Rechte Gewalt - Wer zündet Flüchtlingsheime an?

Erstveröffentlicht: 
12.07.2016

Wenn in Deutschland Flüchtlingsheime angesteckt werden, heißt es immer wieder: Die Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft. So einfach ist es aber nicht.

 

In Deutschland brennen Flüchtlingsunterkünfte. In diesem Jahr waren es schon mehr als fünfzig, im vergangenen Jahr fast hundert. Dazu kommen mehr als tausend weitere Straftaten, die sich gegen Flüchtlinge richten: Jeden Tag wird irgendwo in Deutschland eine Unterkunft beschmiert oder beschädigt, werden Flüchtlinge mit Gewalt bedroht oder tatsächlich angegriffen. Es ist ein Wunder, dass es noch keine Toten gab – anders als in den neunziger Jahren in Mölln und in Solingen. Damals warfen Neonazis die Brandbomben. Die Täter waren den Behörden bekannt. Das soll heute anders sein.

 

Laut Bundeskriminalamt sind rund drei Viertel der Tatverdächtigen zuvor nicht durch „politisch motivierte Kriminalität“ aufgefallen. Bei fast der Hälfte der Tatverdächtigen hatten die Behörden gar keine „Vorerkenntnisse“, weder zur politischen Einstellung noch andere. Seit diese Zahlen im vergangenen Herbst bekanntwurden, heißt es beinahe überall: Die Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft, Biedermänner werden zu Brandstiftern.

 

So sagte beispielsweise Bundesinnenminister Thomas de Maizière: „Gewalt kriecht bis in die Mitte der Gesellschaft.“ Und Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen äußerte, es sei verkürzt, im Zusammenhang mit Anschlägen auf Asylunterkünfte nur „vom braunen Mob und von Fremdenhass“ zu reden. Das verstelle den Blick für die „Radikalisierung bürgerlicher Milieus oder auch von Wutbürgern“. Dabei ist kaum eine Brandstiftung aufgeklärt. Es sind immer die gleichen Beispielfälle, die die These vom Normalbürger, der Brandsätze wirft, belegen sollen: Altena, Meißen, Salzhemmendorf und Remchingen. Aber waren dort wirklich Täter aus der Mitte der Gesellschaft am Werk? 

 

SS-Tattoos bei Tätern von Salzhemmendorf


Als im August 2015 zwei Männer und eine Frau im niedersächsischen Salzhemmendorf einen Molotowcocktail in eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft schmissen, sagte der Bürgermeister des Ortes sofort, es gebe dort keine organisierte rechte Szene. Ähnlich äußerte sich die Polizei. Die Täter galten als „brave Bürger“: eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, ein Feuerwehrmann und ein Lagerist, der gern angeln geht. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb über die drei Brandstifter: „Leben, die normal zu sein schienen und dann doch ganz plötzlich für das Böse stehen.“ Nur war das Leben der Täter von Salzhemmendorf nie normal. Aus der Mitte der Gesellschaft hatten sie sich schon lange verabschiedet. Das konnte wissen, wer es wissen wollte. So hatten sie eine Whatsapp-Gruppe mit Namen „Garage Hakenkreuz“. Darin schrieben sie Dinge wie: „Ich bin der neue Adolf! Nix Zyklon B! Erhängt wird das Pack!“ Oder: „Die Grundschule wird ein Asylheim.“ – „Hoffentlich wird die abgefackelt.“

 

Die Täter hörten zudem die Musik der Bands Nordfront, Sturmwehr, Kategorie C und Landser. Das sind bekannte Neonazi-Bands, Landser wurde sogar als kriminelle Vereinigung eingestuft. Ein Liedtext der Band lautet: „Kanake verrecke, verfluchter Kanake! / Du bist nichts weiter als ein mieses Stück Kacke / Du bist das Letzte, du bist nur Dreck / Du bist nur Abschaum, du musst hier weg!“ Die Täter von Salzhemmendorf hörten solche Musik auch an dem Abend, an dem sie den Molotowcocktail warfen. Nach dem Anschlag sagte einer der Täter: „Wenn ein Neger brennt, feiere ich richtig.“ Nur durch Zufall kam bei ihrem Anschlag kein Mensch ums Leben. Der Brandsatz landete unter dem Bett eines elfjährigen Kindes, das glücklicherweise in dieser Nacht bei der Mutter schlief.

 

Ein Täter von Salzhemmendorf trägt seine rechtsextreme Gesinnung sogar auf der Haut. Er hat dort einen Wikinger mit Totenkopfring tätowiert – einen Ring, wie ihn die Mitglieder der SS trugen. Sein Kumpan wurde schon einmal verurteilt, weil er den Hitlergruß zeigte. Die drei Täter sind also keineswegs normale Bürger. Sie sind Neonazis. Das kann jeder ganz leicht erkennen. Auch Neonazis können angeln, Kinder haben oder bei der Feuerwehr sein. Das heißt nicht, dass sie harmlos sind. Auch sonst sind die Täter keineswegs Durchschnittsbürger. Die alleinerziehende Mutter lebte vor der Tat von Hartz IV, der freiwillige Feuerwehrmann war arbeitslos und zudem vor Jahren zeitweilig bei der Feuerwehr rausgeschmissen worden, weil er gezündelt hatte. Am Abend, an dem sie den Molotowcocktail warfen, tranken die beiden Männer jeder sechs bis acht Bier und eine Flasche Weinbrand. Zeugen bezeichneten das vor Gericht als „Durchschnitt“. Bürgerliche Abendgestaltung sieht anders aus. 

 

Auch Täter von Groß Lüsewitz am rechten Rand


Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man, wenn man sich den Brandanschlag in Meißen näher anschaut. Bei der Urteilsverkündung sagte die Richterin am Landgericht Dresden: „Hier saßen nicht irgendwelche Kriminelle, sondern ganz normale Bürger aus geordneten Verhältnissen, angepasst, mit Arbeit, Wohnung, Kindern, Familie. Das zeigt, dass der Hass gegen Flüchtlinge in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist.“ Die beiden Täter wurden in der Presse vielfach als „unbescholtene Familienväter“ bezeichnet. Im Juni 2015 waren sie in ein Wohngebäude eingebrochen, in das bald Flüchtlinge ziehen sollten. Dort hatten sie Benzin und Öl angezündet. Dass in Nachbargebäuden Familien mit kleinen Kindern wohnten, hielt sie nicht ab.

 

Während die Feuerwehr löschte, filmten sie sich vor dem brennenden Haus und sangen dabei: „Einer geht noch, ein Asylant geht noch rein.“ Die Täter hatten Familie und auch Arbeit, einer als Gerüstbauer, der andere als Lastwagenfahrer – keine komplett „desolaten Verhältnisse“, wie es beim Landgericht Dresden heißt. Allerdings auch „keine Stützen der Gesellschaft“, eher „mittlere bis untere Gesellschaftsschicht“. Hinzu kommt: Einer der beiden Männer war wegen Körperverletzung vorbestraft.

 

Es gibt Bilder von ihnen, auf denen sie mit Stahlhelm und Gewehr vor der Reichskriegsflagge im Garten posieren. Und schaut man sich die Facebookprofile von Nachbarn und Freunden an, mit denen sie vernetzt waren, findet man schnell rechtsextreme und antisemitische Äußerungen. Dort steht dann etwa: „Alle lecken – nur der Jude sabbat.“ Und: „Schiffe versenken – neu mit Flüchtlingsbooten“. Der Bruder eines Täters zeigt sogar das Hakenkreuz, das er auf dem Arm tätowiert hat. Auch in Meißen waren die Täter also mit dem Neonazi-Milieu verbunden.

 

Noch ein Beispiel: der Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Groß Lüsewitz bei Rostock. Zwei junge Männer waren mit einem Benzinkanister und zwei Flaschen Bier in die Nähe der Unterkunft gefahren, hatten Molotowcocktails gebastelt und gegen die Fenster der Unterkunft geschleudert. Das war schon im Herbst 2014, die Gerichtsverhandlung begann aber erst im Februar dieses Jahres. Die „taz“ schrieb über die Täter, es handle sich um „zwei junge Väter, auch sie politisch bisher nicht bekannt“. Die Zeitung befasste sich noch mit anderen Brandanschlägen; die Täter ordnete sie folgendermaßen ein: „Viele sind Ersttäter, wohnten bis dahin unbescholten im Ort.“ Der Text trug den Titel: „Zündeln aus der Mitte“. 

 

Rechtsextreme Szene erhält Zulauf


Aber die Täter von Groß Lüsewitz lebten nicht in der Mitte der Gesellschaft. Nur einer der beiden hatte überhaupt einen Schulabschluss, von der Hauptschule. Er brach mehrere Ausbildungen ab, arbeitete mal hier, mal dort, zuletzt machte er ein Praktikum auf dem Bau. Danach war er arbeitslos. Sein Komplize verließ die Realschule nach der achten Klasse. Er hielt sich mit Minijobs über Wasser, arbeitete bei einer Zeitarbeitsfirma. Beide lebten in prekären Verhältnissen. Und auch politisch gehörten die Täter an den äußersten rechten Rand.

 

Der eine schrieb kurz vor der Tat bei Facebook: „Deutsch zu fühlen und deutsch zu glauben, kann man nicht bannen, kann man nicht rauben Es ist auf Erden unser höchstes Gut. Verschworenes Volk, gebundenes Blut.“ Der andere nannte sich bei Facebook „Thomas von Hier“ und verkündete schon zwei Jahre vor dem Brandanschlag: „Bin ich ein Nazi weil ich sage das ich stolz drauf bin deutsch zu sein? Weil ich aus ein Land komme wo ein Tropfen Wasser mehr Wert ist als Geld oder weil ich nicht auf ein Tier reiten muss um von a nach b zu kommen?“ Und weiter: „Oder wenn ich einen auslachen muss der sagt Adolf war ein Idiot?? Warum war er das er hat wiederrum viele gute taten gebracht.“ Es gibt es außerdem eindeutige Fotos der beiden Täter. Einer ließ sich vor einer Hakenkreuzfahne ablichten, dazu erhob er den Arm zum Hitlergruß. Der andere nahm an Fackelmärschen der NPD teil.

 

Der Verfassungsschutz spricht von einem „exorbitanten Anstieg rechtsextremistischer Gewalt“. Im Verfassungsschutzbericht 2015 heißt es, dass Ende 2015 insgesamt 22.600 Personen der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen seien, etwa anderthalbtausend mehr als im Jahr zuvor. Fast 12.000 Rechtsextremisten betrachten die Verfassungsschützer als gewaltorientiert. 

 

Keine Überwachung von Rechtsextremen


Eine Vielzahl der „rechtsextremistischen Gewalttaten im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage erfolgte indes nicht aus dem organisierten Rechtsextremismus. Die Mehrzahl der Täter ist vielmehr bislang nicht in rechtsextremistischen Zusammenhängen in Erscheinung getreten“, heißt es weiter im Bericht. Allerdings bedeutet das noch lange nicht, dass die Gewalttäter und Brandstifter aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Im Gegenteil: Salzhemmendorf, Meißen und Groß Lüsewitz zeigen, dass sie es nicht taten. Sie waren zwar weder über ihren Heimatort hinaus organisiert noch den Behörden bekannt, und doch gehörten sie der rechtsextremen Szene an.

 

Warum also überwacht der Verfassungsschutz diese Leute nicht? Was sie sagen, erfüllt vielfach den Tatbestand der Volksverhetzung. Sie zu beobachten wäre außerdem nicht schwer. Ermittler brauchten sich nur einschlägige Facebookseiten von Rechtsextremisten anzuschauen, wer ihre Inhalte teilt und kommentiert. Mitarbeiter der Behörde sagen, ihr Auftrag beschränke sich auf die Überwachung der organisierten Rechtsextremisten. Auf jene also, die in der NPD aktiv sind, zu Fackelmärschen gehen, sich überregional vernetzen. Das bedeutet: Die anderen fallen durchs Raster, obwohl sie klar rechtsextrem sind. 

 

Das Bild vom Ottonormaltäter


Allerdings gibt es Täter, bei denen das weniger eindeutig ist – zumindest auf den ersten Blick. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man auch bei ihnen die rechtsextreme Einstellung. Ein Beispiel dafür ist der Brandanschlag in Altena: Im Herbst 2015 hatten zwei junge Männer ein Haus angezündet, in dem Flüchtlinge wohnten. Sie brachen die Kellertür auf, schlichen sich nach oben auf den Dachstuhl, gossen dort Benzin aus und zündeten alles an. Vorher riss einer der beiden noch die Telefonkabel von der Wand, damit keiner den Brand melden konnte. Als sie das Haus verließen, warnten sie niemanden. Der eine besuchte das Stadtfest, der andere fuhr zu einer Freundin.

 

Die „Zeit“ schrieb im Zusammenhang mit dem Fall in Altena, hinter vielen Anschlägen mache das Bundeskriminalamt „einen neuen Tätertyp aus: Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Ersttäter, die nie etwas verbrochen haben und nicht mit der rechtsextremen Szene verbunden sind, bevor sie ein Flüchtlingsheim attackieren. Es sind Bürger wie D. aus Altena, Sohn eines Waldarbeiters und perfekt ins Kleinstadtleben integriert“. Tatsächlich wuchsen Dirk D. und sein Mittäter Marcel N. in Altena auf, waren gut integriert. Dirk D. arbeitete hauptberuflich als Feuerwehrmann. In seiner Freizeit engagierte er sich im Schützenverein. Sein Komplize fräste Bauteile für die Industrie. Der zuständige Staatsanwalt betonte, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Täter in der rechten Szene verwurzelt seien.

 

Doch das Bild des Ottonormaltäters hat Risse. Dirk D. hatte unter anderem Hitlerfotos auf seinem Handy. Auf Facebook gefiel ihm zum Beispiel die Seite „Deutschland, steh auf“. Sie hetzt mit großformatigen Bildern gegen Flüchtlinge und „Gutmenschen“. Auf einem Bild wird die „Nazi- oder Deutschphobie“ als „ernstzunehmende Krankheit“ bezeichnet. Und es ist keineswegs so, dass D. erst unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise derartige Dinge äußerte. Schon vor vier Jahren schrieb er auf Facebook: „I kill, because i am hungry!“ Freunde empfahlen ihm Dönerläden, wo er seinen Hunger bekämpfen könne. Er antwortete: „Ihr müsst euch entscheiden welchen dönerman ich töten soll..!“ Das war ein Jahr nach Bekanntwerden der Mordserie des NSU. 

 

Nur ein Fall, in dem ein Biedermeier zündelte


Ein besonderer Fall ist der Brandanschlag im badischen Remchingen. Als die Flüchtlingskrise im Sommer vergangenen Jahres auf ihren Höhepunkt zusteuerte, zündete in Remchingen ein 42 Jahre Automechaniker ein leerstehendes Vereinsheim an. Die Gemeinde hatte überlegt, im Haus Flüchtlinge unterzubringen. Der Täter hatte einen festen Job, eine feste Beziehung, war im Ort integriert und immer freundlich zu allen.

 

Weder auf seinem Handy noch im Internet oder sonst wo fanden die Behörden Hinweise darauf, dass der Mann mit Rechtsextremisten zu tun hatte. Er selbst sagte, er habe nur „die Ängste der Bevölkerung aufgenommen“. Doch nach allem, was man weiß, hatte sein Motiv nichts zu tun mit Flüchtlingen und auch nicht mit Fremdenhass. Denn er hatte schon einen Monat vor dem Brandanschlag versucht, das Haus anzuzünden. Da konnte er noch gar nicht wissen, dass dort Flüchtlinge einziehen sollten.

 

Nur ein einziges Mal hat es wirklich den Anschein, als sei ein Biedermann zum fremdenfeindlichen Brandstifter geworden, im schleswig-holsteinischen Escheburg. Der Täter: nicht vorbestraft, verheiratet, ein Kind, Finanzbeamter, nirgendwo Hinweise auf Verbindungen ins rechtsextreme Milieu, laut Gutachter normal intelligent und trotz depressiver Phasen psychisch weitestgehend gesund. Er habe Angst um die „Idylle“, um „das Schöne“ gehabt, das durch die Flüchtlinge hätte zerstört werden können, sagte der Brandstifter vor Gericht. Ihn beschäftigten Fragen wie diese: „Wer erklärt denen, wann der Müll rausgestellt werden muss, wenn die kein Deutsch verstehen?“