Die Tage nach dem Militärputsch in Istanbul

"Die Engel des Gottes und der ganze Mut des Landes sind mit dir Bruder Tayyip. Üsküdar Anti-Panzergruppe."

Eine Sammlung der Ereignisse vor Ort abseits der Mainstreammedien
Die kommerziellen Massenmedien in Europa waren in den letzten beiden Wochen seit dem Militärputsch am 15.Juli voll mit Informationen über die politischen Ereignisse in der Türkei, betreffend dem Vorgehen der AKP-Regierung, gegen Gülen-AnhängerInnen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Eindruck über die Situation vor Ort, auf den Straßen und Plätzen in Istanbul geben.


Die Stadt ist übersäht von Flaggen und eigens dafür angefertigte Propagandaplakate der AKP. Repräsentant Tayyip Erdogan sieht man überall. In vielen Geschäften hängen türkische Nationalflaggen. Laut Augenzeugenberichten hängen viele Geschäfte die Flaggen,  auch nur aus Angst in ihre Auslagen. An jeder Ecke gibt es Fahnen zu kaufen. Viele Menschen laufen mit T-Shirts der türkischen Nation herum. Es sind immer wieder Autos zu sehen die hupenden und Fahnen schwingend durch die Stadt fahren.

Seit dem Ende des Coups gab es jeden Tag große öffentliche Kundgebungen (in Taksim, Kadiköy Üsküdar usw.)  zu denen tausende  Menschen erscheinen. Auf der Einkaufsstrasse Istiklal die zum Taksimplatz führt (Schauplatz der Geziparkproteste 2013) erreichte die Anzahl der Menschen Abends ihren Höhepunkt. Die Leute schwingen Flaggen, es dröhnt laute Musik, die Erdogan und die AKP preisen, es sind dauernd Sprechchöre wie "Reeeeeeeee-cepppppp Tayyyyyyyipppppp Erdoğan", "Tell us to shoot - We shoot. Tell us to die - We die", "Gott ist groß" zu hören.

Am Sonntag dem 24. Juli riefen allen voran die Oppositionspartei CHP und einige wenige linke Gruppen  (Halkevleri, Birlesik haziran hareketi,  EMEP) zu einer Kundgebung am Taksimplatz auf.  Es richtete sich in erster Linie gegen den Putsch. Auch wenn Mitglieder der AKP-feindlichen Partei CHP Sprüche wie "Die Türkei bleibt säkular" oder "Weder Putsch noch Scharia" skandierte, ist es bemerkenswert besorgniserregend, dass Redner beider Parteien gemeinsam auf der Bühne standen.
Die meisten der Kundgebungen werden perfiderweise unter dem Motto "Democray watch", abgehalten.
Eine Frau aus Taksim schilderte die Stimmung in der ersten Woche nach dem Putsch in der Istiklal Caddesi, folgendermaßen. Aus Angst vor fundamentalistischen AKP-Anhängern, welche sie angeschrien haben, traute sie sich nicht vor ihre Tür.

Seit dem Tag nach dem Putsch werden die Menschen ständig dazu aufgerufen auf die Strassen zu gehen. 
Um die Menschen auf die Strassen und Plätze zu locken, wurden alle öffentlichen Verkehrsmittel bis zum 28.Juli, gratis zu Verfügung gestellt.
Taschenkontrollen werden bei manchen U-Bahn-Stationen durchgeführt.

Ausserdem gab es am Vormittag nach dem Putsch eine SMS mit folgendem Inhalt: "Wir rufen alle Menschen auf, sich an öffentlichen Plätzen zu versammeln um die Nation und die Demokratie zu schützen. Die türkische Regierung." Diese SMS wurde landesweit versendet.

Die Moscheen spielten insofern eine Rolle, dass sie nicht nur viel öfter als  sonst zu hören sind, sondern sie riefen auch explizit die Menschen dazu auf auf die Strasse zu gehen.

In Üsküdar, im asiatischen Teil Istanbuls bei einer Moschee bei der sich Menschen bei Kundgebungen versammelten, war ein Banner mit folgender Aufschrift zu sehen: "Die Engel des Gottes und der ganze Mut des Landes sind mit dir Bruder Tayyip. Üsküdar Anti-Panzergruppe."
An jenem Ort gab gab es am Tag des Putsches Widerstand gegen etwa 6-8 Panzer.
Laut einem Augenzeugenbericht positionierten  sich  zwei schwule Angestellte des öffentlichen Rundfunk gegen den Putsch. Sie riefen dazu auf, dass die Soldaten die den Putsch verübten, geschlagen werden sollten. Aufgrund ihrer Erscheinung wurden sie jedoch von den einigen Anwesenden geschlagen.

Auch wenn es bis jetzt festzuhalten gilt dass die Verfolgung fast ausschließlich nur Soldaten und Güllen-AnhängerInnen betrifft,  muss man die weiteren Entwicklungen im Auge behalten. Der Ausnahmezustand gibt der AKP umfangreiche Möglichkeiten die Verfolgung auch auf andere Organisationen und Einzelpersonen auszuweiten.
Die Angespannte Stimmung macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass Linke und andere regierungskritische Organisationen Angst haben noch mehr ins Visier der Regierung zu geraten. 
Das mag einer der Gründe dafür sein, wieso sich nahezu keine der regierungskritischen Organisationen bisher öffentlich kritische gegenüber dem Vorgehen der AKP-Regierung positionierten.

Einer der wenigen uns bekannten Statements gegen den Militärputsch und gegen das vorgehen der Regierung ist das Statement der anarchistischen Organisation DAF, welches am 17. July 2016 veröffentlicht wurde.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Es gibt schon zahlreiche Statements, die sich sowohl gegen den Putsch als auch gegen das AKP-Regime und dessen Repression positionieren.

Sehr deutlich z.B. die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) bereits am 16.07.16: http://civaka-azad.org/keine-der-konfliktparteien-verteidigt-die-demokra...

Auch der KCK-Kovorsitzende Cemil Bayik hat in einem ausführlichen Interview die Entwicklung der Türkei zum Putsch hin und die Unterstützung der NATO für das AKP-Regime dargelegt: https://anfenglish.com/features/bayik-erdogan-started-the-coup-process-w...

...mindestens eine demo die von der hdp angemeldet wurde, sich explizit gegen putsch und erdogan-regime richtete und an der 5000-10000 menschen teilnahmen, was für die demokratischen kräfte in der türkei immer noch nicht sehr viel ist. außerdem gibt es gerüchte dass die chp kurz vor einer spaltung steht. weis jemensch dazu näheres?