Nach den Krawallen: Heidenau erholt sich langsam

Erstveröffentlicht: 
18.06.2016

Vor einem Jahr gelangte Heidenau bei Dresden durch die gewalttätigen und fremdenfeindlichen Proteste vor einem Asylheim zu trauriger Berühmtheit. Organisierte Rechtsextreme missbrauchten die Stadt als Bühne. Viele im Ort ließen sich das nicht gefallen und engagieren sich seitdem für Flüchtlinge.

 

Heidenau.  Vor der Unterkunft war die Lage bedrohlich, drinnen relativ entspannt: „Die Flüchtlinge wurden so gut es ging abgeschirmt, wir haben uns entschuldigt, ihnen gesagt, dass es zurzeit Probleme in Deutschland gibt“, blickt Jürgen Grunow, 71, zwölf Monate zurück. Als freiwilliger Helfer hatte er in der gerade erst eröffneten Erstaufnahme in Heidenau seine Arbeit aufgenommen uns zeigte Herz, als ausländerfeindliche Krawalle die Stadt in Verruf brachten.

 

Ein heißer Sommer. 23 Jahre nach den massiven Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen. Auf dem Zenit der Flüchtlingskrise brodelt die Stimmung im Land. Der Zustrom ist inzwischen abgeebbt, das Asylheim seit Mai geschlossen, die Bewohner verlegt. Momentan dient der Ex-Praktiker-Baumarkt an der S 172 als Materiallager fürs Deutsche Rote Kreuz. Am Metallzaun pappen grüne Planen, auf dem Briefkasten klebt ein Zettel: „Unbekannt verzogen“. Normalität scheint eingekehrt. 

 

Abstoßende Krawalle, rassistische Parolen


Am Freitag, dem 21. August 2015 regierte in der sächsischen Kleinstadt bei Dresden jedoch der Ausnahmezustand. Zwei Abende in Folge wütete ein brauner Mob an der Hauptstraße, versuchte die Ankunft der Flüchtlingsbusse zu verhindern, skandierte: „Ausländer raus!“ Grölende Randalierer attackierten mit Steinen, Böllern und Flaschen Polizisten, die sich mit Pfefferspray und Tränengas wehrten. Dutzende Gaffer, aber auch Sympathisanten, standen unbeteiligt daneben. Als am Sonntag noch Linksautonome mitmischten, schaukelte sich der Tumult abermals hoch, bis der dreitägige Gewaltexzess mit 33 verletzten Polizisten endete.

 

Unrühmliche Szenen, die Alexej Hock, 27, aus Dresden miterlebte. Für „Straßengezwitscher“ twittert er von Pegida-Demos und Anti-Asyl-Protesten. „Heidenau war das Schlimmste, was ich mitgemacht habe. Beängstigend.“ Auffällig viele junge Menschen hätten sich am Hang gegenüber des Flüchtlingsquartiers versammelt. Vom benachbarten Supermarkt wurde Bier herangeschafft. Mit dem Alkohol fielen die Hemmungen. „Teilweise herrschte Volksfeststimmung“, schildert Hock.

 

Seine bittere Erkenntnis: Die überforderten Einsatzkräfte stießen scheinbar an ihre Grenzen und verfolgten die falsche Taktik, als Heidenau ins Fadenkreuz organisierter Fremdenfeinde geriet. Eine Tragödie, teils mit Ansage. Schon wenige Tage zuvor rumorte es in den sozialen Internetnetzwerken. Facebook-Seiten wie „Heidenau hört zu“ (inzwischen gelöscht) heizten mit böswilligen Gerüchten die Stimmung an. 

 

Verunsichert wegen fehlender Informationen


Rico Rentzsch, 28, zu der Zeit noch NPD-Stadtrat, rief seit dem 19. August zu Kundgebungen auf, meldete für besagten Freitag eine Demonstration durch die Innenstadt an, der sich rund 1000 Menschen anschlossen. Der Protest war friedlich, die Rhetorik scharf: Der Bezug des Heimes müsse um jeden Preis verhindert werden. Einige Mitläufer merken da auch: Die NPD spielt gern mit den Ängsten besorgter Bürger, umwirbt das Publikum. Nach Demo-Ende zogen Kleingruppen weiter vors Flüchtlingsheim, wo die Lage am Abend eskalierte.

 

Dass die Rechten Oberwasser bekamen, schiebt Linken-Stadtrat Steffen Wolf, 52, auch auf die schlechte Informationspolitik des Innenministeriums. Die Ankündigung der Landesdirektion, eine Notunterkunft für 600 Asylbewerber zu schaffen, traf die Stadt unvorbereitet, es gab Verunsicherung und Sorgen um steigende Kriminalität. Die anfängliche Angst habe sich zumindest in Heidenau später als unbegründet herausgestellt, so der CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Wehner.

 

Nur 142 Asylbewerber leben heute laut Landratsamt in der 17.000-Einwohner-Stadt zwischen Pirna und Dresden. Viele Familien, überwiegend aus Syrien, Irak, Afghanistan und Libyen, untergebracht in Wohnungen. „Das Zusammenleben ist ruhiger, die Akzeptanz größer geworden“, resümiert Steffen Wolf. Zwischenfälle gab es keine mehr. „Der Großteil der Bürger war und ist vernünftig.“ Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) habe zudem „die Stadt gut vertreten und den Schaden begrenzt.“ 

 

Politiker verurteilen die Angriffe


Im Internet präsentiert sich die Gemeinde als familienfreundlich. Opitz, seit 2012 im Amt, nahm die Heidenauer aus der Schusslinie, als diese den braunen Stempel aufgedrückt bekamen und musste sich selbst als „Volksverräter“ beschimpfen lassen. Unermüdlich und couragiert eilte er damals von Interview zu Interview. Jetzt sind die Reporter wieder da, doch äußern will er sich nicht. „Die Situation soll kein weiteres Mal hochkochen“, sagt eine Rathaus-Mitarbeiterin.

 

Den Besuch von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) vor einem Jahr im Flüchtlingscamp nutzte Opitz, um seine Stadt aus den weltweiten Negativschlagzeilen zu holen: Heidenau sei kein Nazi-Nest, bekräftigte er. Die Gewalttäter bezeichnete Gabriel als „Pack“. Am Tag darauf wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Ort von Störern ausgepfiffen. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich erklärt später: Eine enthemmte Minderheit habe Sachsen besudelt und beschämt.

 

Wie in den 1990ern ist von Dunkeldeutschland die Rede. Und warum schon wieder der Freistaat? „Die Angst vor Fremden ist hier immer noch weit verbreitet“, sagen die Macher hinter der Facebook-Seite „Heidenau ist bunt“, die anonym bleiben wollen. „In der Region war es eigentlich nur eine Frage der Zeit wann, wo genau und in welchem Ausmaß es passieren wird.“

 

Der Kern des aktiven Neonazi-Milieus in Heidenau bestünde aus einem Kreis von nur etwa 25 bis 30 Leuten – ohne feste Strukturen, plus einigen Anhängern mit ähnlichen Ansichten. Das Mobilisierungspotenzial der rechtsextremen Szene im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sei allerdings nicht zu unterschätzen. Augenzeugen teilen später die Einschätzung: Die Mehrheit der Randalierer kommt von außerhalb. Heidenau wurde von Rechtsradikalen gekapert und wider Willen zum Schauplatz angereister Krawall-Touristen, unter anderem aus Freital und Dresden.

 

Bislang wurden 41 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 22-mal Anklage erhoben, elf Unruhestifter verurteilt – wegen schwerem Landfriedensbruch, Körperverletzung, Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole und Beleidigung, listet die Generalstaatsanwaltschaft Dresden auf. Viele vermummte Vandalen werden wohl nie bestraft, sie kamen im Schutz der Dunkelheit davon. 

 

Engagement für friedliches Zusammenleben


Das Stadt-Image aufzupolieren, das rechte Stigma abzuschütteln – eine Herausforderung. Dabei „passieren jeden Tag viele wunderbare Dinge in Heidenau“, sagen die Initiatoren von „Heidenau ist bunt“. „Ich lebe gern hier“, betont Michael Schürer, Stadtrat der Heidenauer Bürgerinitiative. „Seit 63 Jahren schon.“ Im Zentrum gibt’s eine schmucke, wenn auch wenig belebte Einkaufsstraße. Am Elbhang thront der Barockgarten aus der Zeit Augusts des Starken. Die einstige Industriestadt profitiert vom Dresdner Einwohner-Boom.

 

Wege, um Geflüchtete zeitnah zu integrieren, ebnete vor allem der Pirnaer Verein „Aktion Zivilcourage“, der in der Stadt ein großes Netzwerk verschiedener Vereine koordiniert, Sprachangebote und Begegnungsmöglichkeiten geschaffen hat. Auch das Heidenauer Pestalozzi-Gymnasium zeigte Einsatz: „Mit Gesprächsrunden wollten wir eine Art Akzeptanz für die Flüchtlingssituation schaffen, die eigentlich vorhanden war“, erzählt Vize-Direktor Erik Richter. „Denn die Schüler standen der Sache von Anfang an sehr offen gegenüber“, sammelten Spenden, luden Asylbewerber zu Konzerten ein.

 

„Heidenaus Ruf hat anfangs gelitten, sich aber gebessert“, meint Jürgen Grunow aus Pirna. Fast zehn Monate, bis zur Schließung der Erstaufnahme, begrüßte der Helfer die neuankommenden Flüchtlinge mit einem Lächeln. „Die Menschen kamen oft mit einem wirklich unglücklichen Gesicht zu mir.“ Und schöpften nach ein paar Tagen wieder Hoffnung. „Die gemeinsame Zeit schweißt zusammen“, sagt er. Noch heute habe er zu vielen Familien Kontakt.

 

„Besonnenheit“, predigte der katholische Pfarrer Peter Opitz, als sich 200 Menschen nach dem Krawall-Wochenende zum Friedensgebet in seiner Kirche versammelten. Zwischen einigen Mitgliedern der Christen-Gemeinde und Asylbewerbern seien echte Freundschaften entstanden. Doch, räumt er ein, noch oft seien Sprachbarrieren der Grund, warum die Annäherung und Verständigung zwischen Flüchtlingen und Einheimischen sehr zaghaft seien und es in „Häusern, in denen Flüchtlinge wohnen, gelegentliche Ablehnung der Nachbarn gibt.“

 

Könnten sich die Ereignisse wiederholen? „Hoffentlich nicht“, sagt FDP-Stadtrat Norbert Bläsner, 35. Heute herrsche eine andere Stimmung. „Viele sind auch erschrocken darüber, welche Ausmaße die Situation annahm. Bürger, die vielleicht den Flüchtlingskurs kritisieren, aber mit Gewalt nichts am Hut haben und nicht diese Weltanschauung vertreten.“ Und ergänzt: „Schon vor den Ausschreitungen waren in Heidenau Asylbewerber untergebracht, da gab es auch kein besonderes Problem mit Angriffen.“

 

Zum Jahrestag soll in Heidenau am Sonntag eine antifaschistische Demo unter dem Slogan „Wir vergessen nicht!“ stattfinden. Die meisten Einwohner haben nur eine Bitte: Alles soll friedlich bleiben.

 

Von Benjamin Winkler