Mit Frohsinn und Trillerpfeife

Erstveröffentlicht: 
04.10.2016

Tausende Dresdner und ihre Gäste feiern mit einem Bürgerfest den Tag der Einheit. 2 600 Polizisten sorgen für einen friedlichen Verlauf der  Veranstaltungen. Einige Protestierer zeigen sich als schlechte Gastgeber.

 

Der Fischkoch aus Bremen bringt es auf den Punkt. „Heiße Suppe, trockene Plätze!“, ruft er aus dem Zelt des kleinsten Bundeslandes heraus auf die Wilsdruffer Straße. Dort ist die Zahl der Besucher überschaubar, die am Montag in Dresden auf der Meile der Bundesländer flanieren. Dafür sind die Zelte gut besucht, in denen sich zum 26. Tag der Deutschen Einheit alle Regionen der Republik vorstellen. Hier ist es trocken, hier locken regionale Spezialitäten für den Gaumen und touristische Angebote von Zinnowitz bis zu den Alpen. Nach zwei turbulenten Tagen klingt das Bürgerfest zum Tag der Einheit eher feucht als fröhlich aus.

 

Ein Stoffbeutel muss sein. Er gilt als beliebtes Mitbringsel. Überall auf dem Festgelände sieht man sie. Das Auswärtige Amt verteilt Beutel in Schwarz mit der Aufschrift „Diplomatengepäck“. Sie sind auf dem Altmarkt zu haben, wo sich Bundesrat und Bundesregierung in großen Zelten vorstellen – verschanzt hinter scharfen Sicherheitskontrollen, die den einen oder anderen auch verschrecken. Besucher müssen anstehen und ihre Taschen öffnen.

 

Dennoch ziehen die Verfassungsorgane an. Im Zelt der Regierung herrscht den ganzen Sonntag dichtes Gedränge. Besucher stecken Broschüren ein und greifen nach den Stoffbeuteln. An den Stehtischen des Finanzministeriums brüten Besucher über den Fragen eines Preisausschreibens: Wie hoch waren die Einnahmen aus der Schaumweinsteuer im Jahr 2015?

 

Im Zelt des Bundesrates leben Legenden auf bei einem Streifzug durch die deutsch-deutsche Geschichte. Vom „politischen Eiertanz“ ist die Rede, als über Helmut Kohls Besuch bei Erich Honecker 1987 berichtet wird. Wenn der steinige Weg zur Wiedervereinigung Revue passiert, ist das vor allem für jüngere Besucher eine kleine Geschichtsstunde zwischen Thüringer Bratwurst, schwäbischen Maultaschen, Schwarzwälder Kirschtorte oder einer Fischsemmel aus Rostock.

 

Der Gastgeber präsentiert sich unter dem Motto „Innovatives Sachsen“ im grün-weiß beleuchteten Zelt. An den Wänden und der Decke Plakate der „So geht sächsisch“-Kampagne. Es gibt Radeberger Bier, am Informationsstand sind die Gummibärchen begehrt. Am Sonntagabend sorgen die Trommler und Tänzerinnen der Dresdner Sambaschule Universo für Stimmung.

 

Am Sonntagabend legt eine Demonstration unter dem Motto „Solidarity without Limits“ (grenzenlose Solidarität) den Verkehr lahm. Bis zu 700 meist junge Teilnehmer der linken Szene ziehen vom Nürnberger Platz über den Postplatz in der Altstadt weiter zum Albertplatz in der Neustadt – begleitet von einem großen Polizeiaufgebot. Die Demonstranten kritisieren die aktuelle Flüchtlingspolitik. Anders als Pegida argumentieren sie, dass der Schutz der EU-Außengrenzen zum Tod von Migranten beitrage. Während der Demo bei strömendem Regen werfen Unbekannte zwei Farbbeutel gegen das Haus der Ausländerbehörde in der Theaterstraße.

 

 

Der Regen hört zur richtigen Zeit auf. 22 Uhr beginnt die große Abendshow – der Höhepunkt des Bürgerfestes. Tausende beobachten vom Königsufer das Spektakel. Die Kulisse der Brühlschen Terrasse wird für 45 Minuten zur Projektionsfläche für die Geschichte der Einheit und einen Appell für Frieden. Bilder erwecken die Frauenkirche, die Hochschule für Bildende Künste und das Ständehaus zum Leben. Kinder erzählen, was sie sich für die Zukunft wünschen: nicht pleite sein, sagt ein Junge. Ein anderer würde gern Fußball auf dem Mond spielen – im Raumanzug. Dann erscheint Schillers Ode an die Freude in goldenen Lettern neben der Frauenkirche. Zu Justin Timberlakes Hit „Can’t stop the feeling“ tanzen Laser durch den Nachthimmel. Bilder der friedlichen Revolution von 1989 erscheinen. Die Kulisse erleuchtet in den Nationalfarben, das Deutschlandlied erklingt.

 

Ungeachtet der feierlichen Stimmung am Vorabend herrschte am 3. Oktober in Dresden die höchste Sicherheitsstufe. An den Vortagen war es zu Zwischenfällen gekommen. Während an der Schießgasse vier Bundesländer Festbesucher begrüßen, führen gleich nebenan im ersten Stock des Dresdner Polizeipräsidiums Dutzende Beamte einen der größten Polizeieinsätze, den die Landeshauptstadt je erlebt hat. Allein am Montag sicherten mindestens 2 600 Polizisten die Einheitsfeier und müssen mehrfach eingreifen.

 

Schon am Sonntagvormittag hatten sich etwa 50 Leute vor dem Rathaus versammelt, um das Islamische Neujahrsfest zu stören. Frauen mit Kopftüchern wurden ausgebuht und skandiert: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Später pöbelten einige aus der Gruppe Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) an. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Joachim Gauck und zahlreiche Spitzenpolitiker am Montagvormittag zur Frauenkirche kommen, übertönen Dutzende Menschen den Neumarkt mit einem Trillerpfeifenkonzert und Pegida-Parolen.

 

Pegida-Gründer Lutz Bachmann ist anwesend, auch sein Stellvertreter Siegfried Däbritz. Schulterklopfen, Handyfoto, dann geht es los: „Haut ab!“, schallt es und „Merkel muss weg!“ – es ist das übliche Repertoire der Pegida. Rund 300 Menschen stehen wenige Meter vor den Politikern. Keiner scheint sich hier über den Staatsakt zu freuen. Die Stimmung ist feindselig. Einige mustern die Scharfschützen, die auf den Dächern rund um den Neumarkt zu erkennen sind. „Die schießen in die Menge, und schon geht der Aufstand los!“, sagt ein Mann und lacht höhnisch. Däbritz kündigt an, nun vor die Semperoper zu ziehen zu Merkels nächstem Termin. „Das ist einfach nur peinlich für Dresden“, sagt Katharina, eine junge Frau, die die Szenerie beobachtet.

 

Die Polizei greift weder an der Frauenkirche noch am Theaterplatz ein und rechtfertigt das später damit, dass es sich um Meinungsäußerungen gehandelt habe. Vor diesem Hintergrund sei mit der Stadt entschieden worden, nicht einzugreifen.