»Beim Anschlag war jeder an seinem Platz«

Erstveröffentlicht: 
07.01.2017
Sechs Rechte, die eine Turnhalle in Nauen angezündet haben sollen, vor Gericht. Staatsanwalt sieht darin keine »kriminelle Vereinigung«. Gespräch mit Martina Renner Interview: Claudia Wrobel

 

Im Prozess gegen die Männer, die angeklagt sind, im August 2015 eine Turnhalle von Nauen in Brand gesetzt zu haben, in der Asylbewerber untergebracht werden sollten, können die mutmaßlichen Täter nun auf mildere Strafen hoffen. Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstag beantragt, den Anklagepunkt »Bildung einer kriminellen Vereinigung« fallenzulassen. Können Sie das nachvollziehen?


Eine WhatsApp-Gruppe, die auch Beschuldigte nutzten, soll zur Vorbereitung von Aktivitäten gegen die Flüchtlingsunterkunft gedient haben, soll aber nicht Teil der Anschlagsplanung gewesen sein. Das grundsätzliche Problem ist, dass Behörden immer noch nach einer klassischen neonazistischen Organisation suchen, also eine Kameradschaftsstruktur mit festen Kommunikationswegen. Rassistische Mobilisierungen und rechte Organisierung verlaufen heute anders.

 

Es ist kaum zu glauben, dass es im Vorfeld einer solchen Tat nicht entsprechende Absprachen gegeben haben soll.


Wir wissen aus Zeugenaussagen, dass der Anschlag klandestin vorbereitet wurde. Die Gruppe hat sich getroffen und die Arbeitsteilung und die Anschlagsvorbereitung verabredet: Wer besorgt welche Tatmittel, wer spielt an dem Tag welche Rolle, wer beschafft das Auto, wer die Paletten. Ich finde, das ist genau das, was im Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs, also dem zur Bildung einer kriminellen Vereinigung, verlangt wird: eine gemeinsame politische Willensbildung, eine Unterordnung des einzelnen unter das gemeinsame Ziel, arbeitsteiliges Vorgehen, konspirative Treffen. Am Tag des Anschlags war jeder an seinem ihm zugedachten Platz. Und natürlich gibt es in dieser Struktur einen Kopf, den NPD-Politiker Ma ik Schneider. Alle Beschuldigten und Zeugen haben dies berichtet.

 

Wenn die Angeklagten aussagen, warum ist dann der Nachweis der Taten so schwer?


Die Angeklagten sagen alle aus und belasten sich gegenseitig. Dann revidieren sie ihre Aussagen, und danach ziehen sie ihre Revision zurück. Das macht die Verurteilung hinsichtlich des konkreten Tatnachweises so schwierig und andererseits den Nachweis einer kriminellen Vereinigung so wichtig. Und selbst die, die die Tat zugeben, versuchen sich rauszuwinden: Schneider sagt etwa, dass er mit der Brandlegung nur ein symbolisches Zeichen setzen wollte. Eine unglaubliche Verharmlosung der Tat. Sein Verteidiger brachte am Donnerstag vor, er habe die Halle nur anrußen wollen. Er habe nicht damit gerechnet, dass acht Reifen, eine Propangasflasche und eine Holzpalette, die man mit Benzin übergießt und anzündet, zu solch einer Brandentwicklung führt. Absolut unglaubwürdiger und durchsichtiger Versuch, die schwere Brandstiftung kleinzureden.

 

Den Wahlverteidiger brachte Schneider ja neu mit, nachdem sich zuvor alle Angeklagten von Pflichtverteidigern vertreten ließen.


Sein neuer Anwalt, Ulli Boldt, war Anfang der 1990er Jahre ein Aktivist der 1992 verbotenen Nationalistischen Front. Aber es war um ihn in den vergangenen Jahren ruhig geworden. Er vertrat Mandanten in unpolitischen Verfahren. Sein Auftauchen nun ist sehr interessant, da wir das gerade öfter beobachten: Militante Kader der 90er bieten der sich radikalisierenden Tätergenera­tion eine infrastrukturelle Basis, sei es als Unternehmer oder Anwalt oder ähnlichem.

 

Wir erleben häufig, dass ein rechter Hintergrund von Tätern in Verfahren um Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte nicht erfasst wird.


Erst wird gesagt, es seien Gelegenheitstäter, radikalisiert durch die Zuwanderung. Sie seien zuvor nicht im extrem rechten Straftatenbereich aufgefallen, kämen meistens aus der Nachbarschaft, handeln situativ, etc. Im Prozess um den Brandanschlag von Nauen gibt es ein Problem: Wir haben keine Nebenklage. Aus anderen Verfahren wissen wir, dass engagierte Nebenklagevertreter dafür sorgen können, dass solche Hintergründe aufgedeckt und berücksichtigt werden.

 

Wenn diese miteinbezogen werden, fällt die Strafe höher aus – die abschreckende Wirkung ist also nicht zu unterschätzen.


In den wenigstens Fällen kommt es überhaupt dazu, dass Täter gefasst werden oder eine Anklage erhoben wird. Das ist etwa bei 20 Prozent der Brandanschläge der Fall. Das heißt, 80 Prozent bleiben ohne Folgen für die Täter. Wenn diese Brandstifter oder Sprengstoffleger nun das Gefühl haben, ihre Taten bleiben repressionslos und sie können solche Prozesse zur Bühne machen, kommen wir in eine Situation, wie wir sie 1992/93 hatten. Aus der heraus ist der NSU erwachsen.