Das Netzwerk des NSU zwischen Chemnitz und Zwickau

Erstveröffentlicht: 
16.09.2016

Wir haben im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) schon häufiger über das weitläufige Netzwerk des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) berichtet, dessen Dimension aber zumindest in der Anklage vor dem OLG München unterschlagen wird.

 

„Glück auf und Heil Hitler“

 

Angeregt von den Artikeln von Stefan Aust, Helmar Büchel und Dirk Laabs in der „Welt“ [1] möchten wir uns umfangreich dem Klima und den oft im Hintergrund stehenden Strukturen widmen, die Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach ihrem Abtauchen in Chemnitz 1998 und bis zu ihrer Selbstenttarnung in Zwickau 2011 punktuell oder konstant nahe standen. Um diesem „Fass ohne Boden“ im Ansatz gerecht zu werden, haben wir uns für einen Zweiteiler entschieden. Der vorliegende Teil widmet sich dem Zeitraum 1990 bis 2002. Im zweiten Teil werden wir uns mit den Entwicklungen bis 2011 beschäftigen. Ein großes Dankeschön geht an die lokalen antifaschistischen Strukturen, ohne die diese Aufarbeitung in diesem Umfang nie zustande gekommen wäre.

 

Als die Thüringer Neonazis Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos im Januar 1998 aus Jena flüchteten, fanden sie bei ihren Kameraden in Chemnitz Unterschlupf. Um diese Entscheidung nachvollziehen zu können, ist ein genaues Verständnis der damaligen Szene in Westsachsen wichtig. Bis 1998 war die sächsische Sektion von „Blood & Honour“ (B&H) die aktivste der „Division Deutschland“.[2] Exponierte Figuren der Struktur waren der schon zu DDR-Zeiten als extrem rechter Hooligan bekannte Thomas Starke und Jan Werner, dessen „Movement Records“ das Label von B&H Sachsen war.


Die Sektion Sachsen bestand aus rund 20 Personen und konnte auf dutzende Neonazis aus der rechten Subkultur zurückgreifen. Die „Skinheads Chemnitz“, auch „88er“ genannt — deren Personal oft deckungsgleich mit B&H Chemnitz war —  fungierten für dieses Klientel als Auffangbecken. Unter dem Label „Chemnitz Concerts 88“ organisierten die ChemnitzerInnen größere Konzerte, wie 1996 mit „Fortress“ aus Australien oder 1997 mit „Noie Werte“ aus Baden-Württemberg.


Nach Streitigkeiten zwischen den Sektionen Berlin und Sachsen wurden Werner und Starke im Herbst 1998 aus der „Division Deutschland“ rausgeworfen, die „88er“ samt den Geschäften mit „Movement-Records“ dienten aber weiterhin als finanzielles und politisches Feld. Man könnte es im Nachgang eher einen Austritt nennen, denn die meisten Sektions-Mitglieder in Sachsen folgten Werner und Starke. Brisant: Der ab 1999 bei Dresden wohnende Thomas Starke war 2000 bis 2012 V-Mann des LKA Berlin.

 

Von Jena-Kahla ins Fritz Heckert-Gebiet

 

Aus diesem Kreis kam die Unterstützung für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, der in Chemnitz eine Infrastruktur für ihre ersten Jahre im Untergrund schaffte. So war es Jan Werner, der beim Brandenburger Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski um Waffen für die drei Untergetauchten fragte, während sich Thomas Starke und Mandy Struck als verlässliche Partner des Trios bei der Wohnungssuche erwiesen. Über Strucks damaligen Freund Max Florian Burkhardt gelangten die drei Gesuchten zu einer halbjährigen Unterkunft.

 

Eine weitere Wohnung wurde dem NSU durch Thomas Starke vermittelt. Der war dem Trio schon vor ihrem Untertauchen ein treuer Gefährte. Sie besuchten ihn, als er bis 1996 in der JVA Waldheim in Haft saß, er besorgte ein Jahr nach seiner Entlassung den Sprengstoff für Mundlos, der in der Garage in Jena gefunden wurde. Des weiteren soll Starke kurzzeitig mit Beate Zschäpe liiert gewesen sein.


Als er 1998 in der Szene nach einer Unterkunft für die drei suchte, sollte er bei Thomas Rothe, Kern-Mitglied der B&H-Sektion und Teil der „88er“, fündig werden. Dieser wohnte im als „Nazi-Viertel“ bekannten Plattenbau-Gebiet „Fritz Heckert“, in der Friedrich-Viertel-Straße 85. Doch nicht nur Rothe, sondern auch Kay und Jörg Richter, Andreas Graupner, Ingolf Wecke und Ronny Sch. wohnten im selben Haus.


Um dieser Gemeinschaft Ausdruck zu geben, erfanden die damaligen Bewohner die Gruppe „Combat 85“, ein Wortspiel aus „Combat 18“, dem militanten Arm von B&H und der Hausnummer 85. Dass dieses Haus kein unbeschriebenes Blatt bei den Behörden gewesen sein kann, lässt sich schnell klarstellen: Thomas Rothe kümmerte sich um das Fanzine „White Supremacy“, das Sprachrohr der sächsischen Szene und war mit Matthias „Melone“ Lohrrich Herausgeber des Fanzines „Sachsens Glanz“. Zusammen mit den aus der Hooligan-Szene stammenden Richter-Brüdern spielte er in der um 2000 gegründeten Band „Blitzkrieg“. Rothe hatte auch nach dem Umzug des Trios nach Zwickau bis mindestens 2002 zu ihnen Kontakt, wobei Mundlos ihm beim Layout seines Heftes half, wie Rothe in seinen Vernehmungen vor dem OLG München zugab. Die Hausbewohner Ingolf Wecke und Ronny Sch. gehörten auch zum engsten Kreis von B&H Sachsen, wobei Wecke Mitherausgeber des Fanzines „White Victory“ war.


Andreas Graupner spielte zusammen mit Jens Schaarschmidt, dem Herausgeber des Fanzines „Foier Frei“, in der Band „AEG“. Mit Schaarschmidt reiste Graupner, nebst Thomas Starke, 1997 in die USA, um die bis heute aktive Band „Blue Eyed Devils“ zu besuchen. Dieser Ausflug steht stellvertretend für die internationalen Kontakte der Sachsen, die für das RechtsRock-Geschäft wichtig waren und sind. Erwähnen muss man dabei, dass die Sachsen ebenso eine starke Bindung zur Brandenburger Szene um die Potsdamer Band „Proissenheads“ pflegten. Deren Sänger Uwe Menzel war nicht nur Gefährte der Chemnitzer auf ihrer USA-Reise, sondern regelmäßiger Gast bei Treffen und Konzerten in Chemnitz und Umland

 

Chemnitz wird zu heiß

 

Im Nachhinein könnte es mehrere Gründe gegeben haben, die den NSU veranlasst haben Chemnitz zu verlassen. Zum einen waren die ChemnitzerInnen nicht für ihre absolute Verschwiegenheit im Bezug auf den NSU gegenüber Dritten bekannt, zum anderen zeichneten sich mögliche Repressalien gegen den harten Kern der Szene ab. Das Jahr 2000 spielte in dem Zusammenhang eine besondere Rolle.


Bereits im Juli des Jahres 2000 wurde aufgrund größerer Zahlungen an us-amerikanische Neonazi-Versände die Wohnung von Andreas Graupner durchsucht. Ein Jahr später verzog er in den Raum Ludwigsburg, wo er bei der Band „Noie Werte“ als Gitarrist unterkam. Kurz nach der Durchsuchung Graupners wurde der Potsdamer Uwe Menzel, alias „Uwocaust“, durchsucht. Die Beamten fanden eine scharfe Waffe, was nicht verwunderlich ist, soll er doch schon wähend seiner USA-Reise in Kontakt mit Waffen gekommen sein.


Ein bundesweit schwerwiegender Eingriff, der die Chemnitzer Szene zwar nur bedingt getroffen hat — traten deren Mitglieder ja bereits 1998 offiziell aus — war das Verbot von „Blood & Honour — Division Deutschland“ im September 2000. Im gleichen Zeitraum verließ Thomas Starke den Kreis der Sektion Sachsen, womöglich weil er von einem bevorstehenden Verbot wusste.


Im November 2000 wurde er im Rahmen der Ermittlungen um die Produktion und den Vertrieb der „Landser“-CD „Ran an den Feind“ festgenommen. Er und Jan Werners „Movement Records“ hatten diese maßgeblich organisiert. Werner buchte der Band 2000 sogar Tickets aus Chemnitz, damit diese ins Londoner Aufnahmestudio fliegen konnte. Der Kontakt zu der Berliner Band um Michael Regener und die Neonazi-Bruderschaft „Vandalen“ [3] kommt nicht von ungefähr. Eines der wenigen bekannten Konzerte der Band fand 1998 in Kölsa, nördlich von Leipzig statt, organisiert von B&H Sachsen. Auch Ausflüge der ChemnitzerInnen Anfang der 2000er zu den elitären Treffen der „Vandalen“ rühren von einem regen Verhältnis. Schlussendlich war auch Christian Wenndorff, neben „Landser“, bei der Potsdamer Band „Proissenheads“ aktiv, die wie schon beschrieben regelmäßig in Chemnitz und Umland zu Gast waren. Das „Landser“-Verfahren sollte auch das Aus für Starkes Rolle in der Szene bedeuten. Dieser ließ sich kurz nach seiner Festnahme auf umfangreiche Aussagen im Bezug auf die „Landser“-CDs ein und belastete dadurch viele B&H-Mitglieder und „Hammerskins“. Letzlich wurden auch die Bandmitglieder von „Landser“ ein Jahr später festgenommen und wegen Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zum Teil zu Haftstrafen verurteilt [4].

 

Zu diesem Zeitpunkt, Anfang 2001, waren Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bereits in das knapp 45 km südlich von Chemnitz gelegene Zwickau gezogen. Der Kontakt dorthin könnte sich auch durch den Zuzug André Emingers und Matthias Dienelts aus dem Erzgebirge erklären lassen. Diese hatten sich um die Jahrtausendwende erfolgreich bemüht, Kontakte nach Chemnitz zu knüpfen. Die von den Brüdern Maik und André Eminger gegründete „Weisse Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE) diente dabei nicht als Konkurrenz, sondern wollte zusammen mit B&H und den „Hammerskins“ Teil eines starken Netzwerkes sein. Ihr politischer Charakter äußerte sich in ihrem Fanzine „The Aryan Law and Order“, welches bewusst auf Saufgeschichten verzichtete. Ein von der WBE im Juli 2000 ausgerichteter „Leistungsmarsch“ im Erzgebirge untermauerte die Ausrichtung, sich körperlich und mental zu stärken, um im Falle des damals viel beschriebenen „Rassenkrieges“, des „Racial Holy War“, kampfbereit zu sein.


Diese Einstellung zur „nationalen Sache“ imponierte den ChemnitzerInnen und auch dem NSU-Netzwerk, für das Eminger dadurch interessant wurde, war die Szene in Chemnitz damals doch recht stark durchwachsen mit „Sauf-Skins“ und Großmäulern. Ein erster Synergie-Effekt zwischen Eminger und dem Trio stellt die Anmietung einer Wohnung für das Trio im April 1999 dar, ebenfalls im Chemnitzer „Fritz Heckert Gebiet“.

 

Vorgewärmtes Nest in Westsachsen

 

Rund 400 Nazis haben am 2. und 3. September 2000 den „Tag der Sachsen“ in Zwickau gestört. Sie provozierten im DGB-Zelt und riefen „Ausländer raus“. Von einem Zaun sei ferner ein Transparent mit der Aufschrift „nazifreie Zone“ abgerissen worden.“ Dieser aus dem Jahr 2000 stammende Eintrag in der Chronik des ARTZ [5] beschreibt, wie die Stimmung um die Jahrtausendwende in Zwickau war und welch fruchtbarer, brauner Boden für die folgenden Jahre geschaffen wurde.


Zehn Jahre zuvor, kurz nach dem Mauerfall, etablierte sich in der Stadt eine rege rechte Skinhead-Kultur. Teil dieser war auch Ralf Marschner, genannt „Manole“, der mit 19 Jahren nach Zwickau zog. 1991, also ein Jahr nach seinem Umzug aus dem Vogtland, war er bereits an einem Angriff auf ein Flüchtlingsheim beteiligt. 100 rechte Skinheads hatten zuerst Flüchtlinge mit Zaunlatten attackiert und später Brandsätze auf ein Asylbewerberheim geworfen. Im Mai desselben Jahres konnte sich Marschner auch einen Ruf bei den Hooligans des FSV Zwickau machen. Nach der Halbzeit im Spiel gegen den Erzrivalen Wismut Aue stürmte er gemeinsam mit 50 anderen Personen das Spielfeld, wobei einzelne Spieler zum Teil schwer verletzt wurden. Die Kombination aus Erlebniswelt Fußball und rechtem Lifestyle sollte sich wie ein roter Faden durch Marschners Vita ziehen.

 

Wie damals üblich produzierte auch die rechte Skinhead-Szene Fanzines. 1992, mit bis dato vier Ausgaben, erfüllte das Blatt „Der Vollstrecker“, herausgegeben von Marschner, diesen Dienst in Zwickau. Ein weiteres Heft namens „Voice of Zwickau“ entstand ab 1997.  Die Relevanz der Zines mag heute kaum vorstellbar sein, doch Anfang der 90er Jahre waren sie ein wichtiges Sprachrohr. So wurden darin oft auch Konzerte beworben.


Ein erwähnenswertes RechtsRock-Konzert fand im Oktober 1992 im Clubhaus Braunkohle in Zwickau-Schedewitz statt. 500 Neonazis aus ganz Deutschland feierten unter Hitler-Grüßen und dem Schwenken einer Hakenkreuz-Flagge den letzten Auftritt der Band „Störkraft“, während der Polizei keine Informationen vorgelegen haben sollen, außer dass das Konzert als „Wohltätigkeitsveranstaltung“ angemeldet worden sei.


Es dauerte auch in Westsachsen nicht lange, bis eigene Bands gegründet wurden. Eine davon war „Bomber“ aus Meerane, deren einziges Mitglied Thomas H., genannt „Kalle“ [6], einer der Schlüsselfiguren zwischen Neonazis und Hooligans war. Zusammen mit dem Tätowierer Sten Krüger wirkte er ebenso in der Band „Ostfront AVK“. In Zwickau selbst formierte sich Mitte der 90er Jahre die Band „Westsachsengesocks/WSG“, deren späterer Sänger Ralf Marschner bereits bei „ZB 92“ mitspielte. Andreas Graupner soll bei „WSG“ ebenso dabei gewesen sein. Auf dem Backcover ihrer 1999 von „Hate Records“ — dem Plattenlabel von Hammerskin und V-Mann Mirko Hesse — veröffentlichten CD „Titel Zensiert“ ist auch Paul Morgenstern aus Zwickau erkennbar. Morgenstern ist bis heute in Sachen RechtsRock, bzw. NS-Black Metal [7] unterwegs, aktuell sitzt er bei der NS-Hardcore Band „Brainwash“ am Schlagzeug.

 

Ralf Marschners Laden „The Last Resort Shop“, den er von 1997 an zehn Jahre in der Innenstadt Zwickaus betrieb, war Umschlagsort für die Produktionen der Rechts­Rock-Szene. Um 2000 konnte dort auch die „Landser“-CD „Ran an den Feind“ erworben werden. Der dafür Hauptverantwortliche Jan Werner war mit Marschner gut befreundet. Interessant in Bezug auf das Trio ist, dass sowohl Marschner als auch Werner kurz nach dem Untertauchen des Trios versucht haben sollen, an Waffen zu gelangen. Ein Zeuge gab nach der Selbstenttarnung des NSU den Hinweis, dass er Marschner auf einem Turnier in Greiz getroffen habe. Dort, auf dem „Pfingstochsen-Cup“ der rechten Freizeitmannschaft „Koliner Jungs“, will der Zeuge ferner Böhnhardt und Mundlos im Anhang gesehen haben. Im Gespräch fragte Marschner, ob er, der Zeuge, an Waffen kommen würde.


Dass die Szene in Westsachsen auch außerhalb der bekannten Strukturen versuchte an Waffen zu gelangen, machen die Ermittlungen um eine „Militante Gruppe Meerane“ deutlich. 1997 durchsuchten BeamtInnen die Wohnungen von sechs Neonazis im Raum Meerane und fanden Kriegswaffen samt Munition, zündfähige Sprengsätze und Propagandamaterial. Auch bei dem bei Stuttgart lebenden Roman Kr. stellten die Beamten Waffen und Sprengmittel sicher. Er soll den Sachsen die Waffen vermutlich über die Schweiz besorgt haben.

 

Gewalttäter Sport

 

Ralf Marschners zweite Heimat, die Erlebnis­welt Fußball, hatte sich in Zwickau spätestens seit ihrem Anschluss Mitte der 1990er Jahre an die rechte Hooligan-Gruppe „HooNaRa“, eine Abkürzung für „Hooligans, Nazis, Rassisten“, straffer organisiert. Auch Erfurter Hooligans der Gruppe „Parolis“ waren Teil dieser Gruppe. Gegründet nach der Wende stellt die Gruppierung um ihren damaligen Anführer Thomas Haller bis heute eine Bedrohung für gegnerische Fußball-Fans, vor allem aber für alternative Jugendliche aus der gesamten Region Westsachsen dar. Die „HooNaRa“ rekrutiert ihre Schläger aus einem Klientel, deren „überwiegende(r) Teil national eingestellt ist“, wie es Haller in einem Interview mit einem rechten Fanzine formulierte.


Diese Mischung aus Gewalt und rechter Ideologie führte noch zu einem ganz anderen Phänomen: Ein Gros der Szene begann, das Türsteher- und Security-Gewerbe für sich zu entdecken, egal ob in Chemnitz, Meerane, Zwickau oder Plauen.


So kam Jörg A. — damals Kernmitglied  von B&H-Sachsen — bei „Argus“ unter. Der Geschäftsführer Siegert leitete auch die „C.O.P.S.“, deren Zweitstellenleiter in Plauen, Frank Nierychlo, noch in einem anderen Zusammenhang auffiel: er war von 2002 bis 2008 Prokurist der Firma „Drei GmbH“ um die Geschäftsführer Andreas Rössle und Mario Hoffmann. Rössle trug 1999 die Marke „Brachial — The Lifestyle Company“ im DPMA ein — eine bei Hooligans beliebte Marke, die damals exklusiv in Ralf Marschners Läden vertrieben wurde.

 

Thomas Haller, offizieller Gründer der „HooNaRa“, baute indes seine Firma „Haller Security Service Chemnitz“ auf, mit der er u.a. für die „COBRA-Security“ Aufträge annahm. Rechtsrocker Thomas „Kalle“ H. schuf die „SEC Meerane“. Mitarbeiter beider Firmen spielten 1999 eine tragende Rolle beim Mord an dem 17-jährigen Patrick Thürmer in Oberlungwitz bei Hohenstein-Ernstthal. [8]

 

Wie sich nun herausstellte war Marschner in dem Verfahren ebenfalls nicht unbedeutend. Die knapp ein Jahr nach dem tödlichen Angriff zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilten Täter wurden in der Nacht zum 2. Oktober 1999 als Unterstützung zur Diskothek „La belle“ gerufen. Zuvor hatten Gäste und Türsteher der „Haller Security“ Besucher eines angrenzenden Punk-Konzerts schwer verletzt, worauf die Punks einen Gegenangriff auf die Disko starteten.

 

Nico Ne., Michael Os. und Thomas Wa. fuhren kurz nach ein Uhr von der Zwickauer Disko „FUN“ los, bewaffnet mit diversen Schlagwerkzeugen. Angekommen in Hohenstein-Ernstthal entschlossen sie sich ein paar Runden mit dem Auto zu fahren, um „Zecken“ zu finden. In räumlicher Nähe soll sich auch Thomas Haller befunden haben, der laut Zeugen beobachtet wurde, wie er zusammen mit anderen Türstehern Jagd auf Punks gemacht haben soll.

 

Im späteren Verlauf, auf dem Rückweg nach Zwickau, entdeckten Ne., Os. und Wa. den jungen Punk Patrick Thürmer und seinen Kumpel, die vom Konzert kamen und Schleichwege gegangen waren, um nicht von Neonazis gesehen zu werden.

 

Stellvertretend für alle Punks, die das „La belle“ ein paar Stunden vorher angegriffen hatten, wurde Patrick von den drei rechten Türstehern brutal zusammengeschlagen. Er erlag am darauf folgenden Tag seinen schweren Verletzungen.   

 

Die Personen, die in den Tagen nach dem 2. Oktober 1999 mit den Haupttätern verkehrten sind keine Unbekannten. In den Vernehmungen sagte Nico Ne. aus, dass der Chef der Meeraner Security-Firma „Bulls“, Gunnar Pr. einen Tag nach dem Mord Teil der Runde in der Disko „FUN“ gewesen sei, wo sich über den Mord unterhalten wurde. Nico Ne. war sowohl bei „Bulls“ als auch bei Thomas H.’s „SEC Meerane“ beschäftigt, ebenso wie Patrick Gentsch, damals Teil der „HooNaRa“ und heute Lokalpolitiker der NPD.

 

Patrick Gentsch fuhr einen Tag nach dem Mord im Fahrzeug mit — die „HooNaRa“ war auf dem Rückweg vom Spiel gegen Cottbus — als im Radio bekannt wurde, dass Patrick Thürmer verstorben ist und nun nach einem „Ford Galaxy“ gefahndet werde. Die Insassen des PKWs, unter ihnen Nico Ne., hätten sich geeinigt, „dass Ruhe zu bewahren ist und jeder macht so weiter, wie bisher“. Nach der Ankunft am selben Tag in Zwickau hat Nico Ne. auch Ralf Marschner gesprochen, der ihm geraten haben soll, das Tatfahrzeug abzukleben, damit es die Fahnder nicht finden.

 

Ein paar Tage später rief ein anonymer Hinweisgeber bei der Polizei an und sagte aus, dass er wenige Tage nach dem Mord ein Gespräch belauschen konnte, in dem ein „Manole“ erzählte, er und sein Kumpel „Clauß“ aus Meerane hätten den Punker in Hohenstein erschlagen. Mit „Clauß“ dürfte Manole den Türsteher und engen Vertrauten Thomas H.’s, Andre Cl., gemeint haben. Lokale Antifaschist_innen erinnern sich, dass Andre Cl.’s Kameraden der „Koma Kolonne Meerane“ bereits 1995 an dem Mord an Peter T. am Stausee Oberwald bei Chemnitz beteiligt waren. Die 20 Neonazis hatten erst eine Gruppe Pakistaner angegriffen und später den 24-jährigen Bundeswehr-Soldaten so schwer verprügelt, dass er Tage später starb. Nico Ne. war damals laut eigenen Aussagen bei fast allen Prozess-Tagen gegen die acht Angeklagten anwesend. Sein enges Verhältnis zu Andre Cl. lässt sich auch während seiner eigenen Inhaftierung 1999 feststellen: Er hatte Andre Cl. als einen der Ersten benannt, der von den Beamten über seine Inhaftierung benachrichtigt werden sollte.

 

Was aber erst seit den Ermittlungen im NSU-Komplex öffentlich wurde ist, dass Marschner von 1992 bis 2002 als V-Mann tätig war. Als „Primus“ war er laut seinem V-Mann- Führer die einzig relevante Quelle in der ostdeutschen RechtsRock-Szene. Die Straftaten bei Fußball-Spielen, seine Verwicklung in den Mordfall Thürmer und seine Rolle beim Vertrieb der „Landser“-CDs fanden alle im Zeitraum seiner Spitzeltätigkeit statt. Einen erneuten Kontakt Marschners zum NSU-Unterstützerkreis bzw. zum Trio selbst, sollte es nach deren Umzug nach Zwickau geben.

 

Schlechter Geschäftsmann  

 

Während sich ein Teil der „HooNaRa“ im Security-Bereich betätigte, witterte Ralf Marschner das schnelle Geld im Baugewerbe. Um 1993 begann der Scientologe Kurt Fliegerbauer in Objekte in Zwickau und Umland zu investieren, die Baubranche boomte. Schon 1997 vermietete dessen Firma die Räume in der Kreisigstraße an Marschner, der dort seinen Szeneladen eröffnete. 2000 gründete Marschner seine Firma „Bauservice Marschner“, die vorrangig Aufträge von Fliegerbauer übernahm. Marschners 20 Angestellte, die bis zur Insolvenz der Firma 2002 für ihn arbeiteten, bestanden hauptsächlich aus Neonazis des harten Kerns der Szene Chemnitz-Zwickau. Herausragend waren Steffen Ka., „Hammer­skin“-Chef der Sektion Auerbach/Vogtland, Marco Heft, aus den Kreisen der „jungen HooNaRa“ um Rico Malt in Chemnitz sowie Gregor „Maxx“ Reinhardt, der sich ebenfalls in den Kreisen um „HooNaRa“ bewegte. Gregor Reinhardt ist zudem Trainer im Freefight-Gym „Muay Thay Schmiede Thalheim“, für die auch Neonazis wie Rico Malt und Marco Heft kämpften. Durch die Brüder Kay und Jörg Richter gewann die Baufirma Marschners zwei exponierte Figuren aus der RechtsRock-Szene.


Ihre Band „Blitzkrieg“ — die damals als B&H-nah galt, jetzt aber den „Hammerskins“ zugerechnet wird — grüßte 2001 die „Marschner Bauservice-Crew“ auf dem Backcover ihrer Split-CD „German-British Terrormachine“, wobei „Besonderer Dank an Manole + die Fototerroristen“ geht. Mit „Fototerroristen“ sind wohl die mit Baseballschlägern und Masken abgebildeten Personen gemeint, die auf der CD posieren. Einer, klein und dicklich, dürfte Marschner alias „Manole“ sein.

 

Eine weitere Person, die für die Firma tätig war und Fragen im NSU-Komplex offen lässt, ist Jens Gü. Er war als Zweitfahrer eines Autos der Firma am 13. und 14. Juni 2001 im Mietvertrag eingetragen. Zu der Zeit hatte die Firma eine Baustelle in Nürnberg, der Stadt, an dem am Tag der Autoanmietung Abdurrahim Özüdoğru vom NSU ermordet wurde. Die Autovermietung gab zwar gegenüber dem BKA an, dass das Auto erst am Abend, also Stunden nach dem Mord, angemietet wurde, doch besteht für uns die Frage, wie glaubwürdig die Zwickauer Autovermietung ist und welche Rolle sie in der rechten Szene noch bis heute spielt — sei es als Sympathisanten, bzw. Vermietung mit gutem Ruf in der Szene. Dieser Eindruck entsteht bei uns zumindest bei der Auswertung sozialen Medien. Der Sohn des Geschäftsführers, Christopher St., hatte dort ein Foto von Lisa Se. gepostet, auf dem ihr Wagen in der Werkstatt der Autovermietung steht. Bei ihr handelt es sich um die Freundin des Präsidenten der Neonazi-Bruderschaft „Brigade 8 — Sektion Schweiz“ [9].


Abgesehen von der Anmietung der Autos im unmittelbaren Zeitraum des Mordes wirft Jens Gü.’s Meldeadresse weitere Fragen auf. Gü. ist bis heute in der Polenzstraße gemeldet, in Sichtweite der ehemaligen Wohnung des Trios. Er selbst verneint, die drei jemals wahrgenommen zu haben, was in einer Kleinstadt wie Zwickau unglaubwürdig erscheint. Zudem ist Jens Gü. kein Unbekannter in der rechten Szene.


Er fiel bereits am 21. April 2001 im Zusammenhang mit einem Überfall auf die Bar „Big Twin“ in Zwickau auf, ein Tag nach dem Geburtstag Adolf Hitlers, den die Neonazis vermutlich in der Bar feiern wollten. Brisant ist, dass neben Gü. auch Ralf Marschner, André Eminger und seine spätere Ehefrau Susann Hä. an der Schlägerei beteiligt gewesen waren.


André Eminger hatte damals seinem besten Kumpel Matthias Dienelt, mit dem Eminger nach Zwickau gezogen war, gefragt, ob er für einen „Max Florian Burkhardt“ eine Wohnung besorgen könne. Darauf hätte Dienelt die Wohnung in der Polenzstraße besorgt, in der er zeitweise selbst ein Zimmer bewohnte. Dienelt hatte dem selben „Burkhardt“ auch die Wohnung in der Frühlingstraße besorgt, wie aus den Vernehmungen hervorging. Durch diese Verbindung — Eminger/Dienelt und Eminger/Gü. — muss man davon ausgehen, dass Jens Gü. sehr wohl von seinen Nachbarn wusste.


Wie schon im „Welt“-Artikel von Aust und Laabs ausführlich beschrieben, wollen auch einer der Angestellten des „Bauservice-Marschner“ sowie der damalige Bauleiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnardt auf Marschners Baustellen gesehen haben. In diesem Zusammenhang fällt auch Mundlos' Alias, „Max Florian Burkhardt“. Der echte Burkhardt verschaffte dem Trio bereits in Chemnitz eine Unterkunft, während er der Freund der B&H-Aktivistin Mandy Struck war — deren Namen Beate Zschäpe als Alias benutzte — und fiel durch seine Teilnahme an Neonazi-Großevents wie dem „Tag der Ehre“ in Budapest 1998 auf. Ihn hatte das Trio bis kurz vor ihrer Selbstenttarnung immer wieder nach seinem Befinden oder über persönliche Daten befragt. Rückblickend erscheint es schlüssig, dass Burkhardts Identität für Mundlos' „legales“ Leben benutzt wurde. Inwieweit Burkhardt von den Morden wusste, bleibt vorläufig sein Geheimnis.

 

Konstanten der Szene Chemnitz-Zwickau

 

Während der NSU aus Zwickau seine Morde plante, entwickelte sich die Szene im Umland stetig weiter. Im 20 Kilometer von Zwickau entfernten Glauchau — die Stadt in der das Trio seine Fahrräder reparieren ließ — gründete sich um 2001 die Kameradschaft „Glauchauer Jungs“, die bis 2006 existierte. Die rund 15 Personen umfassende Gruppe wird oft in den Fanzines der Zeit erwähnt, was auf ihr musikalisches Aushängeschild zurückzuführen ist, die Band „Sperrfeuer“. Deren Gitarrist Martin Krause war 2002 einer der Haupttäter im sogenannten „Gründelpark-Überfall“. Mit den Worten: „Wenn deutsche Jungen angemacht werden, kommen deutsche Jungen, um zu helfen“ prügelten er und vier weitere Mitglieder der „Glauchauer Jungs“ auf zwei Männer ein, von denen sie annahmen, dass sie kurz zuvor Kinder im Park angriffen hätten. Das Resultat des Überfalls waren lebensgefährliche Verletzungen.


Tatsächlich ähnelt der Tathergang, also die Anwendung exzessiver Gewalt, dem im Falle Patrick Thürmers oder von Peter T. Dass auch diesmal wieder „HooNaRa“-Bezüge bestanden verdeutlichen die Beziehungen bekannter Mitglieder der „Glauchauer Jungs“. Der schon erwähnte Martin Krause pflegte gerade über die Freefight-Szene beste Kontakte zu den Hooligans und Neonazis in Chemnitz. Sein Gym „Boxclub Chemnitz 94 e.V.“ trat auch im Zusammenhang diverser "Fightclub"-Events auf, bei denen auch die „Muay Thai Schmiede Thalheim“ mehrfach KämpferInnen stellte.

 

Analyse und Vorschau

 

Die Situation, die das Trio um die Jahrtausendwende in Chemnitz und kurz darauf in Zwickau vorfand, erwies sich für sie als nahezu perfekt: Behörden, die das rechte Auge lieber schlossen, und wenn sie es öffneten überfordert wirkten; eine RechtsRock-Szene, die Gelder abwarf und Möglichkeiten boten, im Untergrund mitzuwirken; Security-und Baufirmen, die sich gegen- und wechselseitig unterstützten und ein gesellschaftlicher Mainstream, dem nicht aufgefallen sein will, dass die Region Westsachsen bundesweit ein Kerngebiet rechter Erlebniswelten darstellte. Die Ereignisse der Jahre 1990-2002 haben die rechte Szene der Region geprägt und geformt. Die weiteren Entwicklungen nach 2002 sind die Früchte.

 

Tatsächlich werden wir im Laufe des zweiten Teils dieses Artikels im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) feststellen, dass sich zwar die Akteure ändern, der Tenor aber derselbe bleibt. Hooli­gans, Freefight, „Autonome Nationalisten“ und NS-Hardcore werden dabei eine tragende Rolle spielen, während sich die „Alten“ entweder bei den „Hammerskins“ oder den Motorrad-Clubs finden lassen werden.

 


 

1.„Protokolle? Unter Verschluss. Ergebnisse? Geheim.“ Stefan Aust, Helmar Büchel, Dirk Laabs, veröffentlicht am 17. April 2016 in „Die Welt“ ; „NSU-Mörder arbeitete bei V-Mann des Verfassungsschutzes“ Stefan Aust, Helmar Büchel, Dirk Laabs, veröffentlicht am 6. April 2016 in „Die Welt“

2. Siehe AIB-Online-Artikel „Blood & Honour Sachsen“

3. Vgl. AIB Nr. 110

4. Vgl. AIB Nr. 54

5. Antifa Recherche Team Zwickau

6. Antifa Recherche Team Zwickau

7. Vgl. AIB Nr. 111: „Jenseits der Alpen“

8. Vgl. Pressespiegel und Aufarbeitung des Mordes an Patrick

9. Vgl. AIB Nr. 110