Die Hemmschwelle sinkt

Erstveröffentlicht: 
09.06.2016

In Thüringen geht eine Vielzahl rechter Akteure von der AfD bis zur wiederbelebten »Anti-Antifa« immer mehr gegen Muslime, Nichtdeutsche und Linke vor.

von Ralf Fischer

 

In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt plant die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde den ersten Neubau einer Moschee in dem östlichen Bundesland. Die Gemeinde hat eine Bauvor­anfrage für eine Moschee mit Kuppel und einem elf Meter hohen Minarett in einem Gewerbegebiet im Ortsteil Marbach gestellt. Bevor jedoch von den Behörden eine Entscheidung getroffen wurde – das Grundstück gehört der Landesentwicklungsgesellschaft –, artikulierte sich bereits breiter Protest.

 

Am Sonntag versammelten sich im Marbacher Sport- und Freizeitzentrum derart viele Anwohner zu einer Informationsveranstaltung der Ahmadiyya-Gemeinde, dass aus Sicherheitsgründen nicht alle hineingelassen werden konnten. Viele Bürger beschwerten sich, sie seien »viel zu spät informiert« worden. Dabei ist noch längst nichts entschieden. Die Bauvoranfrage wird noch geprüft, bestätigte der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) während der Versammlung. Einige Anwohner forderten immer wieder lautstark einen Volksentscheid, dem widersprach Bausewein allerdings energisch. Im Grundgesetz ist die Religionsfreiheit festgeschrieben, deshalb sei ein Bürgerbegehren nicht möglich, so der Sozialdemokrat.

 

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Erfurter Stadtrat, Matthias Bärwolff, bedauerte nach der Versammlung die mangelnde Gesprächsbereitschaft vieler Anwohner. Vor allem sei die Veranstaltung von »erkennbaren Aktivisten der rechtsradikalen Szene« genutzt worden, um »durch Gebrüll und Buhrufe einen Informationsaustausch zu verhindern«. In den Wochen zuvor polemisierte die Alternative für Deutschland (AfD) inner- und außerhalb des Landtages gegen den geplanten Neubau. Auf einer Kundgebung Mitte Mai auf dem Erfurter Domplatz mit dem Pegida-Führungskader Siegfried Däbritz sagte der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, bei seiner Rede: »Ich bin in Sorge, dass in einer gar nicht so fernen Zukunft auf unserem Dom der Halbmond zu sehen sein wird. Wollt ihr das?« Das versammelte Publikum rief »Nein!« und »Niemals!«. Die Ahma­diyya-Gemeinde nannte Höcke einen »Wolf im Schafspelz«, begrüßte aber »Muslime, die sich in unsere Ordnung einordnen wollen«, um dann mit dem Ruf »AfD – Nein zur Moschee!« seine Rede zu beenden.

 

Im Landtag begründete Höcke seine Ablehnung der Moschee damit, dass er angesichts der 80 Mitglieder der Gemeinde keinen gesellschaftlichen Bedarf sehe. Außerdem müsse eine Moschee im Einklang mit den Wertvorstellungen vor Ort stehen. »Die Religionsfreiheit gilt für alle Religionen«, entgegnete ihm die Landtagsabgeordnete Astrid Rothe-Beinlich (Bündis 90/Die Grünen). Sie warf der AfD vor, den Landtag als Bühne für Populismus und Menschenverachtung zu missbrauchen. Aus ihrer Sicht sei es angesichts der zwölf muslimischen Gemeinden in Thüringen »höchste Zeit, dass Moscheen gebaut werden«. Die Abgeordnete Marion Walsmann (CDU) forderte dagegen von der Erfurter Stadtverwaltung eine »sorgfältige Güterabwägung« sowie eine »breite öffentliche Beteiligung«. Des Weiteren liege für die fragliche Baufläche bereits eine Pachtanfrage des Technischen Hilfswerks vor. Diese Anfrage müsse zuerst geprüft werden.

 

Im Internet tauchte ein Video auf, in dem eine nicht zu erkennende Person mit einem Hitlergruß und dem Ruf »Heil Hitler« ihre Ablehnung des Moscheebaus martialisch in Szene setzt. In dem siebenminütigen Video beschimpft die Person Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde als »Kanakenschweine« und ruft zur Brandstiftung an dem geplanten Moscheebau auf: »Wenn ihr in Erfurt wohnt, nehmt euch Öl und bisschen Benzin, geht da auf die Baustelle in der Nacht und brennt sie ab. Und wenn die Schweine wieder beginnen, sie zu bauen, dann brennt sie aufs Neue ab. Wir brennen dieses Drecks­haus ab.«

 

»Dass aus Brandreden schnell auch Brandsätze werden können, scheint die AfD bewusst einzukalkulieren«, sagte die Sprecherin für Antifaschismus der thüringischen Landtagsfraktion von »Die Linke«, Katharina König. In einer gemeinsam mit Rothe-Beinlich unterzeichneten Erklärung schrieb sie, »die Grenzen des Erträglichen sind schon lange überschritten«. König stellte Strafanzeige bei der Kriminalpolizei Erfurt sowie der Staatsanwaltschaft. Ende Mai stellte sich der Produzent des Hassvideos im Beisein seines Anwalts der Polizei. Es handelte sich um einen 15jährigen aus Erfurt. Zuvor hatte er seinen Youtube-Kanal gesperrt und sich auf der Videoplattform entschuldigt.

 

Ende Mai ermittelte die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) Thüringen mehrere Verdächtige, denen vorgeworfen wird, das Autonome Jugendzentrum (AJZ) in Erfurt am Himmelfahrtstag angegriffen zu haben. Aus einer Gruppe von zehn bis 15 Personen heraus wurden zunächst Flaschen auf den Innenhof des AJZ ­geworfen, dann stürmte die Gruppe das Zentrum, versprühte Reizgas und schlug auf die anwesenden Jugendlichen ein. Die Opfer erlitten Schnitt­verletzungen, Platzwunden, Hämatome und Augenreizungen. Durchsuchungen des LKA fanden in mehreren Objekten in Erfurt, im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt und in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover statt. Ermittelt wurden neun Beschuldigte im Alter von 24 bis 32 Jahren, die mit Straftaten unter anderem im Bereich »Gewalttäter Sport« in Erscheinung getreten sind. Ermittelt wird wegen Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung sowie des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

 

»Schon längerfristig ist zu beobachten«, so Katharina König, »dass sich unter anderem in Erfurt und Saalfeld neue neonazistische Strukturen verankern konnten. So stellte Ezra, die mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, bereits für das Jahr 2015 fest, dass Erfurt und Saalfeld die Statistik der Übergriffe rechter und rassistischer Gewalt anführen.« König, die selbst ständigen Anfeindungen von Neonazis ausgesetzt ist, beobachtet, dass »die Hemmschwellen Thüringer Neonazis immer weiter sinken«, während »gleichzeitig eine Praxis der unmissverständlichen Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt« fehle. König fordert einen »besseren Opferschutz, insbesondere mit Blick auf Asylsuchende, die nach Deutschland geflüchtet sind und hier erneut Opfer von Gewalt werden«.

 

Derzeit beispielsweise stalkt die wiederbelebte »Anti-Antifa Ostthüringen« nicht nur auf Facebook die Politikerin. Ende März posierte ein Dutzend Neonazis vermummt vor dem Saalfelder Wahlkreisbüro der Abgeordneten, Mitte April detonierte eine selbstgebastelte Sprengvorrichtung vor der Eingangstür und verrußte den gesamten Eingangsbereich. Bereits Anfang des Jahres erhielt König eine Morddrohung in einem anonymen Brief.