Liebe Gefährten

Solidarity

Liebe Gefährten,
Nachträglicher Brief zum Anti-Repressions-Treffen am 20.8. in der Kernstrasse

(...)
Ich werde nun kurz auf meine persönliche Situation zu sprechen kommen, um dann unter anderem der Frage der konkreten und allgemeinen Rolle der Repression, und wie wir ihr begegnen wollen, genügend Platz einzuräumen.


Seit dem 10. Juli 2016 bin ich, durch die unnachgiebige staatliche Suche nach mir, gezwungen, das öffentliche Leben - inklusive all meiner sozialen Beziehungen, meinen vertrauten Orten und öffentlich organisierten Kampfstrukturen und Veranstaltungen gegen die Herrschaft - zu meiden. Das mag sich nach viel, ja eigentlich nach allem anhören, was ich liebte und wertschätzte. Doch auch die staatliche Repression mit ihren hochtechnologisierten Mitteln ist begrenzt; sie ist dazu verdammt, dort halt machen zu müssen, wo sie eigentlich treffen will, um ihre Feinde auszuschalten - bei den Ideen. Ideen, die, in meinem Fall, ich mir im Laufe der Jahre zu eigen gemacht habe und so zu einem untrennbaren Teil meiner Person geworden sind. Ideen, die von einer anderen Welt träumen, fernab von Staat und Kapital; fernab von jeglichen autoritären Strukturen, die andere dominieren und geisseln, sondern auf Solidarität und gegenseitiger Hilfe basieren und die unbegrenzte Freiheit und Entfaltung Aller erkämpfen wollen. Diese Ideen, in ständiger Weiterentwicklung meiner selbst, sind es, die der Staat niemals auszuschalten vermag, niemals totschweigen kann und die immer für die soziale Revolution einstehen werden. Und schon bin ich mitten im eigentlichen Thema.

Die jüngste Welle der Repression vom Staat gegen subversive Individuen ist, meiner Ansicht nach, nicht etwas aussergewöhnliches oder deutet gar auf einen politischen Kurswechsel gegenüber anti-staatlichen Konzepten hin. Vielmehr ist sie ein Resultat einer jahrelangen Entwicklung rebellischer Akte, direkter Aktionen und gezielter Sabotagen gegen eben dieses Herrschaftssystem, das täglich darin bemüht ist, die Leichenberge, die es produziert, mit Fair-Trade-Perserteppichen zu überdecken und unsere Aufmerksamkeit auf die blinkenden Werbeschilder zu lenken. Eine Entwicklung subversiver Akte also, die schlichtwegs Ideen darstellen, die in die Tat umgesetzt worden sind. Repression ist weder ein Zeichen, dass wir dem Staat zu gefährlich werden, noch eine affektive Reaktion seinerseits, die ihm zukünftige Schwierigkeiten einbringen wird. Sie ist ein Mittel des Staates, womit er sich und seine aufgezwungene Ordnung aufrechterhält. Und all jene, die sich dagegen zur Wehr setzen, sind zwangsläufig irgendwann einmal mit Repression konfrontiert. Doch sie ist nicht nur rohe Gewalt: seit Jahren legt der Staat Berge von Akten über Individuen und Zusammenhänge, die ihn bekämpfen, an, um seine Feinde einordnen, einschätzen und überwachen zu können. Mit dem Ziel, die Schwäche des Feindes auszunutzen, ihn lesen zu lernen, seine Handlungen vorherzusehen und dementsprechend zu handeln. All das ist Repression.
Vergangenen Monat hatte der Staat die Möglichkeit, durch diverse Fehler und unglückliche Zufälle seitens seiner Feinde, sein tolerantes Gewand abzulegen, sein angesammeltes Wissen zu aktivieren und den subversiven Kräften zu zeigen, wie sich seine nackte, rohe Repression anfühlt. Und er hat sie genutzt: er hat uns Freunde und Gefährten geraubt; ist - teils schwer bewaffnet - in unsere und andere private Räume eingedrungen; hat Gefährten und Andere im Alltag terrorisiert, verfolgt und sie in seinen Institutionen befragt, schikaniert und einzuschüchtern versucht; und er hat den gefangenen Gefährten und mir in sehr unterschiedlicher Art und Weise seine angebliche Freiheit entzogen.
Die Fragen, die wir uns in dieser Situation stellen müssen, sind aber keineswegs neu oder dringlicher als noch vor 2 Monaten. Es ist bloss die aktuelle Realität, die sie so erscheinen lassen. Der vom Staat gewünschte Effekt nach so einer Operation, ist natürlich die sich durch Angst verbreitende Stille und Nervosität bei seinen Feinden; Rückzug der Ideen - und die ihnen folgenden Taten - aus dem öffentlichen Leben, und defensive Anti-Rep-Arbeit sind bekannte Gefahren, von denen wir nicht gefeit sind. Es bedarf also einer Auseinandersetzung, wie diesen Gefahren begegnet werden kann. Es geht mir hier nicht um die Errichtung eines künstlichen Wertesystems, das besagt, welche revolutionäre Tätigkeit prioritär ist. Es geht mir um eine gemeinsame Auseinandersetzung darüber, wie sich die anarchistischen Tätigkeiten und Interventionen in den letzten Jahren entwickelt haben, wie sie gesellschaftlich einzuordnen sind und welche Schritte nun unternommen werden sollten. Gleichsam bedarf es einer Analyse der generellen staatlichen Verschärfung und Repression, um zu erkennen, wo sich Spannungsfelder zusammenbrauen könnten und eine anarchistische Intervention sinnvoll wäre. Denn die aktuelle Repression, die sich gegen uns richtete, muss gesellschaftlich verstanden und auch so beantwortet werden. Natürlich ist es wichtig, dieser Maschinerie Sand ins Getriebe zu schütten, jedoch die Fragen wann, wo, wie, mit wem und mit welchem gewünschten Effekt, sind es genauso. Mithilfe von ihnen werden wir fähig, nicht bloss symbolisch auf Geschehnisse zu reagieren, sondern mit unseren Taten effektive, nicht ignorierbare neue Momente zu schaffen, die der funktionalen Normalität diametral entgegenstehen. Eine Disfunktion des Alltags birgt vielerlei Möglichkeiten und wäre eine adäquate Antwort auf konkrete Repressalien gegen uns oder andere. Denn um innerhalb einer neuen Realität experimentieren zu können, muss die alte zuerst kurzgeschlossen werden.

solidarisch und in Gedanken bei euch,
euer Gefährte aus dem Nirgendwo

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solidarische grüße aus Berlin

...uns allen