NSU/Zwickau: V-Mann überfiel mit Zschäpe-Freundin eine Kneipe

Ralf Marschner, Spitzname "Manole", war V-Mann des Verfassungsschutzes
Erstveröffentlicht: 
17.05.2016

Ralf Marschner war enger mit dem NSU-Umfeld verbandelt als bisher bekannt. Das belegen Akten über eine Schlägerei im Jahr 2001. Warum wurde das Verfahren nicht in den Münchner Prozess eingeführt?

 

Ralf "Manole" Marschner, der zehn Jahre als V-Mann "Primus" für das Bundesamt für Verfassungsschutz gespitzelt hat, war offenbar noch enger in das Umfeld des NSU eingebunden als bislang bekannt. Recherchen der "Welt" belegen, dass Marschner im Jahr 2001 gemeinsam mit einer der engsten Vertrauten von Beate Zschäpe, Susann Eminger, in einem Körperverletzungsverfahren angeklagt war.

Am 21. April 2001 hatten Marschner und die damals 19-jährige Susann Eminger eine Kneipenschlägerei in Zwickau angezettelt. Susann Eminger hieß damals noch H., war aber bereits mit André Eminger liiert. André Eminger ist in München vor dem Oberlandesgericht als mutmaßlicher Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) angeklagt und seit 2005 mit Susann verheiratet.

Laut den Strafakten, die der "Welt" vorliegen, schilderte die Wirtin der Kneipe "Big Twin" den Vorfall der Polizei so: Plötzlich seien in ihrer Gaststätte "vier Glatzen" erschienen. Die hatten bereits bei anderer Gelegenheit in der Kneipe Ärger gemacht. Als die Wirtin einen der Skinheads aufforderte, "keinen Stunk" zu machen, begann der, die Wirtin als "Nutte" zu beschimpfen. Die Wirtin wollte den Mann rausschmeißen, das verbat sich aber der Anführer der Skinheads.

Die Zeugin kannte ihn als "Manole" – der Spitzname von Ralf Marschner, V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). In der Folge drangen noch mehr Skinheads in die Kneipe ein, darunter Susann Eminger. Als Stammgäste der Wirtin beistehen wollten, begannen die Skinheads, auf die Gäste einzuschlagen. Eminger schlug der Wirtin mit der Faust ins Gesicht. Die Situation wurde unübersichtlich, so sagten später mehrere Zeugen aus, Gäste und Skinheads begannen, aufeinander einzuprügeln. Manole hielt sich Zeugenaussagen zufolge im Hintergrund, stahl aber der Wirtin den Schlüssel.

Noch bevor die Polizei in der Kneipe eintraf, rannten die Skinheads, darunter Marschner und Eminger, davon. Weit kamen sie nicht, Polizisten stellten die versprengte Gruppe unweit des Tatorts. Die Wirtin sagte ebenfalls aus, dass die Tochter eines Stammgastes sie zuvor gewarnt hätte. Zehn Glatzen würden in Kürze in der Kneipe auftauchen, man wolle Hitlers Geburtstag feiern und die Kneipe "aufmischen". Ein politischer Hintergrund wurde später vom zuständigen Staatsschutz trotzdem nicht erkannt.

Wichtige Informationen zur Beurteilung des Unterstützergeflechts

Allerdings wurde von der Zwickauer Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eingeleitet und eine Akte angelegt, oben auf dem Aktendeckel: der Mädchenname von Susann Eminger, darunter der Name des V-Mannes Marschner.

Dass ausgerechnet Susann Eminger, die sich bis zur Selbstenttarnung des NSU im November 2011 regelmäßig mit Beate Zschäpe traf, gemeinsam mit dem V-Mann Marschner derart auffällig geworden ist, wirft abermals ein Schlaglicht auf die Ermittlungsmethoden des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundesanwaltschaft.

Denn das Verfahren von Eminger und Marschner wurde nicht in den Münchener Prozess eingeführt, sondern wird als Teil des sogenannten Strukturermittlungsverfahrens von der Bundesanwaltschaft unter Verschluss gehalten. Dass Susann Eminger schon 2001 so eng mit einem V-Mann bekannt war und dass man gemeinsam eine Kneipe überfiel, sind allerdings wichtige Informationen, um das Unterstützergeflecht des NSU in Zwickau einordnen zu können.

Gutgläubiger Umgang mit zwielichtigem V-Mann

Zudem hatte der V-Mann Marschner offenbar ohne Konsequenzen abermals das BKA anlügen können. So hatte er auf die Frage, ob Susann Eminger gewalttätig sei, geantwortet: "Sicher nicht." Die Antwort nahm ein Sachbearbeiter des BKA nicht zum Anlass, die Glaubwürdigkeit des V-Mannes infrage zu stellen. Er notierte zwar, dass die Aussage Marschners, nichts zu gewalttätigen Handlungen Susann Emingers sagen zu können, widerlegt werden könne, fügte aber an: "…wobei nicht ersichtlich ist, ob MARSCHNER bewusst die Unwahrheit gesagt hat."

Im Zweifel glaubt man beim BKA offenbar gutgläubig einem V-Mann. Weitere Ermittlungen seitens des BKA, um das Beziehungsgeflecht zwischen den Emingers und dem V-Mann Marschner aufzuhellen, sind nicht bekannt, obwohl sie aufgrund des Verfahrens wegen der Kneipenschlägerei geboten gewesen wären.

Susann Eminger hatte zudem schon nach dem Überfall ihren damaligen Freund und heutigen Ehemann André Eminger als Zeugen angegeben – Eminger sollte ihr offenbar für die Nacht des Überfalls ein Alibi geben. Der hatte bereits Ende November 2000 ein Wohnmobil angemietet. Kurz darauf überfielen Böhnhardt und Mundlos eine Bank. Bei mehreren Überfällen hatten Böhnhardt und Mundlos Fahrräder mit einem Camper in die Nähe des Tatorts gebracht.

Wie eng André Eminger in die Planung und die Ausführung der Taten des NSU eingebunden war, ist noch immer ungewiss. Zum Zeitpunkt der Kneipenschlägerei lebten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bereits seit einem Jahr in Zwickau.

Im April 2003, zwei Jahre nach der Kneipenüberfall, wurde Marschner und Eminger gemeinsam der Prozess vor dem Amtsgericht in Zwickau gemacht. Das Verfahren gegen Susann Eminger wurde gegen die Auflage ausgesetzt, dass sie 20 Stunden Sozialarbeit ableistet. Auch das Verfahren gegen Marschner wurde "vorläufig eingestellt". Die Staatsanwaltschaft verwies lapidar darauf, dass er erst jüngst bereits in einer anderer Sache verurteilt worden war. Das war offenbar Strafe genug.

NSU-Terrorist Mundlos arbeitete in Marschners Firma

Marschner war wenige Monate zuvor tatsächlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden: Er hatte Unterstützungsleistungen des Staates für Bauarbeiter seiner Abrissfirma erschwindelt und veruntreut. Es war die Firma, für die der NSU-Terrorist Uwe Mundlos laut Aussage eines Zeugen als Bauleiter gearbeitet haben soll.

So wird durch den neuen Aktenfund immer deutlicher, dass V-Mann Ralf Marschner eng in das Umfeld des NSU eingebunden war, allerdings seinem Dienstherrn, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, nie über die Beziehungen berichtet haben soll. So geht es jedenfalls aus den bislang bekannt gewordenen Akten des BfV hervor.

Zudem fällt abermals auf, dass V-Mann Marschner von der Justiz äußerst zuvorkommend behandelt worden ist. Mehrere Dutzend Verfahren hatte die sächsische Justiz seit 1990 gegen ihn geführt, zu einer Haftstrafe wurde der V-Mann nie verurteilt. Sogar wegen Totschlags wurde gegen Marschner zeitweise ermittelt.

Muss Marschner nun doch als Zeuge in München aussagen?

So wurde er 1999 von einem anonymen Anrufer beschuldigt, einen 17-Jährigen am Tag der Deutschen Einheit in der Nähe von Zwickau erschlagen zu haben. Was an der Spur dran war, kann heute nicht mehr überprüft werden: Die Akten zu diesen Mordermittlungen sind vom Hochwasser 2010 in Sachsen vernichtet worden, wie letzte Woche bekannt wurde.

Dass den Verfahrensbeteiligten des NSU-Prozesses in München die Akten des Kneipenüberfalls nicht zur Verfügung gestellt wurden, wird dort abermals für Ärger sorgen. Gerade erst hatte der Vorsitzende Richter ein Antrag abgelehnt, Marschner als Zeugen zu hören.

Der Fall Marschner, angestoßen durch Recherchen der "Welt", wird im Juni den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags beschäftigen.

Von Stefan Aust, Dirk Laabs