OBM Jung: Neue Ordnungsinspektoren sollen für mehr Ruhe vor Leipziger Hauptbahnhof sorgen

Erstveröffentlicht: 
12.08.2016

Burkhard Jung (58, SPD) will die Stadt sicherer machen. Mit zehn zusätzlichen Stellen im Ordnungsamt und mit schärferen Sicherheitsauflagen bei Großveranstaltungen. Er wünscht sich eine weitere Amtszeit für seinen CDU-Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Und konstatiert eine zunehmende Radikalisierung an den politischen Rändern in Leipzig - auch links. Wir haben den OBM interviewt – bei einem Spaziergang im Wildpark.

 

Sind Sie oft hier im Wildpark?


Wenn wir spazieren gehen, dann sind wir meistens hier.

 

Sie waren im Urlaub?


Ja, das erste Mal seit langem für drei Wochen am Stück: Lago Maggiore, Ligurische Küste und Bergen am See, alles mit dem Auto. Es war eine gute Zeit.

 

Dann ging es gleich in Personal-Klausur mit Ihren Dezernenten und Amtsleitern. Was gab es Spannendes?


Wenn man alles bewilligen würde, was angemeldet wurde, wären wir bei ca. 700 zusätzlichen Stellen für 2017/18.

 

Und jetzt?


Sollen es deutlich weniger werden, rund 360, davon sehr viele Erzieherinnen-Stellen. Insgesamt zählt die Verwaltung derzeit 6500 Mitarbeiter.

Der Wildpark wird sehr gut von der Bevölkerung angenommen, sagt der OBM.

 

250 000 Besucher kommen jedes Jahr, die Stadt schießt 250 000 bis 300 000 Euro zu. Jung mag vor allem den kleinen Erlebnispfad.

 

Ein Thema, das gerade viele Menschen bewegt, ist die Sicherheit. Was kann die Stadt Leipzig, was kann der Oberbürgermeister mit seinem Ordnungsamt tun, damit sich die Menschen sicherer fühlen?


Ich verstehe die Ängste und Sorgen sehr wohl. Die Ereignisse in den letzten Monaten schaffen ein Gefühl der Unsicherheit. Die Dimension dieser Gewaltexzesse – ich erinnere an die Anschläge in Bayern, aber auch an den Rocker-Mord in Leipzig bis hin zu den Leichenfunden im Bagger – das ist für normal denkende Menschen nicht zu verstehen. Ich bin laufend im Gespräch mit dem Polizeipräsidenten. Ein gutes Beispiel für gelungene Zusammenarbeit war unsere gemeinsame Reaktion auf die Rocker-Situation in der Eisenbahnstraße. Als Stadt haben wir Einreiseverbote verhängt und auch eigene Ordnungskräfte abgestellt – flankierend für die Polizei. Ich werde dem Stadtrat für den Haushalt 2017/2018 zehn neue Stellen für Inspektoren des Ordnungsamtes vorschlagen. Damit wären wir vor Ort präsenter und können das Sicherheitsgefühl, was ja oftmals ebenso wichtig ist wie die konkrete Sicherheitslage, deutlich verbessern. Darüber hinaus müssen wir noch besser für Sauberkeit und Ordnung sorgen, Ordnungswidrigkeiten verfolgen: Ruhestörung, Müllablagerungen und Schrott-Autos, die am Straßenrand vor sich hin gammeln. Die Mitarbeiter laufen Streife in den Stadtteilen und Parks. Sie tragen eine Uniform, sind erkennbar.

 

Sollen diese zusätzlichen Ordnungskräfte in der Eisenbahnstraße zum Einsatz kommen?


Auch – im ganzen Stadtgebiet. Es gibt eine Faustregel: Je 10 000 Einwohner ein Ordnungsinspektor. Ich möchte diese Stellen auch mit Blick auf das Einwohnerwachstum schaffen. Die neuen Mitarbeiter wären aber nur ein Baustein. Das andere ist die sehr enge Absprache mit der Polizei zum Versammlungsgeschehen: Was für Auflagen werden erteilt, was ist verantwortbar? Es ist übrigens sehr schwierig, den Menschen zu erklären, dass Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit rechtlich kaum beschnitten werden dürfen. Eine der häufigsten Fragen an mich: Warum verbieten Sie diese oder jene Demonstration nicht einfach? Weil ich es nicht darf.

 

Die zusätzlichen Kräfte beim Ordnungsamt wären ein Zeichen nach außen. Aber Sie werden damit nicht verhindern, dass sich Mitglieder von zwei verfeindeten Rockerbanden mitten in der Stadt über den Haufen schießen.


Nein. Das ist am Ende auch eine Frage des Bundesgesetzgebers.

 

Kann die Stadt an der Stelle etwas tun?


Wir können wie gesagt nur eng mit der Polizei zusammenarbeiten und über Verordnungen und städtebauliche Satzungen etwas steuern. Und beobachten: Welche Räume werden wie genutzt? Es geht ja hier um kriminelle Organisationen. Denen können wir als Stadt nur mit breiter Unterstützung Herr werden.

 

Sie haben in der Bürgersprechstunde verstärkte Kontrollen im Bahnhofsumfeld angekündigt. Wie soll das ablaufen, was wollen Sie tun?


Es gibt zunehmend Beschwerden zur Situation auf den Grünflächen vor dem Bahnhof. Da wird getrunken, der Platz verschmutzt, es gibt belästigendes Betteln. Die Herausforderung ist: Wenn dort jemand einfach nur sitzt, können Sie nicht eingreifen. Die höhere Präsenz der Mitarbeiter wird hoffentlich Wirkung zeigen.

 

Thema Terrorgefahr: Können Sie sich vorstellen, bei Großveranstaltungen mehr Taschenkontrollen durchzuführen oder Taschenverbote auszusprechen. Gibt es da Überlegungen?


Ja, die gibt es. Wir haben immer schon Sicherheitskonzepte ausgearbeitet - bei jeder Großveranstaltung, für das Lichtfest am 9. Oktober zum Beispiel. Wenn die aktuelle Situation in den kommenden Jahren anhält – und es spricht leider vieles dafür, – dann wird es weitere Auflagen bei Großveranstaltungen geben. Ich war privat beim Sting-Konzert auf der Berliner Waldbühne. Einen solchen Sicherheitsaufwand bei Konzerten hat es vorher meines Wissens nie gegeben: Jede Tasche würde intensiv durchsucht - mit Vor- und Hauptkontrolle. Auch die Veranstalter sorgen also vor.

 

Was könnte man sich konkret unter „weiteren Auflagen“ vorstellen?


Ich kann das nicht pauschal ausbreiten. Das kommt auf die konkrete Veranstaltung an, auch auf die aktuelle Gefährdungslage.

 

Wie bekommen Sie Ihre neue Kulturbürgermeisterin richtig aufs Gleis? Der Start ging ja ziemlich daneben.


Das möchte ich nicht so stehen lassen. Frau Jennicke hat sich gut eingearbeitet, sie ist bei Dienstberatungen gut vorbereitet. Ich habe auch bei der Personalklausur gemerkt, dass sie gut im Stoff steht. Ich bin sehr optimistisch, dass sie dieses Amt gestalten wird. Und 100 Tage muss jeder erstmal haben.

 

Was ist denn bei der verpatzten ersten Wahl von Frau Jennicke in Ihrer Verwaltung schief gelaufen?


In Zukunft wird das gründlicher vorbereitet.

 

Der nächste Bürgermeister, der vielleicht ausgetauscht wird, wäre Herr Bonew. Zumindest endet die Amtszeit des CDU-Finanzbürgermeisters im März 2017. Wen würden Sie denn für die nächste Amtszeit vorschlagen?


Ich arbeite mit Herrn Bonew gut zusammen. Und ich werde ihn sehr unterstützen, wenn er wieder antritt.

 

Die ABC-Schützen sitzen seit dieser Woche an den Schulbänken. Es wird künftig Engpässe geben - nicht nur bei der Lehrerversorgung, das ist ja nicht Ihre Baustelle, sondern auch bei den Schulplätzen. Als es bei der Hochkultur nicht rund lief, haben Sie sich das Thema auf den Tisch gezogen. Müssen Sie das hier nicht auch tun? Die Schulversorgung auch zur Chefsache machen?


Das ist ja im Prinzip jetzt schon so. Als das Asylthema immer dichter wurde, habe ich eine amts- und dezernatsübergreifende Projektgruppe „Asylräume“ gebildet und dann auch selbst geleitet, um das schnell voranzubringen. Die Arbeit ist – für den Moment - im Wesentlichen getan. Für die kommunalen Asylplätze sind wir für die nächsten Jahre gerüstet, wenn die Situation so bleibt, wie sie jetzt ist. Diese Gruppe will ich jetzt weiterführen - unter dem Namen „Schulräume“, damit wir mehr Sicherheit für die kommenden Jahre bekommen. Vertreten sind unter anderem Schulverwaltung, Liegenschaftsamt, Stadtplanungsamt, Grünflächenamt. Die Bürgermeister Fabian und Dubrau werden die Gruppe gemeinsam leiten und mir regelmäßig Bericht erstatten. Ich werde dann entscheiden können, wann ich die Leitung gegebenenfalls selbst übernehme. Die Arbeit in einer solchen Gruppe hat sich sehr bewährt - mit Blick auf die Abkürzung von Verfahren, die Schnelligkeit von Entscheidungen. Parallel haben wir die Angebotsabfrage: Welcher Private bietet an, auf einer Fläche eine Schule für uns zu errichten?

Wir werden es schaffen. Aber es ist eben gewaltig, was an Zuwächsen kommt. Wir hatten bis Ende Juni wieder 200 Geburten mehr als im Vorjahr - das sind zwei Kitas mehr, die nicht in der Planung waren. Wir werden dieses Jahr voraussichtlich über 7000 Geburten haben, vor zwei Jahren ist gerade erst die 6000 gefeiert worden. Die Frage ist: Wo wird sich das einpegeln? Nicht prognostizierbar ist der Zuzug der schulpflichtigen Kinder. Das waren letztes Jahr rund 350 Schüler – eine zusätzliche Schule -, die wir überhaupt nicht auf dem Zettel hatten. Du kannst kaum für jemanden planen und bauen, der unerwartet dazu kommt.

 

Sie haben dann Kapazitäten, von denen nicht klar ist, ob Sie die in ein paar Jahren noch brauchen. Das gleiche Problem haben Sie bei den Asylplätzen. Das sind jetzt eigentlich zu viele; manche Beobachter gehen nicht davon aus, dass nochmal so viele Flüchtlinge kommen, weil die Routen so gut wie dicht sind...


Nein, es gibt auch Interimslösungen, die von langfristigen Varianten abgelöst werden. Ich glaube nicht, dass wir zu breit aufgestellt sind. Die Zeltunterkunft am Deutschen Platz werden wir Ende des Jahres aufgeben können, die Messehalle 17 auch. Stattdessen soll zum Beispiel ein fester Bau am Prager Dreieck bezogen werden. Natürlich ist das immer ein Blick in die Glaskugel. Aber wir haben nicht genügend regulären Wohnraum für anerkannte Asylbewerber. Also wird die Gemeinschaftsunterkunft ein Ort bleiben, an dem die Menschen zunächst wohnen bleiben.

 

Ankunft im Russischen Blockhaus. 1979 war der Wildpark mit erweitertem Gelände und großem Wildbestand wiedereröffnet worden - im selben Jahr schenkte die Sowjetunion der Stadt Leipzig die Blockhütte, die zuvor zur Herbstmesse ausgestellt worden war. Es wurde ohne Nägel in russischer Holzbauweise errichtet und 2004 restauriert, 1980 als „Russisches Teehaus“ eröffnet. Im Winter ist es drinnen am warmen Kamin gemütlich, im Sommer kann man auf dem Freisitz ein Bierchen trinken, während der Grünspecht ruft. Der OBM bestellt unter dem großen Sonnenschirm einen Kaffee, ein Wasser und ein Paar Wiener Würstchen.

 

Thema Integration: Wo stehen wir da, und wo ist es am Schwierigsten?


Bei den Arbeitsplätzen. Es braucht enorme Anstrengungen beim Thema Qualifikation. Die Leipziger Arbeitsagenturchefin Frau Willems ist sehr engagiert und geht auch neue Wege, setzt Projekte von der Bundesebene sofort um. Das Thema Sprache kriegt man in den Griff. Aber die kulturellen Unterschiede gehören auf den Tisch. Es war bundesweit ein Fehler, nicht in aller Offenheit und Schonungslosigkeit auf Probleme hinzuweisen, die sich zum Teil ergeben: aus anderen Einstellungen zu Arbeit, Werten, Normen, zum Umgang mit Frauen. Zur Frage nach dem Stand der Integration: Wir sind noch ganz am Anfang. Die Integration über Schulen und Kindergärten läuft recht gut an.

 

Ist das Thema Legida für Sie beendet?


Leider nicht. Selbst wenn die Demonstrationen jetzt beendet wären, sind ja die Menschen mit ihren Ängsten da - die sie artikulieren, die aber auch von ganz Rechtsaußen missbraucht werden.

 

Es gibt die Kritik, auch aus Teilen des Stadtrates, Sie hätten Legida in die Ecke gedrängt und damit am Ende stärker gemacht.


Das Gegenteil ist der Fall. Wer so etwas sagt, der kennt die Szene überhaupt nicht.

 

Sie würden es genauso wieder machen?


Genauso. Die Bewegung in Leipzig war sofort unterwandert von äußerst fremdenfeindlichen, rassistischen Rädelsführern - das war von Anfang an anders als in Dresden. Bei der ersten Demonstration am Waldplatz wurde schon der Hitlergruß gezeigt. Die Stadtgesellschaft in Leipzig hat sehr gut reagiert, von Legida ist ein harter kleiner Kern geblieben, der einmal im Monat demonstriert. Mir will doch wohl keiner erzählen, dass jemand, der mit Mistgabeln ins Rathaus will, gesprächsbereit ist. Das ist doch absurd. Umgekehrt hat uns unser Verhalten bundesweit und international Achtung gebracht.

Nebenbei ist die europäische Frage auch eine zentrale, die Skepsis gegenüber der EU muss überwunden werden. Ein vereintes Europa ist die Errungenschaft unserer Zeit. Freies Reisen, eine Währung, beseitigte „Erbfeindschaften“, eine Phase von 70 Jahren Frieden - das spielt auf einmal alles keine Rolle mehr? Man regt sich über Gurkengrößen und Glühlampen auf, „die Bürokraten in Brüssel“? Hallo? „Die Bürokraten“ machen das, was die Politiker der unterschiedlichen Länder miteinander beschließen. Brüssel macht nichts aus sich heraus.

Wir beobachten auf der rechten Seite bei Legida und Teilen der AfD eine Radikalisierung der Leute, die alle irgendwie gegen irgendetwas sind, die Dagegen-Leute. Aber auf der linken Seite ist genauso eine Radikalisierung erfolgt.

 

Inwiefern?


Wir haben terroristische Keimzellen, die Anschläge auf den Bahnverkehr verüben. In der Karl-Heine-Straße – dem Vorzeige- und Entwicklungsprojekt für einen Stadtteil, der Ende der 90er angeblich nicht mehr zu retten war – treten jetzt so genannte Gentrifizierungsgegner auf den Plan. Diese Leute machen Menschen aus der eigenen Szene verantwortlich für die Gentrifizierung, hetzen mit Plakaten. Und wenn man bei einer Demo mit denen sprechen will, sagen sie: Wir wollen nicht reden, wir wollen brüllen. Der Stadtteilladen in der Karl-Heine-Straße wurde vor kurzem zur Zielscheibe von ganz Linksaußen, es wurden mehrmals Fensterscheiben zertrümmert. Die Polarisierung hat zugenommen: rechts und links.

 

Ein Mann tritt an den Tisch: „Sind Sie der Oberbürgermeister, oder sehen Sie nur so aus?“ Jung lacht: „Ich sehe nicht nur so aus!“ - „Darf ich ein Foto machen fürs Familienalbum?“ - „Na klar...“

 

Was bleibt?


Konsequentes Handeln und Kommunikation - zuhören und reden mit denen, die nicht zu Legida gehen, die aber ähnlich denken. Viele Menschen sind voller Vorbehalte und Ängste. Hinzu kommt eine Krise der Demokratie. Wirtschaftliche Entwicklung und persönliche Zufriedenheit sind gut, aber es gibt die Angst vor denen, die dazukommen und die Skepsis gegenüber dem demokratischen System. Wir müssen mit vielen Menschen in unserer Stadt über Demokratie reden, auch die Hürden in demokratischen Prozessen erläutern und gut zuhören. Kollege Fabian hat gezeigt, wie man an geplanten Asylstandorten mit intensiver Kommunikation vor Ort die Akzeptanz erhöhen kann. Es braucht die weitere Unterstützung von Bürgervereinen und Initiativen und den Kümmerer im Stadtteil. Dort, wo wir Quartiersmanager haben, läuft es besser.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen für ein „Jahr der Demokratie“ ist im Kern richtig; wir brauchen auch mehr basisdemokratische Entscheidungen. Insgesamt bin ich ein glühender Verfechter der repräsentativen Demokratie. Sie sucht in der Abwägung unterschiedlicher Interessen am gerechtesten den Ausgleich und schützt Minderheiten. Sie braucht jedoch Vertrauen. Und das schwindet.

 

Würden Sie sich nicht auch mal von anderer Stelle darum kümmern wollen, dieses Vertrauen wieder aufzubauen? Ihre Partei könnte Sie vielleicht auch in Land oder Bund gebrauchen...


Nein. Ich habe ein wunderbares Amt. Die Gestaltungsmöglichkeiten in einer Stadt sind unvergleichlich höher als auf Landesebene.