Bautzen: „Heut’ Abend is wieder Asylis klatschen“

Erstveröffentlicht: 
15.09.2016

Von Marie Luise Wegener, Bautzen - „Das geht so nicht weiter mit denen, die führen sich uff, als gehört dene Bautzen“, „die Neger brauchen ma’n Denkzettel, heut abend is wieder Asylis klatschen uffa Platte“, „und denn ab innen Steinbruch mit dene oder gleich heeme“ – Sätze, die man dieser Tage in und um Bautzen in vielen Kneipen und auf den Straßen rings ums Zentrum hören kann.


Auch auf öffentlichen Plätzen, dort, wo Männer mit viel Tagesfreizeit und großem Bierdurst zusammensitzen, geht es stets um das lokale Aufreger-Thema Nummer eins: die „Asylis“ oder „Assys“ genannten Ausländer, meist jüngere Nordafrikaner, und deren anstößiges Verhalten: In der Öffentlichkeit würden sie zu laut reden, Musik hören, saufen, Skateboard fahren, „wie die Bongo-Chefs auftreten“ und Frauen anmachen.

„Und unsere Weiber sind so dumm, die gehen auch noch mit mit dene, das is echte ‚Rassenschande‘“, echauffiert sich ein Mann um die 45, dem Alkohol offensichtlich zugetan und stets auf dem Kornmarkt anzutreffen. Ihm und seinen Kumpanen passe es natürlich nicht, dass sich die Ausländer allabendlich auf der „Platte“, dem zentralen Platz am Bautzener Kornmarkt, träfen, um dort das freie WLAN zu nutzen und es den Einheimischen gleichzutun – Bier in lauer Spätsommernacht zu trinken und Frauen anzuflirten.

Unter Polizeischutz in die Asylunterkunft

Teile der männlichen Bautzener Jugend sehen das ähnlich: Seit März 2016, seit die lokale AfD einen von rund 100 engagierten Gästen besuchten „Bürgerstammtisch“ zum Thema „Bürgerwehren“ veranstaltete und den interessierten Twens die rechtlichen Grundlagen für eine durchaus gestattete „Bürgerstreife“ mitgab, formierten sich dementsprechende Gruppen in sozialen Medien, um gegen die „Flüchtigranten“ und „Asylschmarotzer“ genannten Ausländer „vorzugehen“.

Nun, in den letzten warmen Nächten des Spätsommers, verabreden sie sich in den einschlägigen Gruppen auf Facebook, um „denen“ mal zu „zeigen, dass das hier unser Sachsen ist“. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag veranstalteten rund 80 Männer die erste regelrechte Jagd auf rund 20 Asylbewerber, die unter Polizeischutz in ihr nahe der Innenstadt gelegenes Heim an der Dresdner Straße flüchteten.

Neues Phänomen im Stadtbild Bautzens

„Es gibt eine Vorgeschichte. Die Eskalation ist die Folge der Entwicklungen der vergangenen Tage“, sagte der Leiter des Polizeireviers Bautzen, Uwe Kilz, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Die gewalttätigen Ausschreitungen in der vergangenen Nacht seien von Asylsuchenden ausgegangen.

Als Folge der Vorfälle wolle die Polizei verstärkt am umgangssprachlich „Platte“ genannten Kornmarkt patrouillieren. Der Landkreis Bautzen will den etwa 30 in der Stadt lebenden jugendlichen Flüchtlingen nun ein Alkoholverbot und eine Ausgangssperre ab 19 Uhr aussprechen.

Für das idyllisch in der Oberlausitz gelegene Bautzen sind Ausländer, zudem noch aus dem muslimischen Kulturkreis, ein neues Phänomen im Stadtbild. Die Touristen, die Bautzen besuchen, sind zum großen Teil deutsche Rentner auf Busreisetour,  und sie verlassen das Städtchen nach wenigen Stunden oder Tagen wieder.

Angela Merkel als „ferngesteuerte Volksverräterin“

Seit 2014 hat die historische Hauptstadt der Sorben aber rund 3000 Asylbewerber aufnehmen müssen, somit stieg der Ausländeranteil bei rund 40.000 Einwohnern von 1,9 auf 4,4 Prozent.

Für den parteilosen Bürgermeister Alexander Ahrens, einen gebürtigen Westberliner, stellt das per se natürlich kein Problem dar. Im Gegenteil: Er wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass es menschliche Pflicht sei, Schutzsuchenden Zufluchtsorte zu bieten, und sieht auch eine wirtschaftliche und demografische Chance für die von Landflucht gebeutelte Region.

Für viele Einwohner mit rechter Gesinnung – immerhin erzielten NPD und AfD 2014 bei der Landtagswahl 25 Prozent – ist der Anstieg aber das klar erkennbare Anzeichen der von der „ferngesteuerten Volksverräterin“ Angela Merkel geplanten „Umvolkung“ durch „Überfremdung“ und „Islamisierung“.

Arabische Hassparolen gegen rechte Männer

Daher rief das Bündnis „Die Sachsen Demonstrationen“ unter dem Motto „REmigration – Frieden mit Russland – EU und NATO Austritt“ am vergangenen Freitag zu einer Versammlung auf dem zentralen Kornmarkt auf. Rund 80 rechts gesinnte Männer fanden sich dort, wie auch ein Redner der NPD Sachsen, ein, um gegen die „Asylschwemme“ zu protestieren und für Rückführungen der „illegalen Wirtschaftsmigranten“ zu plädieren.

Das lokale links-alternative Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ trommelte zusammen mit Aktivisten der Antifaschistischen Aktion, bürgerlichen und linken Gruppen im Internet zur Gegendemonstration, sodass sich am frühen Abend jeweils rund 80 Protestierende, durch die Polizei voneinander getrennt, gegenüberstanden.

Junge Asylbewerber, die sich zum Teil vermummt bei der linken Kundgebung einreihten, stiegen sich auf die Schultern, bauten Menschenpyramiden, schwangen „Refugee Welcome“-Flaggen und brüllten arabische Hassparolen in Richtung der Teilnehmer der „Sachsen Demonstration“. Auch wurden Feuerwerkskörper gen rechts geschmissen; die Stimmung war geladen und drohte zu eskalieren.

Betrunkene Rechte lauern Linken und Asylbewerbern auf

Die Polizei bekam Verstärkung aus Dresden. Als ein 20-jähriger Asylbewerber libyscher Herkunft versuchte, die Polizeisperre zu durchbrechen, griff die Polizei zu und fixierte ihn unter hämischem Gebrüll der rund 150 Schaulustigen, die sich zum Wochenendbeginn am Kornmarkt eingefunden hatten.

Nach der Beendigung beider Kundgebungen eskortierte die Polizei die Teilnehmer der linken Gegendemonstration ins „Steinhaus“, ein alternatives Jugend- und Begegnungszentrum, während teilweise stark alkoholisierte Rechte über Stunden versuchten, einzelnen Linken oder Asylbewerbern aufzulauern. Viele waren freudig erregt, aufgekratzt und nahezu glücklich, dass in der Stadt, in der es am Wochenende kaum ein Freizeitangebot für Jugendliche gibt, „endlich mal was passiert“.

Unterdessen warf ein 14-jähriger syrischer Asylbewerber auf der „Platte“ einem 47-jährigen Sachsen eine Bierflasche entgegen, woraufhin dieser den Syrer mit einem Messer angreifen wollte. Die Polizei, deren Einsatzfahrzeuge von Bautzenern beworfen wurden, erteilte 20 Platzverweise und registrierte sechs Straftaten.

„Patrioten“ und „Heimatschützer“ verabreden sich

Am Montag verabredeten sich Mitglieder der rechten Gruppen, um „für Ruhe zu sorgen und denen einen Denkzettel zu verpassen“; es kam zu einer Schlägerei zwischen rund 30 Personen, Deutschen und Asylbewerbern.

Auch am Dienstag waren ab Einbruch der Dunkelheit rings um den Kornmarkt lautes Gegröle, wüste Beschimpfungen und Pöbeleien zwischen den Gruppen zu hören, die von rund zwei Dutzend Schaulustigen befeuert wurden. Im Verlauf des Abends verletzte ein 32-jähriger Asylbewerber einen Bautzener mit einer abgebrochenen Bierflasche schwer an Rücken und Hals.

Am Mittwochabend, nachdem sich rund ein Dutzend selbst ernannter „Patrioten“ und „Heimatschützer“ aus Bautzen und auch aus umliegenden Gemeinden erneut in einer geschlossenen Facebook-Gruppe zum „Aufräumen“ verabredet hatten, kam es zunächst zu Wortgefechten zwischen Sachsen und Ausländern.

Hotelier bittet um Alkoholverbot und WLAN-Aus

Polizisten trennten die Parteien und wurden darauf von den Asylbewerbern mit Flaschen, Holzlatten und anderen Gegenständen beworfen, die Beamten reagierten mit Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. Danach kam es durch rund 80 Asylgegner zu einer regelrechten Jagd auf die 20 meist jugendlichen Asylbewerber, bei der rechte Parolen und Sprechchöre wie „Deutschland den Deutschen“ und „Wir sind das Volk“ skandiert wurden.

Nach dem Brand in der geplanten Asylbewerberunterkunft im Hotel „Husarenhof“ kurz vor der Eröffnung im Februar dieses Jahres hatte die Stadt einen Einbruch im Tourismus erwartet, der aber laut dem städtischen Pressesprecher André Wucht „erfreulicherweise ausblieb“. Anreisen und Übernachtungen stiegen in den Sommermonaten um bis zu 11,5 Prozent, man hoffte, ohne Stigma davongekommen zu sein.

Nun aber meldet sich auch der Hotelier des am Kornmarkt gelegenen Best-Western-Hotels in einem Brief an die Stadtverwaltung zu Wort, da er allein nach den lauten Auseinandersetzungen Dienstagnacht 58 Beschwerden von Gästen bekommen habe. „Unerträglich“ sei der Zustand, seine Gäste trauten sich abends teilweise nicht mehr aus dem Haus. Er bittet um Alkoholverbote, Platzverweise und das Abschalten des öffentlichen WLANs, um den Platz für die einschlägig bekannte Klientel unattraktiver zu machen.

Gezielte Ermittlungen gegen rechte Netzwerke

Auch Pressesprecher Wucht hält das für eine der möglichen Maßnahmen, um zusammen mit deeskalierend wirkenden Streetworkern und einem höheren Polizeiaufgebot weitere Zusammenstöße zu vermeiden. Auch dem Hass im Internet soll Einhalt geboten werden.

Eine ultrarechte Hetz-Site wurde bereits vom Netz genommen und die aktuell laufenden Veranstaltungen der „1. Demokratiewochen Bautzen“ zur Förderung des Dialogs und des Demokratiebewusstseins in der Zivilgesellschaft erfreuen sich regen Zuspruchs – nur eben nicht in dem Teil der Bevölkerung, der seinen Hass gegen Ausländer gerne lautstark und körperlich übergriffig kundtut.

„Immerhin“ erklärt André Wucht, „können nicht alle Aggressoren Bautzener“ gewesen sein, da am Mittwochabend auffallend viele Pirnaer Autokennzeichen rings um den Kornmarkt zu sehen waren. Anscheinend hätten sich „ganze rechte Netzwerke“ abgesprochen und verabredet, denen nun mithilfe gezielter Ermittlungen der Garaus gemacht werden soll.