Die Allianz der neuen Rechten

Erstveröffentlicht: 
14.11.2015
Gegen Islam, gegen Israel, gegen USA, gegen Flüchtlinge: Was haben AfD, Pegida, NPD und Die Rechte gemein, was unterscheidet die Populisten von den Extremisten? Blick auf eine diffuse, wachsende Macht in der Politik. Von Klaus Wallbaum

 

Es ist nicht Montag, es ist nicht Dresden. Und doch klingt es so, als sei gerade eine Kundgebung der islamfeindlichen Bewegung Pegida im Gange. „Volks-ver-rä-ter, Volks-ver-rä-ter“, skandiert die Menge. Und: „Merkel muss weg! Merkel muss weg!“. Als ein Fernsehreporter in Karnevalskostüm auftritt und sich über die Demonstration lustig machen will, wird er verbal attackiert. „Lü-gen-pres-se, Lü-gen-pres-se“, rufen die Umstehenden. Das sind Szenen der jüngsten Demonstration der „Alternative für Deutschland“ (AfD) vergangene Woche in Berlin – einer einst von Professoren gegründeten Partei, die sich auf die Kritik an der Euro-Einführung spezialisiert hatte. Inzwischen ertönen auf AfD-Kundgebungen immer radikalere, immer aggressivere Töne – während die Partei in den Umfragen ständig zulegt. Trotz oder womöglich wegen dieser Radikalisierung? Üben Rechtspopulisten und Rechtsextremisten im Schatten der Flüchtlingskrise den Schulterschluss? Ein Blick auf die rechte Szene in Deutschland.

 

Die Bewegung


Die Pegida-Bewegung mit ihrem proletarisch wirkenden Anführer Lutz Bachmann bietet auf ihren Kundgebungen vielen Rednern aus dem rechtsextremen Lager ein Forum. Über Monate schaffte sie es, Menschenmengen anzulocken, in jüngster Zeit wieder deutlich mehr – sie wirkt wie ein Sammelbecken aller Unzufriedenen. Trotzdem ist ein Schwerpunkt erkennbar: Der Islam ist der Hauptfeind der führenden Aktivisten, Israel und Amerika, klassische Feindbilder der Rechten, sind es nicht. So vertritt es auch der bisher prominenteste Gastredner von Pegida, der holländische Rechtspopulist Geert Wilders. Mit Pegida sympathisiert auch die Internetseite „pi-news“, die genau diese Linie vertritt. Ausdrücklich nennt sich die Homepage, deren Abkürzung für „politically incorrect“ steht, „proamerikanisch“ und „proisraelisch“.

 

Pegida war allerdings nicht der erste Versuch mit einer wöchentlichen Kundgebung. Vor Bachmann hat bereits die Gruppe um Lars Mährholz und Ken Jebsen versucht, eine regelmäßige Montagsdemonstration – in Anlehnung an die Bürgerbewegung in der Endphase der DDR – zu etablieren. Im Frühjahr und Sommer 2104 begannen sie in Berlin, hatten aber längst nicht den Erfolg von Pegida. Im Unterschied zu Pegida waren die Organisatoren nicht islamfeindlich eingestellt, ihre Hauptgegner hießen Israel und die USA.

 

Mittlerweile gibt es von den Amerika-Gegnern den Versuch, dem Bürgerprotest eine neue Richtung zu geben. Anknüpfungspunkt ist dabei der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke, der seinerseits regelmäßige Demonstrationen vor dem Thüringer Landtag veranstaltet. Höcke stammt aus Westfalen und hält immer wieder nationalistische Reden, verwendet Begriffe, die an den Sprachgebrauch im Dritten Reich erinnern. Im Lager der Amerika-Gegner unter den Rechtsextremisten wird Höcke in jüngster Zeit als Hoffnungsträger bezeichnet, in seiner eigenen AfD erregt genau das Stirnrunzeln. AfD-Chefin Frauke Petry geht in jüngster Zeit immer mehr auf Distanz zu ihm.

 

Die Parteien


Im Sommer 2014 erlitt die NPD eine empfindliche Niederlage, verpasste den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. Heute sitzt die Nationaldemokratische Partei Deutschlands nur noch in einem Landesparlament, in Mecklenburg-Vorpommern. Zwar versucht die NPD unter ihrem neuen Bundesvorsitzenden Frank Franz (36), sich ein gemäßigtes, bürgerliches Image zu geben. Doch die Partei verharrt im Tief. Auch die Partei „Die Rechte“, die vor allem in Nordrhein-Westfalen aktiv ist und oft radikaler auftritt als die NPD, kann bisher keinen erheblichen Auftrieb verbuchen. An ihr haftet offenbar das gleiche Image wie an der NPD – einer Partei mit auffälliger Nähe zu Neonazis, in ihrer Propaganda aggressiv und staatsfeindlich.

 

Gleichzeitig schaffte aber die rechtspopulistische AfD aus dem Stand den Sprung in drei Landtage – Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Und in aktuellen Umfragen kann sie deutlich zulegen, wenige Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März. NPD-Aktivisten wie der agile Hamburger Landesvorsitzende Thomas Wulff erkennen neidvoll an, dass die AfD derzeit im Werben um Wähler viel erfolgreicher ist.

Berührungspunkte zwischen NPD und AfD gibt es aber doch. Wieder ist der Thüringer Höcke die Schlüsselfigur. Ihm wird vorgeworfen, unter Pseudonym für NPD-Publikationen geschrieben zu haben. Als Höcke im Mai 2015 in einem Interview die NPD vom Generalverdacht des Rechtsextremismus freigesprochen hatte, leitete der AfD-Bundesvorstand ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn ein. Heute ist davon keine Rede mehr. Nicht Höcke und seine Anhänger, sondern die gemäßigten AfD-Mitglieder um den früheren Bundesvorsitzenden Bernd Lucke haben die AfD verlassen. Der Verdacht besteht, dass die AfD jetzt die Abgrenzung gegenüber früheren NPD-Mitgliedern, die die Partei unterwandern wollen, nicht mehr so konsequent anstrebt wie zu Luckes Zeiten.

 

Bei der AfD mischen sich Kräfte wie Höcke, die eine Systemveränderung in der Bundesrepublik anpeilen, mit rechtskonservativen Leuten, die nur die aktuelle Politik verändern, aber am parlamentarischen System festhalten wollen. Welcher Denkrichtung die rechten AfD-Kräfte näherstehen, den Amerikafeinden oder den Islamfeinden, ist schwer zu bestimmen.

 

Brandenburgs AfD-Chef Alexander Gauland zählt zum Lager der Amerikakritiker und Russlandfreunde, kann aber kaum als Extremist bezeichnet werden. Die AfD-Vorsitzende Petry und ihr Vertrauter Marcus Pretzell, der NRW-Landesvorsitzende der AfD, werden immer wieder von „pi-news“ hofiert. Sie könnten wohl eher bei den Islamkritikern verortet werden. Pretzell hatte sich auf dem vergangenen AfD-Parteitag zu der Bemerkung hinreißen lassen: „Wir sind die Pegida-Partei.“

 

Die Vordenker


Es war kein Zufall, dass im vergangeneEs war kein Zufall, dass vergangenen April der holländische Rechtspopulist Geert Wilders als Hauptredner einer Pegida-Veranstaltung auftrat. Wilders wirbt für ein weltweites Bündnis aller Islamfeinde. Weil er aber nicht zugleich antisemitisch argumentiert, sondern die christlich-jüdische Kultur ausdrücklich zum Leitbild erklärt, erreicht Wilders mit seinen Thesen nur einen Teil des rechtsradikalen Lagers. Vor allem in Deutschland sind die Rechtsextremisten traditionell auch antisemitisch eingestellt. Ihre Hetze richtet sich zudem oft allgemein gegen Ausländer. Das gilt etwa auch für die „identitäre Bewegung“, die vor allem im Internet aktiv ist und sich gegen „Multikulturalismus“ wendet.

 

Als Organ der Rechtskonservativen tritt seit vielen Jahren die Zeitung „Junge Freiheit“ auf. Eine Nähe zur AfD ist dort spürbar, deren Politiker kommen häufig zu Wort – in Interviews oder in längeren Hintergrundberichten. Allerdings wurde jüngst der umstrittene Höcke vom Chefredakteur heftig kritisiert – was wiederum im amerikafeindlichen Lager der Rechtsextremen Protest auslöste. Im Vergleich mit dem „Compact-Magazin“ erscheint die „Junge Freiheit“ aber noch gemäßigt. Im „Compact-Magazin“ bekommen alle ein Forum, die die USA verächtlich machen. Der rechtsgerichtete Populist Götz Kubitschek zählt dazu, der die Zeitschrift „Sezession“ herausgibt. Führende Figuren beim „Compact-Magazin“ sind zwei Intellektuelle, die einst weit links gestartet waren und nun Köpfe der Systemfeinde von rechts sind – Jürgen Elsässer, ein Baden-Württemberger, der einst beim „Kommunistischen Bund“ war, und Peter Feist aus Berlin, Neffe von Erich Honecker. Sie werben für Abkehr von Amerika, für Neutralität Deutschlands und für Annäherung an Russland.

 

Immer wieder taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der „Querfront“ auf – der Versuch, linksradikale und rechtsradikale Kräfte zusammenzuführen, im gemeinsamen Kampf gegen die Kultur der USA und gegen den von den USA geprägten Kapitalismus. Einen Vorläufer gab es in der Weimarer Republik, als der linke Flügel der NSDAP unter Gregor Strasser versuchte, ein Bündnis mit den Kommunisten – zumindest ideologisch – vorzubereiten. Sie betonten das Ziel eines „nationalen Sozialismus“. Der sogenannte „Röhm-Putsch“ von 1934, bei dem Hitler seine internen Gegner in der NSDAP ausschaltete, beendete diese Versuche damals. Doch bis heute träumen manche Leute von dieser Idee.

 

Bisher hat das mit der Querfront nicht richtig funktioniert. Ob nun ein neuer Versuch bevorsteht, mit neuen gemeinsamen Gegnern – den Flüchtlingen? Viele Extremisten träumen derzeit davon, einer neuen Volksbewegung ein ideologisches Korsett verpassen zu können. Sie versuchen gleichzeitig, das Trennende zwischen den verschiedenen Gruppen, die sich am rechten Rand tummeln, zu überwinden oder auszublenden.

 

Die Anführer aus dem Westen


Ist Rechtsextremismus ein primär ostdeutsches Problem? Wenn man die Geschichte der Bundesrepublik betrachtet, wird ein gesamtdeutsches Phänomen deutlich: In den sechziger Jahren schaffte die NPD den Einzug in eine Reihe von Landtagen – Hessen, Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Schließlich ist die NPD auch einst in Hannover entstanden.

 

Später, nach der Wiedervereinigung, waren die Erfolge von Rechtsextremisten bei Landtagswahlen gerade in Ostdeutschland besonders groß. Dabei fällt auf, dass die Anführer häufig aus dem Westen kommen – und dort politisch geprägt wurden. Das gilt etwa für Holger Apfel, der die NPD in Sachsen leitete, als sie erstmals in den Landtag kam. Er wuchs im niedersächsischen Hildesheim auf. Auch sein Kollege in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs, stammt aus dem Westen der Republik – zog dann aber nach Lübtheen und wurde dort politisch in der NPD aktiv. Beide merkten offenbar, dass sie in ihrer neuen Heimat politisch erfolgreicher wirken konnten. Auch ein „Vordenker“ der NPD in Sachsen, Jürgen Gansel, stammt aus dem Westen – er wurde in NRW geboren, studierte in Gießen und Marburg, kam über die Burschenschaften in die Politik.

 

Was macht den Osten für ehrgeizige Anführer der Rechtsextremisten so reizvoll? 1991 wurde in Dresden der Neonazi-Anführer Rainer Sonntag ermordet. Die gesamte rechte Szene aus Deutschland kam zwei Wochen später zu seiner Beerdigung – rund 1500 Menschen waren in Sachsens Hauptstadt gekommen. Es zeigte sich, dass Großkundgebungen von Rechtsextremisten in den neuen Ländern offenbar leichter durchzuführen sind und stärkere Resonanz erhalten als im Westen. Zugleich hatten rechtsextreme Gruppen die Hoffnung, in den neuen Ländern auf eine stärkere Anhängerschaft – oder zumindest mehr stille Sympathisanten – treffen zu können.

 

Allerdings ist die These, alle rechtsextremistischen Anführer seien Westdeutsche, nicht haltbar. Es gibt auch Leitfiguren der Szene, die aus dem Osten kommen – etwa Christian Bärthel, Anhänger rechtsradikaler Verschwörungstheorien. Er ist Thüringer. Auch das Trio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) wurde in Thüringen geprägt.