Im Sog des Krieges

Erstveröffentlicht: 
18.02.2016

Nach dem Attentat in Ankara droht der Türkei ein Bürgerkrieg. Die Auswirkungen auf Syrien und die Flüchtlingskrise sind jetzt schon gravierend.

 

Wer macht so etwas? Immer wieder diese Frage: Wer tut anderen so etwas an? Reisst Menschen mit in den Tod, von deren Leben er nichts weiss? Ankara, Istanbul und nun wieder Ankara: drei Selbstmordattentate in türkischen Millionenstädten in nur vier Monaten mit insgesamt 141 Toten. Und wieder glaubt die Regierung schon wenige Stunden später, die Täter bereits zu kennen – womit die wesent­lichen Fragen allerdings keineswegs beantwortet sind. Im Gegenteil.

 

Zweimal soll es der sogenannte Islamische Staat gewesen sein. Bei den Anschlägen vor Ankaras Hauptbahnhof im Oktober und auf Touristen in Istanbul im Januar soll der IS Regie geführt haben, auch wenn es keine offiziellen Bekenntnisse gab. Jetzt zeigt Premier Ahmet Davutoglu mit dem Finger auf die radikale türkische Kurdenpartei PKK und deren syrische Bruderorganisationen PYD und YPG. Diese Namenskürzel sind jedem Türken nur zu vertraut, schliesslich steht die PKK seit mehr als 30 Jahren für den bewaffneten Widerstand gegen die Staatsmacht im Südosten des Landes. Dort spielt sich seit Monaten schon eine wahre Tragödie ab.

 

PKK hat jetzt ein Territorium

 

Die PKK-Führer sind längst ergraut, aber ihre Kämpfer werden immer jünger, entschlossener, desillusionierter, todesmutiger; der Staat reagiert darauf unerbittlich, ohne Rücksicht auf Unbeteiligte. Unterdessen haben die Ableger der PKK in Syrien wahrgemacht, was der PKK in der Türkei nie gelungen ist: Sie nahmen sich im Bürgerkriegschaos einfach ihr eigenes Territorium. Zwar ist die Bekenntnislage nach dem Attentat von Ankara jetzt auch erst einmal uneindeutig; ein Kurdenführer äussert sich nebulös, ein anderer widerspricht.

 

Sollte sich aber eine Verantwortung der Kurdenmilizen für das verheerende Attentat inmitten der Hauptstadt bestätigen oder – was fast genauso wirksam wäre – eine Mehrheit der Türken in diesem Fall der Regierung glauben, dann wäre dies für die Türkei hochdramatisch, innen- wie aussenpolitisch. Die PKK hatte es bislang vermieden, ihren blutigen Kampf in den türkischen Grossstädten auszufechten. Ändert sie diese Strategie, steht eine Art Bürgerkrieg auch in der Türkei als Menetekel an der Wand. Schwer belastet würde aber auch das Verhältnis zwischen Ankara und Washington, weil die US-Regierung die diversen Kurdenmilizen in Syrien und im Irak als Partner im Kampf gegen den IS aufgerüstet und schätzen gelernt hat.

 

Am gefährlichsten aber: Der Zwist zwischen der Türkei und Russland wird befeuert werden. Auf dem Schlachtfeld in Syrien kämpfen Russland und das Nato-Land Türkei glücklicherweise noch nicht direkt gegeneinander, aber sie tun es schon über Stellvertreter. Die Türkei versorgt die Anti-Assad-Rebellen, Moskau den Diktator in Damaskus. Zuletzt hat Russland versucht, sich die syrischen Kurden zu Freunden zu machen; die PYD durfte in Moskau ein Büro eröffnen, mit propagandistischem Tamtam.

 

Für Wladimir Putins Strategen sind die Kurden nur Bauernfiguren auf einem geopolitischen Schachbrett. In Syrien hinterlassen russische Luftangriffe verbrannte Erde, wo Krankenhäuser und Schulen bombardiert werden, fliehen nun diejenigen, die eigentlich ausharren wollten. Auch diese Flüchtlinge werden, wenn sie keine Bleibe in der Türkei finden, irgendwann an der deutschen Grenze stehen – sofern sie es noch durch die Zaunwälder der Balkanroute schaffen.

 

Was heisst dies alles für die EU, für Angela Merkel? Die Türkei wird als Partner weiter gebraucht, denn hilft Ankara nicht mit, den syrischen Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken, wird Merkel ihre Linie nicht halten können – dann werden die politischen Fliehkräfte die EU noch tiefer in Existenznöte treiben. Merkel und ihre wenigen verbliebenen Freunde in der Union müssen Davutoglu, wenn das jetzt abgesagte Flüchtlingskrisentreffen von Brüssel nachgeholt wird, aber auch klar sagen, dass die Türkei ihren inneren Frieden finden muss, will sie ein verlässlicher Partner sein. Der EU-Gipfel könnte schon jetzt ein Signal setzen: Er sollte die russischen Luftangriffe in Syrien scharf verurteilen und vorsorglich gleich noch alle warnen, welche die Stabilität der Türkei aufs Spiel setzen.