The Race to Zero: Auf der Suche nach den letzten Ebolapatienten in Liberia

Die „Ebola Must Go" Kampagne ist in Monrovia, Liberia, allgegenwärtig. Foto rechts unten auf der gegenüberliegenden Seite von Tim Freccia; alle anderen Fotos von der Autorin
Erstveröffentlicht: 
13.09.2015

Von Kayla Ruble, Aus der Make Believe Issue 2015.

Am Morgen des 5. März stand eine 58-jährige Englischlehrerin umringt von medizinischem Personal vor einem Ebolabehandlungszentrum in Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Die lächelnde Frau, Beatrice Yardolo, hatte sich am 19. Februar mit dem tödlichen hämorrhagischen Fieber angesteckt. Heute, nur zwei Wochen später, stand sie im Mittelpunkt einer öffentlichen Zeremonie anlässlich ihrer Entlassung aus dem von Chinesen unterhaltenen Krankenhaus.

 

Inmitten von Vertretern aus Gesundheitswesen, Medien und Politik drückte Yardolo ihre Freude darüber aus, Ebola-frei zu sein. Vor Kurzem gehörte die Lehrerin noch zu den 9.249 Liberianern, die sich während des schlimmsten Ebolaausbruchs aller Zeiten mit dem Virus infiziert hatten, dem bis heute über 11.200 Menschen in Liberia, Guinea und Sierra Leone zum Opfer gefallen sind.

„Ich bin heute einer der glücklichsten Menschen der Welt, denn es war schwer, das durchzustehen und zu überleben", sagte Yardolo der Associated Press nach ihrer Entlassung.

Behördenvertreter äußerten sich optimistisch zu der Tatsache, das Yardolo vorerst die letzte bestätigte Ebolapatientin in Liberia sei. Zum ersten Mal seit fast zehn Monaten hatten die Notfallzentren im Land keinen neuen Ebolafall gemeldet. Dennoch war an jenem heißen Mittwochmorgen eine gewisse Besorgnis spürbar.

Die Stimmung machte eines klar: Der Kampf gegen Ebola war für die 4,2 Millionen Einwohner des Landes noch nicht vorbei. Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden überwachten immer noch mehr als 100 Personen in Liberia, die in den vergangenen 21 Tagen—die Inkubationszeit des Virus—Kontakt zu Ebolapatienten hatten. Aber erst nach 42 Tagen ohne neue Fälle des hämorrhagischen Fiebers könnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Liberia offiziell für virusfrei erklären.

Null Neuinfektionen, das wichtigste Ziel für die betroffenen Länder, sind schwer zu erreichen. „Grundsätzlich gilt", wie mir Rick Brennan, Leiter der Ebolabekämpfung der WHO erklärte, „solange wir die Nullmarke nicht erreichen, kann das Virus erneut aufflammen und sich ausbreiten." Hinzu kommt, dass der Kampf gegen Ebola verheerende Auswirkungen auf Gesundheitssysteme, Volkswirtschaften und Arbeitskräfte hatte, die sich erst mit der Zeit wieder erholen können. „Die Ebolafälle haben den Gesundheitssystemen eine Menge Energie und Ressourcen abverlangt", erläuterte Brennan, „und der Wiederaufbau einer umfassenden medizinischen Grundversorgung wird sehr schwierig, solange wir den Ausbruch nicht vollständig besiegt haben."

Die Vertreter der Gesundheitsbehörden waren immer noch besorgt, da regelmäßig neue Infektionen in Sierra Leone und Guinea gemeldet wurden, gleich hinter Liberias durchlässigen Grenzen. Mangelnde Überwachung der Kontaktpersonen sowie fehlendes Vertrauen und Bewusstsein für die Krankheit in der Bevölkerung hemmen noch immer lokale und internationale Bemühungen, jenes Ziel zu erreichen, das das Ende des Ebolaausbruchs in Westafrika markieren könnte—42 Tage lang null Neuinfektionen in allen drei Ländern.

Am selben Nachmittag telefonierte ich aus einem parkenden Auto in der Gegend von New Georgia Estate in Montserrado County, Liberias einwohnerreichsten Region, mit Liberias stellvertretendem Gesundheitsminister Tolbert Nyenswah.

„Wir haben zwar gerade keinen bestätigten Fall im Ebolabehandlungszentrum, doch das bedeutet nicht, dass der Kampf gegen Ebola vorbei ist", sagte er und betonte, dass das Land weiterhin wachsam bleiben müsse.

„Natürlich bleibt die Lage angespannt. Nachlässigkeit können wir uns nicht leisten—jeder einzelne Bürger muss dafür sorgen, dass es in Liberia bei null Fällen bleibt, und wir müssen auch unsere Nachbarländer unterstützen", erklärte Nyenswah.

Ähnliche Telefonate hatte ich in den vergangenen zehn Monaten wiederholt mit ihm geführt. Nyenswah war seit Beginn des Ausbruchs das öffentliche Gesicht der Regierung im Anti-Ebolakampf.

Als ich im Juni 2014 zum ersten Mal mit Nyenswah sprach, hatte das Ebolavirus gerade Monrovia erreicht. Gewöhnlich sucht das hämorrhagische Fieber isolierte Dörfer in zentral- und westafrikanischen Ländern heim wie in der Demokratischen Republik Kongo (DRC), Gabun und Uganda. Während der aktuellen Epidemie waren erstmals Großstädte betroffen. Jedes der drei am stärksten betroffenen Länder meldete Fälle in den Hauptstädten—Conakry, Guinea; Freetown, Sierra Leone, und Monrovia.

Als ich ihn anrief, war Nyenswah gerade im Auto unterwegs, um in verschiedenen Stadtteilen die Gegenmaßnahmen zu koordinieren. In der Zeit standen die Vertreter der Gesundheitsbehörden im Kampf gegen Ebola an vorderster Front. Nyenswah erzählte mir, dass er an dem Tag ein traditionelles Heilungszentrum besucht habe, aus dem zahlreiche Leichen und Verdachtsfälle abgeholt wurden. Der stellvertretende Gesundheitsminister beschönigte die Situation nicht: Liberia brauchte Hilfe.

„Die Situation ist äußerst instabil", sagte der. Das Land benötige Ärzte aus dem Ausland sowie Hilfe bei der Schulung des lokalen medizinischen Personals.

Zu dem Zeitpunkt war aus Westafrikas allererstem Kontakt mit Ebola bereits der schlimmste Ausbruch des Virus geworden, seit dessen Bekanntwerden 1976 in der DRC, damals noch Zaire. Seit die erste Infektion im Dezember 2013 in Guineas Präfektur Guéckédou gemeldet wurde, war es zu 400 bestätigten Todesfällen gekommen. Man geht davon aus, dass ein zweijähriger Junge aus dem Dorf Meliandou zum Patienten null wurde, nachdem eine Fledermaus ihn mit dem Virus infiziert hatte—sie sind Träger des Ebolavirus.

In jenem Juni starb der erste Mitarbeiter des liberianischen Gesundheitswesens an dem Virus. Hervorragende Chirurgen, Ärzte und Krankenschwestern sollten bald folgen. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen und die WHO meldeten, dass es sich um einen schwerwiegenden Ausbruch handele, als die Zahl der Infektionen auch in Sierra Leone und Guinea stark anstieg.

Doch erst im August, 1.711 Fälle und 932 Tote später, rief die WHO einen internationalen Gesundheitsnotfall aus, und Bilder von den Orten des Geschehens erregten weltweit Aufmerksamkeit. Während die Welt gerade erst begann, die Krise wahrzunehmen, steckten die Liberianer, die sich immer noch von einem 14 Jahre währenden Bürgerkrieg erholen, bereits mitten in einem—selbst aus ihrer Perspektive—noch nie da gewesenen Chaos.

„Es gab Zeiten, in denen die Leichen überall herumlagen. Im September war es sehr schlimm", berichtete die Sachverständige Victoria Kolakeh drei Tage nach Yardolos Entlassung aus dem Krankenhaus. Damals erreichte der Ausbruch in Liberia seinen Höhepunkt. „Es war eine schwere Zeit", sagte sie.

Im Juli jenes Jahres, als die Regierung für den Kampf gegen Ebola dringend nach medizinischem Personal suchte, meldete sich Kolakeh als ausgebildete Krankenschwester freiwillig. Die 40-Jährige wurde mit fünf anderen in grundlegenden Präventionsmaßnahmen gegen das Virus geschult. Danach teilte man sie einer Gruppe von 14 Freiwilligen zu, darunter Fallermittler, Fahrer, Krankenschwestern und Hygieneexperten, die in zwei Teams aufgeteilt wurden. Sie arbeiteten in 24-Stundenschichten. Von 8 Uhr morgens an suchten sie die gesamte Stadt nach Verdachtsfällen ab und brachten Menschen ins Krankenhaus.

Ich traf Kolakeh und ihr Team an einem Samstagmorgen im März dieses Jahres in einer Einsatzzentrale in Monrovias John F. Kennedy Medical Center. Die Fallermittlerteams hatten Stadt- und Zeitpläne aufgehängt sowie Listen mit Kontaktpersonen, die überwacht wurden. Kolakeh kam gerade aus einer 21-tägigen Quarantäne, die sie antreten musste, nachdem sie ein Behandlungszentrum ohne die nötige Schutzausrüstung betreten hatte. Sie erschien an diesem Morgen in einem bedrucken T-Shirt, chlorbefleckten Hosen und einer grauen Mütze. Nach unserem Treffen würde sie ihre Achtstundenschicht damit verbringen, Meldungen über Ebolaverdachtsfälle in Monrovias Sektor 1 entgegenzunehmen, in dem sich einige der am dichtesten besiedelten Viertel der Stadt befinden.

Als Kolakeh mit der Freiwilligenarbeit begonnen hatte, war die Fallermittlung noch nicht so gut organisiert. Sie und ihr Team reagierten auf Anrufe aus der ganzen Stadt und dem gesamten Land. Damals gingen pausenlos Berichte über Verdachtsfälle ein, und die Krankenwagensirenen waren in den belebten Straßen Monrovias ständig zu hören.

Ich fragte Kolakeh, wie erschöpft sie auf dem Höhepunkt des Ausbruchs war, als sie 24 Stunden ohne Unterbrechung und auch über den Schichtwechsel um 8 Uhr morgens hinaus gearbeitet hatte. Ihre Antwort fiel, wie es die Art der Liberianer ist, sehr knapp aus.

„Ziemlich erschöpft, aber gab es eine Wahl?", sagte sie. „Mir ging es um mein Volk. Ich war für mein Land im Einsatz."

Fallermittlungen und die Nachverfolgung von Kontaktpersonen erfordern immense Anstrengungen. Alle Menschen zu lokalisieren und zu überwachen, die ein Ebolapatient zuletzt getroffen hat, ist eine wesentliche Gegenmaßnahmen, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Wenn sich der Ausbruch abschwächt, wird diese Arbeit einfacher, aber die effiziente Nachverfolgung umso wichtiger.

In Liberia ging die Zahl der Ebola­neuinfektionen ab Oktober langsam zurück und sank auch Anfang 2015 stetig—obwohl Guinea und Sierra Leone die Krankheit immer noch nicht unter Kontrolle hatten. Brennan erklärte, dass die Anti-Ebolamaßnahmen zu dem Zeitpunkt in eine Phase übergingen, in der detaillierte epidemiologische Arbeit in den Mittelpunkt rückte.

„Im Januar hatten wir die Neuinfektionen auf etwa 100 bis 150 pro Woche reduziert, aber groß angelegte Maßnahmen allein reichen nicht aus, um einen Ausbruch zu beenden", erklärte Brennan. „Auf dem letzten Stück geht es vor allem um präzise epidemiologische Arbeit vor Ort. Damit konnten wir erst beginnen, als die Fallzahlen endlich zurückgingen. Man muss jeden einzelnen Fall aufspüren, in die Dörfer hinausfahren, alle Erkrankten finden sowie jede einzelne Kontaktperson."

Die Anstrengungen der letzten Monate zeichneten sich auf den Gesichtern der Mitarbeiter ab, die in dem Bereitschaftsraum auf Anrufe warteten. Als Kolakeh mir die Karte von Sektor 1 erklärte, erhielt sie einen Anruf vom SOS-Kinderdorf: Eine Frau mit ebolaähnlichen Symptomen—Erbrechen, Durchfall und Erschöpfung—sei gerade vor dem Eingang abgesetzt worden.

Das Team machte sich sofort bereit, griff die Taschen und belud ein Auto und einen Krankenwagen, um an den Einsatzort zu fahren. Als sie dort eintrafen, weigerte sich die auf dem Boden liegende Kranke, in den Krankenwagen zu steigen und sich zu einem Ebolabehandlungszentrum bringen zu lassen: Das Stigma und die Angst vor dem Virus, auch wenn es nur um einen Test in der Klinik geht, bestehen in den Köpfen vieler Liberianer fort. Kolakeh und eine Sozialarbeiterin redeten der Frau lange gut zu, um mehr persönliche Informationen von ihr zu erhalten, doch sie weigerte sich, die Kontaktdaten ihrer Familienangehörigen preiszugeben.

Zufällig hatte einer der Fahrer die Frau in seiner Nachbarschaft schon einmal gesehen und wiedererkannt. Er telefonierte mit Nachbarn und bekam schließlich die Nummer ihrer Schwester heraus. Kolakeh rief sie sofort an und begann mit der langwierigen Arbeit, eine Liste all jener Personen aufzustellen, die möglicherweise Kontakt zu der Frau hatten. Danach würden Mitarbeiter von Kolakeh, die für die Nachverfolgung von Kontaktpersonen zuständig waren, jede Einzelne 21 Tage lang überwachen, bis sie die Inkubationszeit ohne Anzeichen von Symptomen überstanden hatten.

Nach einer mehr als 30-minütigen Diskussion konnte Kolakeh die Frau dazu bewegen, in den Krankenwagen zu steigen und sich in das Krankenhaus ELWA 3 bringen zu lassen, das größte Ebolabehandlungszentrum der Welt. Seine 250 Betten sind zurzeit fast alle leer.

Wie viele der Verdachtsfälle, die Kolakeh und ihre Kollegen in letzter Zeit zum Ebolatest gebracht hatten, wurde auch die Frau vom SOS-Kinderdorf negativ getestet. Krankheiten wie Malaria und Cholera sind in der Region weit verbreitet und weisen in ihren Frühstadien ebolaähnliche Symptome auf. Da das Virus die Nachbarländer aber immer noch im Griff hat, sind die Fallermittler gezwungen, wachsam zu bleiben und auf alle Telefonanrufe zu reagieren, und auch die Zuständigen für sichere Beerdigungen müssen solange ihre Arbeit fortsetzen, bis alle drei Länder bei null Ebolainfektionen angelangt sind.

Nachdem ich mich von Kolakeh verabschiedet hatte, vergingen in Liberia 15 Tage ohne neue Ebolafälle. Doch am 20. März, sechs Tage vor dem Ende der 21-tägigen Inkubationszeit, wurde eine 44-Jährige in einem Krankenhaus in Monrovia positiv getestet. Obwohl das ein Rückschlag war, konnte das medizinische Personal die Krankheit in Schach halten und die Patientin sicher nach ELWA 3 transportieren. Keine Kontaktperson der Patientin zeigte Anzeichen der Krankheit.

Die Frau starb am 27. März, aber sechs Wochen später erreichte Liberia endlich das Ziel, das es seit einem Jahr anstrebte. Am 9. Mai waren 42 Tage ohne neue Ebolafälle vergangen. Offiziell war das Land nun ebola­frei und der Ausbruch endlich überstanden.

Die WHO war überzeugt, dass Liberia die Übertragung des Virus unterbunden hatte, unterschätzte aber die Tatsache, dass Guinea und Sierra Leone immer noch von Ebolaausbrüchen in ihren Grenzregionen berichteten. „Die Regierung ist sich völlig bewusst, dass sie in höchster Alarmbereitschaft bleiben muss und verfügt über die nötige Erfahrung, Kompetenz und Unterstützung internationaler Partner", meinte die WHO.

In den mehr als zwei Monaten, die seither vergangen sind, meldeten sowohl Guinea als auch Sierra Leone immer wieder neue Krankheitsfälle. Im Juni verzeichneten die Länder durchschnittlich 20 Neuinfektionen pro Woche.

Brennan meinte, zwar habe sich das Verhalten in den Gemeinden, in denen wiederholt Neuinfektionen auftraten, grundlegend geändert, doch es sei noch viel Arbeit nötig, um Widerstände zu überwinden und das Bewusstsein für die Krankheit zu fördern.

„Wenn alle Gemeinden ihr Verhalten über Nacht ändern würden, könnten wir den Ausbruch in 21 Tagen beenden", erklärte Brennan und fügte hinzu, dass er Schwankungen erwarte, aber insgesamt einen Abwärtstrend der Fallzahlen. Die WHO, so Brennan, sei sicher, dass Westafrika null Fälle erreichen werde. Er betonte aber nochmals die Notwendigkeit detaillierter und möglichst exakter epidemiologischer Arbeit auf diesem „letzten Wegstück".

„Einen Ebolaausbruch zu beenden erfordert ein Vorgehen nach höchsten Standards, was bei den meisten humanitären Programmen eher selten ist", sagte er. „Wir müssen alle Erkrankten und alle ihre Kontaktpersonen finden."

Nur wenige Tage später, am 30. Juni, einen Monat und drei Wochen nachdem der Ausbruch in Liberia für beendet erklärt worden war, gab Nyenswah bekannt, dass die Leiche eines 17-Jährigen positiv auf Ebola getestet worden war. Es wurde eine sichere Beerdigung durchgeführt und die Nachbarhäuser in seinem Dorf im Margibi County wurden unter Quarantäne gestellt. Plötzlich mussten die Gesundheitsversorgungsteams vor Ort mehr als 100 neue Kontaktpersonen nach­verfolgen.