„Neue Kolonie der Reichen“

Gostenhof
Erstveröffentlicht: 
28.12.2015

Gostenhof ist im Umbruch, nicht jedem gefällt der soziale Wandel  Gostenhof ist im Umbruch. Der Jamnitzerplatz, wo Häuser mit schäbigen Fassaden neben geschleckten Stadthäusern stehen, ist ein Spiegel für den sozialen Wandel. Während die Stadt nicht wagt, von Gentrifizierung zu sprechen, ist im Stadtteil Unmut über steigende Mieten zu spüren. Stellt sich die Frage, ob die aktuellen Veränderungen vergleichbar sind mit denen der 80er Jahre, als die Stadterneuerung Gostenhof ein neues Lebensgefühl bescherte.

 

Farbbeutel haben auf den hellen Fassaden der Reihenhäuser in der Mittleren Kanalstraße hässliche Kleckse hinterlassen. Für Sabine Züge, Sprecherin der Organisierten Autonomie in Gostenhof, ist die Verschandelung ein Zeichen von Ohnmacht. Es gebe Wut im Stadtteil. Darüber, dass das Wohnen immer teurer wird, „wie soll man das sonst ausdrücken?“. Bewohner sollten die Attacken nicht persönlich nehmen, rät die 30-Jährige. „Die gehen nicht gegen sie, sondern gegen die Investoren.“ Zurückversetzt von der Mittleren Kanalstraße, gut zu sehen durch eine Lücke zwischen den für Gostenhof typischen alten Mietshäusern mit Ziegelfassade, wird an den neuesten Luxuswohnungen im Viertel gebaut. 98 Quadratmeter kosten 398 000 Euro. „Leute aus dem Viertel können sich das nicht leisten“, sagt Züge. Wo Luxuswohnungen entstehen, verändert sich das Umfeld. Tatsächlich stehen alte Mietshäuser vor dem Luxus-Neubau leer. Sie werden saniert oder das Facelifting ist schon fertig. Aus einem Haus seien die Mieter, alles Roma, komplett rausgemietet worden, sagt Züge. Sie habe das von gegenüber beobachtet, wo im Stadtteilladen „Schwarze Katze“ die Autonomen ebenso daheim sind wie die „Initiative Mietenwahnsinn stoppen“. „Leider sind sie vor der Entmietung nicht zu uns gekommen, vielleicht hätten wir helfen können.“ Die Autonomen sind in Gostenhof in der Kritik. Wegen ihrer radikalen Aktionen, etwa gegen einen Hausbesitzer und dessen Zaun am Jamnitzerplatz. Der Drahtzaun würde in unzähligen Vorstädten gar nicht auffallen. Doch in Gostenhof, das sich immer noch alternativ versteht, ist Abgrenzung gegen Nachbarn verdächtig. Neue Häuser, sanierte Fassaden – neue Mitbewohner. „Wenn es schöner werden soll, dann für die, die es sich leisten können“, sagt Züge. Bei der Erneuerung von Gostenhof in den 80er und 90er Jahren sei es darum gegangen, Lebensqualität zu schaffen „und nicht mehr Rendite wie heute“. Die Ausgangsbedingungen für die Stadterneuerung vor 30 Jahren waren aber auch andere: Viele Wohnungen waren in einem katastrophalen Zustand, Klos oft noch auf dem Gang und einige Hinterhäuser abbruchreif. Es ging nicht um Luxussanierungen, sondern darum, endlich gute Wohnverhältnisse zu schaffen.


Treffen in der Planungskneipe
 Doch auch damals gab es Ängste, sagt Herbert Mundschau. Er gab damals das Quartier-Magazin „Der Gostenhofer“ heraus. „Wir verstanden uns als Podium der Stadtteilbewohner und ihrer Sorgen.“ Im Stadtteilarbeitskreis, in der Planungskneipe in der Kernstraße oder bei Stadtteilkonferenzen war es möglich, über die Veränderungen mit Vertretern der Stadt oder dem Architekten Hermann Grub aus München zu sprechen. Dennoch habe es auch damals Entmietungen gegeben. Besonders unpopulär sei ein Fall in der Glockendonstraße an der Ecke zur Adam-KleinStraße gewesen. „Da war ein Café drin, dann wurde das Haus an einen Makler verkauft und der drückte nach der Sanierung eine Mieterin raus, die war schon über 90 Jahre alt.“ Mundschau mag es nicht, wenn Investoren die Knappheit an Wohnraum ausnutzen und Immobilien aufhübschen, um Wohnungen meistbietend zu vergeben. „Ich merke noch nicht, dass sich die Atmosphäre in Gostenhof verändert.“ Das könne aber kommen, wenn noch mehr Leute herziehen. Bernd Zachow, Gostenhofer Urgestein und damals auch beim „Gostenhofer“, sieht schon Veränderungen. Und sie gefallen ihm nicht. „In den 80er Jahren verhielten sich die Zuzügler respektvoll, anders als heute. Die Alteingesessenen waren für sie keine Looser, sondern achtenswerte Leute, Arbeiter oder Opfer des Systems.“ Heute sei das anders. Zachow wohnt am Jamnitzerplatz, er kennt die Leute in den Reihenhäusern und Eigentumswohnungen. „Sie tun wie Kolonialisten im Afrika des 19. Jahrhunderts.“ Zu Zeiten der Stadterneuerung hätten sich die Neuen – viele junge Leute und Künstler – noch gerne angepasst. Wenn man Gentrifizierung von „gentry“ ableite, was auf Englisch „niederer Adel“ bedeutet, passe das gut zum Selbstverständnis der Gostenhofer Neubürger, sagt Zachow. Im Wirtschaftsreferat, das sich auch ums Wohnen kümmert, will man von Gentrifizierung in Gostenhof aber nichts wissen. Noch halte sich der Trend zum Nobelviertel auf Kosten der Schwächeren in Grenzen. „Die Mieten steigen nicht deutlicher als generell in Nürnberg“, sagt Britta Walter vom Stab Wohnen. Auch dass viele Ausländer neu ins Viertel ziehen, spricht aus ihrer Sicht nicht dafür, dass die Mieten besonders hoch sind. „Gostenhof verändert sich aber ziemlich schnell“, bestätigt Walter. Beim Blick auf die Bodenrichtwerte kann einem schwindelig werden – zwischen 2008 und 2014 ist der Preis für Bauplätze um 77 Prozent gestiegen. Der städtische Mittelwert liegt bei 74 Prozent. Kein Wunder, dass sich einige wünschen, dass die Stadt einschreitet. Bei einer Veranstaltung der Grünen 2013 wurde der Wunsch nach einer Erhaltungssatzung laut. Damit können Kommunen die städtebauliche Eigenart eines Viertel und die soziale Zusammensetzung schützen. Laut Ingo Schlick vom Stadtplanungsamt gelten Erhaltungssatzungen aber als unpraktikabel, weil schwer zu kontrollieren sei, was Eigentümer tatsächlich mit ihren Häusern anstellen. Er kenne kein Mittel, um Investoren daran zu hindern, Luxusimmobilien zu bauen. In den 80er Jahren sei die Stadterneuerung sozialverträglich gelaufen, „weil es noch keine Nachfrage nach teuren Wohnungen in Gostenhof gab“. Das ist heute anders.