[Dessau/Zerbst] Gericht wirft versuchten Mord vor

Erstveröffentlicht: 
05.01.2017

Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau begann die Verhandlung gegen zwei Männer aus Dessau. Das Gericht wirft ihnen versuchten Mord vor.

 

Von Andreas Behling

 

Zerbst/Dessau | Ein 20 Jahre alter Heranwachsender – schmales Gesicht, schmächtiger Körper – und ein wesentlich kräftigerer 23-jähriger Mann müssen sich seit gestern vor der 2. großen Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau verantworten. Dabei gab es gleich zu Beginn eine Überraschung. Das Schwurgericht unter dem Vorsitz von Uda Schmidt wirft ihnen nicht nur eine gefährliche Körperverletzung und Beleidigung vor. Aus Sicht der Kammer steht auch versuchter Mord zur Debatte. Staatsanwalt Jörg Blasczyk war beim Vortragen der Anklage zunächst von versuchtem Totschlag ausgegangen.

 

Anlass für die veränderte rechtliche Bewertung war, dass das Gericht beim Duo den Hass auf Ausländer als niedrigen Beweggrund annimmt und von einem „Mord durch Unterlassen“ ausgeht.

Rassistische Beschimpfungen

Die Männer sollen am 30. Juni vorigen Jahres zwischen 23.15 und 23.45 Uhr auf dem Bahnhof in Zerbst einen pakistanischen Staatsangehörigen, der auf einen Zug wartete, zunächst grundlos als „Scheiß-Ausländer“ beschimpft und ihn im Verlaufe des weiteren Tatgeschehens gemeinsam getreten und geschlagen haben.

Das gewalttätige Geschehen verlagerte sich dabei allmählich vom Bahnsteig auf das Gleisbett. Als sich die Regionalbahn in Richtung Magdeburg in Bewegung setzte, sollen die Angeklagten den erheblich verletzten Geschädigten auf dem Gleis zurückgelassen und das später vor Bekannten noch als Heldentat gefeiert haben. Tatsächlich erinnerte sich der 34-jährige Geschädigte, dass er von den Männern quer über einen Schienenstrang gelegt wurde, als diese den Zug sahen. Der Geschädigte, zunächst auf dem Rücken im Gleisbett liegend, konnte sich allerdings aus eigener Kraft aufrichten, aus den Gleisen schleppen und vor dem herannahenden Zug in Sicherheit bringen.

Rettung in höchster Not

Trotzdem erwischte ihn noch ein Puffer des Triebfahrzeugs an der rechten Schulter, wobei er eine Fraktur des Schulterblattes davontrug. Insbesondere dem Lokführer sei er sehr dankbar. So erzählte das Opfer: „Habe keine Angst. Wir bringen dich in Sicherheit. Das hat er gesagt, als ich ihn anflehte, dass ich mit dem Zug mitfahren will.“ Wenig später sei bereits ein Krankenwagen vor Ort gewesen. Es war wohl eine Rettung in höchster Not. „Es hätte wohl keine Überlebenschance gegeben, wenn er überrollt worden wäre“, konstatierte Blasczyk.

Zumal es schon zuvor zu heftigen Übergriffen gekommen war. Der jüngere Mann habe ihn mit beiden Händen an die Brust geschubst, berichtete der Pakistaner. Der andere schmiss derweil eine halbgefüllte Bierflasche heftig an einen Pfahl. „Da bekam ich Angst und rannte weg. Weil ich jedoch einen schweren Rucksack trug, rutschte ich nach knapp 25 Metern aus und stürzte. Daraufhin schlugen sie mich alle beide und traten mit den Füßen zu. Ich merkte, wie ich an einem Auge und im Mund blutete. Wie oft sie mich trafen, weiß ich nicht. Ich habe meinen Kopf mit den Händen geschützt.“ Der Heranwachsende hatte lediglich das Schubsen eingeräumt und ausgesagt, als er dem Opfer hochhelfen wollte, habe der Mitangeklagte die Angriffe fortgesetzt.

Neben den Gesichtsverletzungen infolge der Gewalteinwirkung und der erwähnten Fraktur trug der Geschädigte massive Hautunterblutungen und -abschürfungen sowie ein Schädelhirntrauma davon. Noch zwei Monate nach dem Vorfall plagten ihn starke Schmerzen, erhebliche Schlaflosigkeit und Albträume. Die gegenwärtig in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten, von denen der ältere keine Angaben zum Tathergang machte – seinen redseligeren Kumpel bedachte er mit den Worten „Du Pussy“ – , sollen zur Tatzeit alkoholisiert gewesen sein. Auch aus diesem Grund wird die Hauptverhandlung von zwei Sachverständigen verfolgt.

Fortgesetzt wird der Prozess zunächst am kommenden Montag. Danach folgen bislang vier weitere Termine.