Ermittlungsverfahren dauern an - Randale in der Südvorstadt am 12. Dezember: 130 Ermittlungsverfahren gegen Linke, Rechte, Polizisten

Erstveröffentlicht: 
22.07.2016

Mehrfach haben wir an dieser Stelle nach den Liveberichten vom Tag selbst über das Demonstrationsgeschehen am 12. Dezember in der Südvorstadt und Connewitz berichtet, das am Nachmittag völlig ausartete. Übrigens mit Ansage. Denn wenn 200 Rechtsradikale eine Demonstration in ein linksalternatives Viertel wie Connewitz ankündigen, dann ist das eine beabsichtigte Provokation. Eine, die deutschlandweit genau für die Mobilisierung sorgt, die die Veranstaltungsanmelder beabsichtigten.

 

Denn in den Tagen vor dem 12. Dezember mobilisierte die autonome Szene in ganz Deutschland, am 12. Dezember nach Leipzig zu kommen. Man war auf Konfrontation aus. Das wussten auch Polizei und Verfassungsschutz, obwohl sich ausgerechnet der Verfassungsschutz mit einer windelweichen Warnung an die Stadt Leipzig blamierte. Auf die sich dann wieder die Ordnungsbehörde berief, als sie ihre Demonstrationsgenehmigung – ein bisschen angepasst – konkretisierte. Aber den Mumm, das Ziel der Demonstration – Connewitz – komplett zu untersagen, hatte Leipzigs Ordnungsbehörde nicht.

 

Entsprechend sahen die so gar nicht Verantwortlichen sehenden Auges dem entgegen, was sich da schon am 11. Dezember zusammenbraute. Da demonstrierten 1.000 Menschen des linken und des autonomen Spektrums schon mal im Leipziger Süden.

 

Was letztlich die Demonstration von kärglichen 100 Rechtsradikalen am 12. Dezember nicht verhinderte. Sie kamen auch nicht bis nach Connewitz, weil sie von der Polizei gründlich abgeschottet wurden und nach ersten Verstößen gegen die Versammlungsordnung regelrecht festsaßen.

 

Die aus allen Himmelsrichtungen angereisten gewaltbereiten Linksautonomen aber waren ja trotzdem da, hatten sich via Internet regelrecht eingerichtet auf so etwas wie eine Schlacht um Connewitz, sogar eine Art Schlafplatzbörse fand sich auf einer Berliner Seite im Netz. Ausbaden musste diese Konstellation dann die Polizei, die sich dann ab den späten Nachmittagsstunden einer auf Randale versessenen Gruppe von Straßenkämpfern gegenübersah, die die Konfrontation mit der Polizei regelrecht zum Gewaltexzess werden ließ. 

 

Wie ist also der Stand der Ermittlungen zum 12. Dezember?


Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, Valentin Lippmann, wollte nun genau wissen, was bei dieser Randale mit Ansage eigentlich herausgekommen ist. Immerhin hagelte es nach dem Gewaltexzess ja hunderte Anzeigen – die meisten von der Polizei selbst, die mitten im Steinhagel der Angreifer stand.

 

Aber es gab auch einige wenige Anzeigen von Demonstrationsteilnehmern und Unbeteiligten, die durch das Vorgehen der Polizei geschädigt wurden. Darunter war auch der angezeigte Tränengaseinsatz durch Polizeibeamte. An diesem Tag waren augenscheinlich ganze Kisten überlagerter Tränengaspatronen in Einsatz gekommen, irgendwie nach dem Motto: Das Zeug muss endlich alle werden.

 

Was auffällt – und damit bestätigt die jetzige Auskunft der Sächsischen Staatsregierung eine andere Anfrage von Valentin Lippmann: Von den wenigen Anzeigen gegen Polizeibeamte wurde mittlerweile die Hälfte eingestellt. Und zwar so: „Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, da ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden konnte“. Was mit der Nichtkennzeichnung der eingesetzten Beamten zu tun hat.

 

Alle anderen Verfahren – 126 an der Zahl – laufen noch. Oder „dauern an“, wie Justizminister Sebastian Gemkow formuliert.

 

Nicht alle 126 gehen übrigens auf das Konto der autonomen Steineschmeißer, Autozerstörer und Scheibeneinschläger. Auch der eine oder andere Polizeibeamte wird sich noch fragen lassen müssen, mit welchem Sinn er in entscheidenden Situationen agiert hat. So wie die Beamten lange vor der Eskalation am Amtsgericht Leipzig, als unvermittelt eine erste Tränengaskartusche flog. Anlasslos, wie Videoaufnahmen später zeigten. Oder wie einige Beamte später am Südplatz, die eine Tränengaskartusche in die dort versammelte Menschenmenge schossen. Wohl wissend, dass sich hier noch immer ein Teil der friedlichen Demonstranten aufhielt, während sich die Gewalttäter begannen, auf die Polizisten einzuschießen.

 

Doch da war es wohl bereits zu spät für Deeskalation oder ein gezieltes Eingreifen der zahlenmäßig unterlegenen Beamten.

 

Viele Anzeigen kamen natürlich zustande, weil die Polizeibeamten durch die Pflastersteine zum Teil heftig verletzt wurden. Andere wurden mit Flaschen oder Pyrotechnik beschossen. Aber der größte Teil der Anzeigen betrifft Sachbeschädigungen – nicht nur die abgefackelten Toilettenhäuschen und Mülltonnen und die zerstören Scheiben von Wartehäuschen und Geschäften. Dutzende Anzeigen betreffen geparkte Pkw, die bei der Randale beschädigt wurden.

 

Bei den meisten fällt es selbst der Polizei sichtlich schwer, das Delikt als links einzustufen. Bei einem Großteil der Zerstörungen hat man es trotzdem gemacht. Und Manches ging dann auch zu Bruch, weil auch die Polizei stellenweise mehr hektisch als koordiniert agierte. Zum Beispiel im Fall der „Zerstörung der Frontscheibe eines PKW durch Wurf einer Tränengasgranate“. Hat die nun der Polizist geschossen oder ein Demonstrant zurückgeworfen? Und sichtlich überzogen war auch der „Einsatz von Pfefferspray durch einen Polizeibeamten gegen einen Fotografen“. Wobei die Unsicherheit sichtbar wird, wenn die Hälfte der Steinwürfe als „links“ eingestuft wird, die andere Hälfte nicht. 

 

Die Auflistung erzählt im Grunde sehr bildhaft davon, wie unübersichtlich die Situation war.


Wirkliche Chancen, überhaupt möglicher Tatverdächtiger habhaft zu werden, hat die Polizei eigentlich nur, wo man bei entsprechenden Personenkontrollen Delikte feststellte und Personalien festhielt. Und das betrifft nicht nur Demonstrationsteilnehmer, die man irgendwie dem linken Teil des Spektrums zuordnete und bei denen man dann Sturmhauben oder gar Schlaggeräte feststellte. Auch bei der am Ende erfolglos stecken gebliebenen Rechten-Demo wurden mehrere Delikte festgestellt – von der Vermummung über den mitgeführten Protektorenhandschuh bis hin zur verfassungsfeindlichen Tätowierung.

 

Aber ganz besonders freuen werden sich die Richter, wenn der Bursche antreten muss, den die Polizisten nicht mit einem Gewaltgegenstand ertappten, sondern mit einem Joint. Oder der, der wegen „Zeigen des entblößten Gesäßes und ausgestreckten Mittelfingers gegenüber Polizeibeamten“ angezeigt wurde.

 

Und dann ist da noch die etwas vorsichtige Formulierung zum Lautsprecherwagen, mit dem der allseits bekannte Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wieder nach Leipzig gekommen war, um den Protest gegen die Rechten-Demo zu unterstützen. Unversehens stand er mit dem Lautsprecherwagen wieder mitten in einer hundertköpfigen Demonstrationsgruppe, aus der heraus dann einige der Randalierer ihren Angriff auf die Polizei starteten. Da haben die Beamten dann wieder eine Identitätsfeststellung gemacht und eine Anzeige geschrieben: „Bewegung als Insassen eines Fahrzeugs mit Lautsprecheraufbau in einer Gruppe, aus der Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte und unbeteiligte Passanten begangen und mehrere Straßenbarrikaden errichtet wurden“.

 

Und wer sich wirklich für den ganzen Haufen von Anzeigen und Ermittlungsverfahren in alle Richtungen interessiert, findet die komplette Liste unterm Text.

 

Die Anfrage von Valentin Lippmann „Stand der Ermittlungsverfahren rund um das Demonstrationsgeschehen in Leipzig am 12. Dezember 2015“. Drs. 5333