Wie eine 70-Jährige gegen Aufkleber mit rechten Parolen kämpft

Irmela Mensah-Schramm
Erstveröffentlicht: 
10.06.2016

Keine reinigt gründlicher: Seit 30 Jahren entfernt Irmela Mensah-Schramm Aufkleber mit rechten Parolen aus dem Straßenraum – jetzt zeigt das Deutsche Historische Museum ihre Sammlung.

 

Auf die Klinge kommt es an. Scharf muss sie sein, sehr scharf. Schließlich ist diese Klinge ihre wichtigste Waffe im Kampf gegen Rechts. Sie steckt in einem Ceranfeld-Schaber, und Irmela Mensah-Schramm entfernt damit Aufkleber. Solche mit menschenverachtenden Parolen, die gegen Ausländer hetzen, gegen Juden, Moslems oder Flüchtlinge – egal woher.

Sie macht das seit fast dreißig Jahren. Es ist eine Sisyphos-Arbeit, eine, die ihr mehr Ärger als Anerkennung einträgt. Einen Mordversuch habe sie schon überlebt und zahlreiche Morddrohungen abgeheftet, erzählt sie. Dazu kommt der Stress mit der Polizei. Anzeigen, die sie wegen Sachbeschädigung bekommen hat, wenn sie rechte Schmierereien mit der Farbdose übersprüht.

Eine junggebliebene 70-Jährige


Man braucht ein großes Ego, um dagegen anzukämpfen. Die 70-jährige Mensah-Schramm zuckt mit den Schultern, wenn man sie fragt, warum sie sich das immer noch antut. Eine Kniescheibe hat sie sich gebrochen – als sie in einen Einkaufswagen stieg, um an einen Aufkleber an einer Supermarktwand zu kommen. Sie sagt: "Wenn ich es nicht tue, wer tut es dann?"

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Mensah-Schramm steht vor einer Vitrine im Pei-Anbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Eine junggebliebene Frau in Cargo-Pants, Trekking-Sandalen und einem dünnen Baumwoll-Pullover, alles in Oliv. Sie ist keine, die mit ihren Gefühlen hausieren geht. Nach Jahrzehnten an der Aufkleber-Abreißfront hat sie sich ein dickes Fell zugelegt. Doch ihr Gesicht bekommt einen feierlichen Ausdruck beim Anblick dieser Vitrine. Die ist Teil der Ausstellung "Angezettelt – Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute." Und sie enthält Mensah-Schramms Vermächtnis. 60 von 82 Leitz-Ordnern, alle voll mit Fotos von Aufklebern, von A wie "Alternative für Deutschland" bis P wie "pro Deutschland". Ein Panoptikum der Drohungen und Kampfansagen, dumpf, braun, hasserfüllt. Die Ordner stehen nebeneinander aufgereiht hinter Glas, nur einer ist dekorativ aufgeklappt.

Aufkleber mit altdeutscher Schrift


Der Blick fällt auf einen Aufkleber mit altdeutscher Schrift. Er zeigt eine Frau so, wie sie in der Nazi-Zeit nostalgisch verklärt wurde, mit Dirndl und Gretchen-artig geflochtenen Zöpfen. Die Frau trägt ein Kind auf dem Arm. Darüber steht: "Deutsche Frau! Fremde dürfen nicht nach Dir greifen. Halte Dein Blut rein. Du trägst in Dir das Erbe künftiger Geschlechter." Man denkt, dieser Aufkleber sei ein Souvenir an den Bund Deutscher Mädel. Dabei ist er brandneu, Irmela Mensah-Schramm hat ihn erst am 7. April von einem Verkehrsschild abgeknibbelt, im brandenburgischen Teltow, eine halbe Autostunde von Berlin entfernt. Im Impressum des Stickers steht: NPD Kreisverband Augsburg. Dieser Aufkleber ist symptomatisch für die Ausstellung. Die Welt hat sich weitergedreht, Deutschland präsentiert sich als weltoffenes Land mit Mutti Merkel als Gastgeberin. Doch die Produzenten dieser Sticker sind gedanklich in einer Zeitschleife steckengeblieben, irgendwo in den dreißiger Jahren, als plötzlich überall an Gaststätten Schilder mit der Aufschrift "Judenfrei" auftauchten.

"Was früher die Juden waren, sind eben heute die Moslems", sagt Schramm ungerührt, während sie durch die Ausstellung flaniert. Draußen brennt die Sonne auf die gläserne Halle, doch hier drinnen ist es angenehm kühl und das Licht gedämpft. Eine Atmosphäre wie in einem Kino. Das macht es ihr leichter, über ihren ghanaischen Ehemann zu sprechen und darüber, wie alles begann.

Sie sagt, sie habe eine glückliche Kindheit in Stuttgart erlebt, ohne den Schatten der Geschichte. Was es bedeutet, diskriminiert zu werden, das habe sie erst durch ihren afrikanischen Ehemann erfahren. Die Blicke auf der Straße. Peinliche Verhöre in der Ausländerbehörde. Der Verdacht einer Scheinehe, der unausgesprochen in der Luft hing. Und dann die Gewalt. Irmela Mensah-Schramm sagt, einmal sei ihr Mann im Bus zusammengeschlagen worden.

Den ersten Aufkleber entfernte sie 1986


Ihre Stimme wird jetzt ein bisschen lauter, wie immer, wenn sie sich aufregt. Und man kann ungefähr erahnen, was in ihrem Kopf vorging, als sie ihren ersten Aufkleber entfernte. Es war 1986, ein Tag im August, auf dem Weg zur Arbeit in einer Behindertenschule wollte sie gerade in einen Bus steigen, als ihr Blick auf einen Aufkleber an der Haltestelle fiel. "Freiheit für Rudolf Heß" stand da. Der ehemalige Hitler-Stellvertreter saß damals noch im Gefängnis in Spandau. Auf dem Rückweg war der Sticker noch immer da. Irmela Mensah-Schramm, Heilpädagogin, seit Ende der siebziger Jahre aktiv in der Friedens- und Umweltbewegung und für einige Jahre aktiv bei den Grünen, hat nicht lange überlegt. Sie hat ihn einfach abgeknibbelt. Das sei befriedigender gewesen, als sich in eine Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit einzureihen, sagt sie. "Hinterher ging es mir irgendwie besser."

Eine fixe Idee, die zur Lebensaufgabe wurde. Sie hat zahlreiche Friedenspreise für ihre Zivilcourage bekommen und ihre Fotos auch schon in Kirchen oder Schulen ausgestellt. Doch dass sie es damit sogar ins Deutsche Historische Museum schaffen würde, damit hätte sie nie gerechnet, sagt sie, und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Es ist ein später Ritterschlag für eine Frau, die seit einer Krebsoperation zu 60 Prozent schwerbehindert ist und mittlerweile getrennt von ihrem Mann lebt. Sie sagt, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wann sie zuletzt Urlaub gemacht hat. Der Job ist eben mehr als ein Job. Er strukturiert ihren Alltag. Er hält sie auf Trab.

Es werden immer mehr


Die Aufkleber werden immer mehr, seit die Flüchtlingskrise die Politik dominiert. AfD, Pegida, Politically Incorrect – alles Namen, die plötzlich aufploppten und jetzt ganze Ordner füllen.

Sie konstatiert das mit der Routine einer Krankenschwester, die ein Fieberthermometer abliest. Erst am Vortag war sie wieder im Stadtteil Rudow unterwegs. Eine der am stärksten beklebten Gegenden in Berlin, neben Lichtenberg und Johannesthal. Sie sagt: "Innerhalb von 45 Minuten habe ich 65 NPD-Aufkleber gefunden."

Rudow ist ein gefährliches Terrain. Kleinbürgerliche Einfamiliensiedlungen am südlichen Stadtrand. Hier war es, wo sie nach eigenen Angaben vor einigen Jahren nur knapp einem Mordanschlag entgangen ist. Mensah-Schramm sagt, es sei neben dem Eingang der Kleingartenkolonie "Ewige Heimat" passiert. Sie habe gerade einen NPD-Aufkleber abgeknibbelt, als ein Motorradfahrer sie angebrüllt habe, sie solle den sofort wieder drankleben. Als sie keine Anstalten gemacht habe, sei er aufs Gas getreten und auf sie zugesteuert. Mit einem Sprung zur Seite konnte sie sich gerade noch retten, wie sie berichtet.

Mensah-Schramm habe das Kennzeichen fotografiert und Strafanzeige erstattet. Der Täter sei nie gefasst worden. Andere an ihrer Stelle hätten jetzt den Ceranfeldschaber aus der Hand gelegt. Irmela Mensah-Schramm machte weiter. Sie sagt: "Ich kann nicht anders."

Das Echo auf die Ausstellung tut ihr gut. Die vielen Interviews mit Journalisten aus der ganzen Welt. Sogar die New York Times hat ihr ein Porträt gewidmet. Ihre Sammlung sei ja auch ein einzigartiger Schatz, sagt Kuratorin Isabel Enzenbach. Alle Aufnahmen chronologisch sortiert und mit Ortsangabe versehen – und das über so einen langen Zeitraum und mit Beispielen aus ganz Deutschland. "Kein Archiv kann diesen Aufwand leisten."

Die Arbeit an der Aufkleber Front ist nur ein Teil


Es kostete die Historikerin nicht viel Worte, um Mensah-Schramm davon zu überzeugen, ihre Schätze dem Museum auszuleihen. Denn die Arbeit an der Aufkleber-Front ist ja das eine, die Aufklärung das andere. Mensah-Schramm sagt, sie wolle über die Ausstellung ins Gespräch mit Menschen kommen, die Parolen wie "Neger moag I – in Afrika" gut finden.

Sie schaut einen mit diesem Blick an, wie ihn Heilpädagoginnen für Schüler aufsetzen, die besonders viel Geduld brauchen. Man hätte gerne ihr Gesicht gesehen, als diese Geduld einmal belohnt wurde – und das ausgerechnet in Rudow. Sie sagt, ein junger Mann, der sie sonst immer bei ihren Arbeiten behindert hätte, habe sie neulich angesprochen. Er sei jetzt aus der Szene ausgestiegen. Und sie, Irmela Mensah-Schramm, sei daran nicht unschuldig. Ihre unerschrockene Art habe ihm imponiert. Mensah-Schramm bekommt feuchte Augen, als sie davon erzählt. Sie sagt: "Alleine dafür hat es sich doch schon gelohnt."


Die Ausstellung "Angezettelt – Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute" ist bis zum 31. Juli im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.