70.000 Straftaten in Sachsen unbearbeitet

Erstveröffentlicht: 
05.02.2017

Wegen Personalmangel bei der Polizei können in Sachsen zehntausende Straftaten nicht bearbeitet werden. Das teilte die Polizeigewerkschaft mit. Landeschef Husgen sprach von einem traurigen Zustand. Auch die bis 2026 geplanten Neueinstellungen würden den Bedarf nicht decken. Statt der geplanten 1.000 Stellen benötige man 3.000, weil Terrorgefahr und Internetkriminalität zunähmen. 2016 hätten sich 140.000 Überstunden angesammelt. Auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen ist die Lage angespannt.

von Lydia Jakobi, MDR AKTUELL

 

Hagen Husgen hat eine Mission: Wann immer er in Interviews über die sächsische Polizei spricht, weist er auf die Personalnot seines Standes hin. Husgen ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Sachsen und beklagt seit Jahren die Überarbeitung seiner Kollegen. Bis Ende des vergangenen Jahres hätten sie schätzungsweise insgesamt hunderttausende Überstunden angehäuft.

 

Die Überstunden werden zwar teilweise abgebummelt, aber wir schaffen es nicht, weil wir zu wenig Personal haben. So werden sich die Überstunden weiter anhäufen.

 

Husgen rechnet vor: Haben sächsische Polizisten am Ende des Jahres 2014 noch 71.000 nicht abgebummelte Überstunden auf dem Konto gehabt, seien 2015 weitere 80.000 Überstunden hinzugekommen. Und für das Jahr 2016 rechnet Husgen mit weiteren mindestens 140.000 Überstunden. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 1.700 Stunden pro Jahr würde das bedeuten: Die Polizei in Sachsen bräuchte etwa 80 zusätzliche Vollzeitbeschäftigte.

 

Er weist darauf hin, dass es viele Aufgaben gebe, die mangels Personal einfach liegen blieben:

 

Wir haben über 70.000 offene Straftaten im Freistaat Sachsen, die momentan nicht bearbeitet werden können. Das ist traurig genug.

Hagen Husgen, Chef der Polizeigewerkschaft Sachsen
Ausbildung neuer Polizisten dauert

Die sächsische Landesregierung hat auf den Mangel reagiert: Sie hat den Personalabbau gestoppt und will 1.000 neue Stellen schaffen. Die stehen aber erst 2026 komplett zur Verfügung, wie aus der parlamentarischen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann hervorgeht.

 

Die Zahl der Ausbildungsplätze wird zwar dieses Jahr von 400 auf 600 erhöht - doch die Polizeianwärter, die jetzt ihre Ausbildung beginnen, können erst 2020 eingesetzt werden. In der Zwischenzeit gehen der Anfrage zufolge jährlich bis zu 370 Polizisten in Rente. 

 

Geplante Stellen reichen nicht


Und selbst, wenn die 1.000 zusätzlichen Polizisten dann da sind, reicht das nicht aus - meint Gewerkschafter Husgen:

Wir brauchen mindestens 3.000 Stellen mehr im Freistaat Sachsen, um die Aufgaben zu erledigen.

Hagen Husgen, Chef der Polizeigewerkschaft Sachsen

 

Manche sagen vielleicht, dass die Arbeit ja wieder weniger werde, weil ja auch deutlich weniger Flüchtlinge ins Land kommen. Doch Husgen widerspricht: "Die politische Lage zeigt, dass immer wieder etwas Neues da ist - jetzt haben wir die Terrorgefahr und neue Phänomene wie die Internetkriminalität. Da können wir auf keinen Fall sagen, dass wir in nächster Zeit weniger zu tun haben." 

 

Ähnliche Lage in Sachsen-Anhalt und Thüringen


Auch in Sachsen-Anhalt ist das Personal knapp. Die Zahl der Polizisten ist durch den Stellenabbau der vergangenen Jahre von 9.000 auf etwa 5.800 geschrumpft. Uwe Petermann von der Gewerkschaft der Polizei Sachsen-Anhalt sagt: "Die Berechnungen des Innenministeriums gehen davon aus, dass wir 1.000 Polizisten mehr benötigten, um die Aufgaben wahrzunehmen und um die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Schichtdienst und Wochenendarbeit in Grenzen zu halten."

 

In Thüringen leisten derzeit knapp 5.900 Beamte ihren Dienst. Der Stellenabbau wurde zwar gestoppt und die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht - durch die Altersabgänge wird die Polizei hier aber weiter schrumpfen. Bis März will das Innenministerium deshalb klären, ob mehr Polizisten eingestellt werden müssen.