Streit um Heilbronns rechte Szene

Erstveröffentlicht: 
11.02.2016

In ihrem Abschlussbericht werfen Baden-Württembergs politische NSU-Rechercheure Heilbronns Staatsschützern vor, rechtsextremistische Tendenzen zu verharmlosen.

 

Um sich zu schützen, brauchen Bürger und der Staat Experten. Geschulte Kriminalisten, die Spuren von Verbrechen, von Terror und Gewalt ­verfolgen. Spezialisten mit dem richtigen Riecher für drohende Gefahren.

 

Die Vorwürfe des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses wiegen darum sehr schwer. In ihrem 997 Seiten dicken Abschlussbericht kritisieren die Parlamentarier Beamte der Heilbronner Polizei, und zwar deren Staatsschützer. Deren ­Aufgabe ist es, bei Straftaten zu ermitteln, die politisch motiviert sind.

 

Im vergangenen Jahr befragten die Abgeordneten des Untersuchungsgremiums einige der Heilbronner Staatsschützer. Dabei sollen die Polizisten „rechtsextremistische Tendenzen in Heilbronn verharmlost haben“. Von einer „nicht akzeptablen Art der Relativierung“ ist im Abschlussreport der Landespolitiker die Rede. Offensichtlich kochten die NSU-Rechercheure nach den Auftritten der Staatsschützer vor Wut. Das belegen Dokumente einer nichtöffentlichen Sitzung, die unserer Zeitung vorliegen. Mit Zurufen empörten sich mehrere Ausschussmitglieder über das „Gebaren“ des Kriminalhauptkommissars Klaus H., der die Auskunft auf Fragen der Abgeordneten verweigerte. Durch den Auftritt von H. könnte „die polizeiliche Arbeit in Baden-Württemberg insgesamt diskreditiert werden“, befürchten die Politiker.

 

„Nur Einzelpersonen mit rechtspopulistischem Denken“

 

Der 58-jährige Polizist hatte vor dem Ausschuss beteuert, eine rechte Szene gebe es in Heilbronn nicht. Lediglich Einzelpersonen mit „rechtspopulistischem Denken“ hätten er und seine Kollgen ausgemacht: „Die kennen sich nicht unbedingt untereinander.“ Einsilbig blieb H., als Ausschussmitglieder ihn nach Namen und Gruppen fragten.

 

Von Rechtspopulisten hatte auch der 55-jährige Leiter des Staatsschutzes, Klaus B., gesprochen – selbst als es um ein Foto ging, auf dem junge Leute mit Hitlergruß vor einer Hakenkreuzfahne posieren. Einen Brandanschlag auf ein CDU-Gebäude in Heilbronn 2008 führte B. auf den Alkoholrausch der Täter zurück. Die hätten spontan den Entschluss gefasst, „etwas anzuzünden.“

 

Reporter unserer Zeitung recherchierten weiter: Einer der Brandstifter wurde im Gefängnis von der „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) betreut. Die 2011 verbotene Neonazi-Organisation kümmerte sich bis zu ihrer Zwangsauflösung um inhaftierte Gleichgesinnte. Auch der NSU-Ausschussbericht des Landtages verweist auf den „eindeutig rechtsextremistischen Hintergrund“ der Tat.

 

„Es geht nicht darum, Menschen und ihre Arbeit zu verunglimpfen“


Heilbronns Kripo-Leiter Volker Ritten­auer stellt sich hinter seine Beamten. „Die Kollegen sind seit Jahren in diesem Bereich tätig. Sie haben breites Erfahrungswissen und tun, was sie rechtlich können.“ Ob es in Heilbronn tatsächlich keine rechte Szene gebe? „Wenn die Kollegen das sagen, ist es für mich Tatsache.“

 

Ganz anders sieht das die Heilbronner DGB-Vorsitzende Silke Ortwein. „Es geht nicht darum, Menschen und ihre Arbeit zu verunglimpfen“, so die Gewerkschafterin. Die Polizei behaupte allerdings seit Jahren, in der Stadt gebe es keine Probleme mit rechten Extremisten. Die allerdings würden früher wie heute ihre Fäden spinnen. „Die Haltung der Polizei blockiert die Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit den Rechten.“ So habe die Polizei den Bürgern im Vorfeld einer Demonstration von Hunderten von Neonazis im Jahr 2011 geraten, „ins Grüne zu fahren“, statt für eine bunte Stadt zu demonstrieren.

 

Großraum Heilbronn im Fokus der Nachforschungen

 

Auf die Expertise des Staatsschutzes werden wohl auch die Mitglieder des 16. Landtags angewiesen sein. Der NSU-Untersuchungsausschuss empfiehlt dem neuen Parlament, nach den Wahlen am 13. März einen weiteren Untersuchungsausschuss zum ­Nationalsozialistischen Untergrund und dessen möglichen Verbindungen in den ­Südwesten Deutschlands einzusetzen. Zu viele Fragen seien nach einem knappen Jahr parlamentarischer Recherchen noch offen. Etwa, welche Kontakte die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach Baden-Württemberg pflegten.

 

Bei ihren weiteren Nachforschungen der Politiker dürfte besonders der Großraum Heilbronn im Fokus stehen. Denn bis heute ist unklar, warum die Neonazis im April 2007 ausgerechnet in die Neckarstadt ­kamen, um zu morden. Auch wenn sich die meisten Abgeordneten bereits darauf ­einigten, die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin Arnold seien den Mördern „als zufällig auf der Theresien­wiese anwesende Polizeibeamte zum Opfer gefallen“.