Strategiekonferenz in Dresden - Gegenöffentlichkeit statt Pegida-Protestreflexen

Erstveröffentlicht: 
17.01.2016

Bei einer Strategiekonferenz an der TU Dresden ist am Wochenende in mehreren Workshops der Umgang mit der Pegida-Bewegung diskutiert worden. Eingeladen hatte das Bündnis "Dresden Nazifrei".

von Michael Bartsch

 

"Marginal" seien die Proteste gegen die Pegida-Kundgebungen in Dresden geblieben, räumte die Leipziger Journalistin Jennifer Stange in ihrem Eröffnungsvortrag ein. Nach mehr als einem Jahr Erfahrungen mit der gegen Flüchtlingsströme und vermeintliche Islamisierung, gegen sämtliche Staatsgewalten und die Medien rebellierenden Bewegung sah das Bündnis Dresden Nazifrei die Notwendigkeit, über den Umgang mit Pegida strategisch zu beraten. Denn Proteste zeigten nur punktuell Wirkung, zahlenmäßig blieben Gegendemonstranten meist in der Defensive. Nur beim Sternlauf mit etwa 9.000 Teilnehmern oder beim "Neujahrsputz" vor Jahresfrist konnten bislang nennenswerte Kräfte der Zivilgesellschaft mobilisiert werden. Beim großen Konzert "offen und bunt" am 26. Januar 2015 auf dem Neumarkt wirkten noch zahlreiche Bündnisse und Vereine wie "Dresden für alle" oder "Dresden Place to be" zusammen, von denen heute nur noch wenig zu hören ist.

 

Halb so viele Teilnehmer wie erwartet


"Effektive Aktionsformen gegen Pegida machen eine grundsätzliche Neuausrichtung des gegen Pegida gerichteten Protestes notwendig", hieß es deshalb in der Einladung zu einer Strategiekonferenz im Hörsaalzentrum der TU Dresden an diesem Wochenende. Statt der angemeldeten 200 Teilnehmer folgte allerdings nur etwas mehr als die Hälfte dem Aufruf zur Auseinandersetzung mit der eigenen Gegenwehr. Die Organisatoren verbargen ihre Enttäuschung darüber nicht, dass Hilfsorganisationen oder Sport- und Lobbyvereine nicht in erwartetem Umfang erschienen waren.

 

Praxisnahe Workshops

 

Nach einleitenden Vorträgen am Freitagabend wurde in 14 Workshops am Sonnabend zunächst das Pegida-Phänomen analysiert und dann wurden Vorschläge für das Abschlussplenum erarbeitet. Verglichen mit der soziologisch-wissenschaftlichen Konferenz im Dresdner Schloss vor Weihnachten zeigten sich die Workshops praxisnäher und von unmittelbaren Erfahrungen geprägt. Die Diskussion erschöpfte sich dabei nicht in Einzelthemen, sondern versuchte, den Blick über Pegida hinaus auf Entwicklungen in der Gesellschaft insgesamt zu richten. "Warum ist Pegida so anschlussfähig?", formulierte Silvio Lang als Sprecher der Organisatoren das Kernanliegen der Konferenz als Frage.

 

Nicht nur die überwiegend jungen Akteure versuchten, darauf Antworten zu geben. An einigen Workshops beteiligten sich auch - oft geringschätzig so bezeichnete - "besorgte Bürger", wie sie insbesondere seit dem verstärkten Zustrom von Flüchtlingen häufiger auf der Straße zu finden sind. Angesichts teilweiser entstandener Parallelgesellschaften und scheinbar rechtsfreier Räume im Westen ist ihr Vertrauen gering, dass Ausländerintegration ausgerechnet jetzt und im Osten gelingt. Auch die Enttäuschungen und Verletzungen sogenannter Wendeverlierer kamen zur Sprache. Die besonderen sächsischen Verhältnisse, die von jahrelanger Ignoranz gegenüber rechtsextremistischen Tendenzen geprägt waren, spielten bei der Einordnung von Pegida ebenfalls eine Rolle.

 

Aktion statt Reaktion

 

Seitens der Veranstalter von "Dresden Nazifrei" war wiederum das Bemühen spürbar, sich gegen die Denunziation als Linksextremisten zu wehren. Man bleibe allerdings bei der Formulierung unverhandelbarer Grundpositionen, wenn "gesellschaftliche Selbstregulierungsprozesse" angesichts nationalistischer und latent fremdenfeindlicher Trends versagen, hieß es. Anstatt auf Pegida stets nur zu reagieren, wolle man solche eigenen Positionen positiv und für die Öffentlichkeit wahrnehmbarer formulieren, sagte "Nazifrei"-Sprecher Silvio Lang. Als Beispiele nannte er die Verteidigung des Asylrechtes oder die Benennung der deutschen Rolle bei Konflikten und damit bei Fluchtursachen in der Welt.

 

Im Plenum wurden solche Absichten konkretisiert. Wenn Pegida auf "unheimliche Gefühle" und dumpfe Ängste setze, wolle man eine eigene "Gegenemotionalität" propagieren und damit zugleich dem Eindruck eigener Ohnmacht entgegenwirken. Kunst, Kultur und eine gepflegte Sprache, die "größten Schwachstellen von Pegida", spielen dabei eine wichtige Rolle. Es gehe um "symbolische Bilder, die eine funktionierende, integrative Mehrheitsgesellschaft zeigen". Nachgedacht wurde über gezielte Medienarbeit, die direkte Ansprache von Mandatsträgern und eine verstärkte Bildungsarbeit an Schulen. An die Versammlungsbehörden erging die Aufforderung, zum Schutz von Journalisten die Auflagen zu verschärfen. Gleichzeitig wurde aber auch Selbstkritik an mangelnder eigener Offenheit gegenüber Medienvertretern geübt.

 

Thüringen als Vorbild


Als zentrale Aufgabe wird die Aufhebung des Gegensatzes von bürgerlichem Protest und Radikaler Linker angesehen. Thüringen gilt hier als Vorbild für Dresden. "Vernetzung" lautete der im Überblick über die Workshops am häufigsten verwendete Begriff. Durch verstärkte Kontakte mit den teils isoliert agierenden Protestorganisatoren will man zu einer "gemeinsamen Erzählung" kommen, formulierte Silvio Lang. Das heiße nicht, jeden Montag ein möglichst großes Aufgebot an Straßenprotesten mobilisieren zu wollen, sondern kontinuierlicher in die Gesellschaft hinein zu wirken. Ob man so die "schweigende Mehrheit" oder zumindest alle demokratischen Werten verpflichteten Bürger erreichen kann, bleibt abzuwarten.