"Wir wollen nicht die Ghetto-Siedlungen von morgen bauen"

Erstveröffentlicht: 
15.09.2015

Bau-Staatssekretär Florian Pronold über den Stadtentwicklungs-Bundeskongress und den Flüchtlingszustrom

 

Leipzig. Der massive Andrang von Flüchtlingen wird auch den 9. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklung bestimmen, der von morgen bis zum Freitag Fachleute aus allen Bundesländern in der Leipziger Kongresshalle am Zoo zusammenbringt. Wir sprachen mit dem Staatssekretär für Bau und Stadtentwicklung Florian Pronold (SPD) über die anstehenden Konflikte.

Integration ist das Leitthema des Bundeskongresses - als Reaktion auf die vielen Flüchtlinge?
Uns geht es um das Zusammenleben aller, die in einer Stadt wohnen. Aber es ist schon richtig, dass die Integration von Flüchtlingen nun eine ganz andere Größenordnung bekommt. Mit rund 1000 Teilnehmern ist dieser Bundeskongress europaweit einer der bedeutendsten zum Thema Stadtentwicklung. Also genau der richtige Ort, um über die aktuellen Anforderungen zu diskutieren.


Welche vor allem?
Wir werden sehr deutlich machen, dass wir mehr sozialen Wohnungsbau in unserem Land brauchen. Zwar sind wir auf einem guten Pfad. Im letzten Jahr wurden 240000 Wohnungen neu gebaut. Aber wenn wir davon ausgehen, dass 40Prozent aller Flüchtlinge dauerhaft bleiben, dann wird das nicht ausreichen. Der Bedarf wird bei 350000 Wohnungen oder noch höher liegen. Der Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum gilt schließlich nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Und das betrifft vor allem die Großstädte, denn in Metropolregionen werden die meisten hinziehen. Es geht außerdem um die Organisation moderner Verkehrsbeziehungen bei gleichzeitiger Lärmreduzierung, die Barrierefreiheit und die energetische Sanierung. Kurz gesagt: Um einen neuen Konsens für das innerstädtische Zusammenleben.


Besteht angesichts der Riesennachfrage die Gefahr großer Vorstadt-Ghettos?
Es ist sehr wichtig, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Wir wollen keine Ghetto-Siedlungen von morgen bauen. Zum Glück konnte das in Deutschland durch kluge Städtebauförderung bisher weitgehend vermieden werden. Für die Quartiere, in denen sich bauliche und soziale Probleme bündeln, haben wir das Programm Soziale Stadt aufgestockt. Statt betonierter Problembereiche brauchen wir eine lebendige, demokratische und beteiligungsorientierte Stadt, die darauf setzt, dass Wohnquartiere durchmischt sind und es bezahlbare Wohnungen auch in den Innenstädten gibt. Angesichts der aktuellen Vorzeichen werden wir das allein mit öffentlichem Geld nicht schaffen. Deshalb sollte privat finanzierter Sozialwohnungsbau steuerlich besser gefördert werden als bisher, beispielsweise durch zusätzliche Abschreibungsmöglichkeiten. Sonst werden überwiegend private Luxuswohnungen in der Innenstadt gebaut.


Kann man Bauherren den Anteil der Sozialwohnungen denn vorschreiben?
Einige Städte sind schon dazu übergegangen, bei größeren Neubauprojekten etwa ein Drittel des Bestandes an Sozialwohnungen vorzugeben. Das ist wichtig für Alleinerziehende oder Menschen, die hart arbeiten und wenig verdienen. Aber genauso für Flüchtlinge, die dauerhaft hier bleiben. Auch sie müssen in den Arbeits- und den Wohnungsmarkt integriert werden. Diese Vielfalt in der Wohnungsbelegung ist das Erfolgsgeheimnis deutscher Stadtentwicklungspolitik und wir wollen es weiterführen.


Sachsen hat durch ausländerfeindliche Proteste traurige Berühmtheit erlangt. Ist Integration hier besonders schwierig?
Ich habe früher viel zum Thema Rechtsextremismus gearbeitet und glaube, dass man solche Einstellungsmuster nicht an Regionen festmachen kann. Das ist vollkommener Unsinn. Es darf aber nirgendwo der Eindruck entstehen, dass sich Stadtplaner nur noch um das Thema Flüchtlinge kümmern. Wir müssen alle anstehenden Probleme und Konflikte lösen. Leipzig ist ja in puncto Stadtentwicklung ein positives Beispiel. Hier wurde, wie auch in Dresden, die Trendwende von der Abwanderung zum Wachstum geschafft. Zuwanderung bietet nun auch anderen Regionen die Chance, neue Einwohner zu integrieren und leerstehende Wohnungen nicht mehr abzureißen. So können Stadt und Land auf Dauer besser im Gleichgewicht gehalten werden.


Gab Leipzigs Aufschwung den Ausschlag, den Bundeskongress hier abzuhalten?
Leipzig ist Vorbild für kluge Stadtentwicklung. Hier hat der frühere Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee, der ja auch in der Kommunalpolitik nicht ganz unbekannt ist, vor acht Jahren die Leipzig-Charta vorgestellt, die eine moderne Stadtentwicklungspolitik für Europa beschreibt. Darin sind viele der Herausforderungen schon benannt, vor denen wir heute noch stehen und die wir angehen. Wir brauchen keine reinen Schlafsiedlungen oder Bürokomplexe, wo um 19Uhr alle Lichter ausgehen. Die Menschen finden es viel charmanter, wenn in jedem Stadtteil beinah alles möglich ist. Daran knüpft die Leipzig-Charta an. In Sachsens größter Stadt hat sich enorm viel bewegt, und dafür kann man Leipzig durchaus ein Kompliment machen. Interview: Winfried Mahr