohne ein Strafmaß zu nennen. Ihr Sohn zählte zu den Geschlagenen und Verletzten. Er hätte noch immer sehr unter den Folgen des 9. Februar zu leiden, wird seitdem – wie andere Opfer auch – von der Beratungsstelle ezra betreut, die in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ist.

 

Die Frau setzt eine Mütze auf, verabschiedet sich, verlässt schnell den Raum des Gesprächs in Ballstädt. Es sei vielleicht nicht unbedingt gut, im Ort mit einem Journalisten gesehen zu werden. 

 

Chronologie

  • 9. Februar 2014: In der Nacht zum 9. Februar stürmt in Ballstädt im Kreis Gotha eine Gruppe von Rechtsextremen die Feier der Kirmesgesellschaft und verletzt dabei zehn Menschen teilweise schwer.
  • 12. Februar 2014: Zu einer Mahnwache versammeln sich mehr als 150 Ortsansässige und Auswärtige vor dem Gemeindezentrum und zeigen sich solidarisch mit den Opfern.
  • 23. Februar 2014: 14 Tage nach dem Überfall wird zum Friedensgebet in der Ballstädter Kirche ein Zeichen gegen Intoleranz und Hass gesetzt: "Wir sind gegen Gewalt"
  • 7. Dezember 2014: Die Polizei löst in der Nacht in Ballstädt ein Neonazi-Konzert auf. 90 Rechtsextremisten aus mehreren Bundesländern sind angereist. Rechtsradikales Propaganda-Material wird beschlagnahmt.
  • 2. Dezember 2015: Vor dem Landgericht Erfurt beginnt der Prozess wegen des Überfalls. 14 Männer und eine Frau sind angeklagt.
  • 29. Juni 2016: Im Rahmen des Prozesses findet ein Vor-Ort-Termin des gesamten Gerichts in Ballstädt statt.
  • 29. Juni 2016: Nebenkläger drohen mit Klage gegen den Thüringer Verfassungsschutz, um die Herausgabe von Unterlagen zu erzwingen.
  • 19. Juli 2016: Das Thüringer Innenministerium gibt Unterlagen frei, jedoch geschwärzt.
  • 13. Oktober 2016: Vertreter der Nebenklage fordern im Streit um Abhörprotokolle des Thüringer Verfassungsschutzes, die Akten notfalls zu beschlagnahmen. Inzwischen liegen dem Gericht die gewünschten Unterlagen vor.
  • 8. Februar 2017: Heute findet der 35. Verhandlungstag statt. Bis 10. Mai 2017 ist der Prozess vorerst geplant.