"Zuwanderung ist kein Selbstzweck, sondern in unserem Interesse"

Erstveröffentlicht: 
07.09.2015

Meinungsbeitrag von Michael Fuchs, Fraktionsvize und Wirtschaftsexperte der CDU/CSU im Bundestag

 

Von Michael Fuchs


In einem Jahr 800000 Flüchtlinge: Das ist eine erhebliche Herausforderung für Deutschland. Die Aufgabe macht auch vor der Wirtschaftspolitik nicht halt. Zahlreiche Vorschläge machen die Runde, vom "Dauerbrenner" Einwanderungsgesetz bis zu Arbeitsvisa für Balkanflüchtlinge. Umso wichtiger ist es zu unterscheiden: Was sind im Moment die eigentlichen Prioritäten? Und welche Vorschläge gehen eher in die falsche Richtung?


Vorrangig geht es bei der Bewältigung der akuten Flüchtlingswelle um humanitäre Gebote. Wirtschaftliche Erwägungen sind im Asylverfahren zu Recht tabu. Maßstab ist allein, den politisch Verfolgten, von denen viele schreckliche Erfahrungen gemacht haben, schnell und unbürokratisch zu helfen.


Klar ist auch: Wir können die Flüchtlingswelle nur dann erfolgreich bewältigen, wenn wir unsere Unterstützung gezielt denjenigen zukommen lassen, die tatsächlich politisch verfolgt werden. Das ist bei den allermeisten Flüchtlingen vom Westbalkan nicht der Fall, mögen deren Motive auch individuell nachvollziehbar sein. Hier müssen sich wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Aspekte einer stringenten Asylpolitik und konsequenten Abschiebepraxis unterordnen - zumal nichts dafür spricht, dass der Zustrom der Flüchtlinge kurzfristig abebbt. Wer meint, mit dem Jahreswechsel sei das Thema erledigt, der irrt. Daher halte ich nichts von SPD-Vorschlägen einer verstärkten Ausgabe von Arbeitsvisa für Menschen aus dem Westbalkan oder einer kontingentierten Aufhebung der Vorrangprüfung in diesen Fällen. Das sind missverständliche Signale, die den Zuwanderungsdruck nur erhöhen, ohne den wirklich Verfolgten zu helfen. Die aktuellen Herausforderungen werden dadurch nur größer. Und die richtige Idee einer gesteuerten Zuwanderung nach Deutschland nach klaren Spielregeln wird infrage gestellt.


Spielt der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt also überhaupt keine Rolle im Kontext der aktuellen Flüchtlingswelle? Doch. Allerdings nur bezogen auf diejenigen, die ohnehin eine relevante Aufenthaltsperspektive bei uns haben. Viele politisch Verfolgte werden für viele Jahre bei uns bleiben. Viele sind jung und haben entscheidende Jahre der persönlichen Entwicklung vor sich. Und nicht wenige können einen relevanten Beitrag leisten, der unserer Wirtschaft und unserem Land zugute kommt. Zentrale Voraussetzung ist, dass sie rasch und ihren Fähigkeiten entsprechend bei uns arbeiten können. Was ist konkret zu tun? Wir müssen uns genau anschauen, ob wir die Rahmenbedingungen für die Ausbildung junger Flüchtlinge weiter verbessern können. Ein Viertel der Asylbewerber im letzten Jahr war zwischen 16 und 25 Jahre alt. Um hier die Betriebe noch besser ins Boot zu holen, müssen wir über praxistauglichere Regeln für Unternehmen nachdenken. Alle Auszubildenden sollten jedenfalls für zwei Jahre nach Abschluss der Ausbildung über eine gesicherte Aufenthaltsperspektive verfügen.


Auf einem ganz anderen Blatt als die aktuelle Flüchtlingshilfe steht die Diskussion um die gesteuerte Zuwanderung. Die Bewältigung der Flüchtlingsherausforderung macht eine fundierte Diskussion um die Zukunft gesteuerter Zuwanderung weder entbehrlich noch unmöglich. Auf die richtigen Koordinaten kommt es an. Hierzu zählt für mich, dass Zuwanderung kein Selbstzweck, sondern nach Maßgabe unseres deutschen Interesses geboten ist. Hierzu gehören auch wirtschaftliche Belange wie das Interesse an der Fachkräftesicherung. Allerdings hat Zuwanderung eine zu große Tragweite für unsere Gesellschaft, als dass volkswirtschaftliche Opportunitäten allein der Maßstab sein könnten. Denn es geht in der Perspektive um ein staatsbürgerliches, nicht nur um ein wirtschaftliches Miteinander.


Noch intensiver als bisher sollten wir uns um junge Leute und Fachkräfte aus EU-Mitgliedsstaaten bemühen, insbesondere aus solchen mit hoher Jugendarbeitslosigkeit. Das schafft individuelle Entwicklungsperspektiven und stärkt das Zusammenwachsen. Allein aus EU-Staaten werden wir unseren Fachkräftebedarf langfristig nicht decken können. Auch bei der Zuwanderung aus Drittstaaten müssen wir noch besser werden, trotz erheblicher Fortschritte. Zum Beispiel sollten wir niedrigere und vor allem weniger "krumme" Gehaltsgrenzen ansetzen. Die derzeit geltenden 48400 Euro Jahresgehalt machen das Erklären der deutschen Regeln nicht einfacher. Und das ist mindestens so wichtig wie der Inhalt der Regeln selbst. Auch über eine Ausweitung der Positivliste mit Mangelberufen, bei denen eine Vorrangprüfung entbehrlich ist, sollte man reden. Gleiches gilt für mehr Flexibilität bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse.


Alles in allem geht es um eine evolutionäre Entwicklung des Zuwanderungsrechts, nicht um einen revolutionären Systemwechsel. Manches haben die aktuelle Flüchtlingsherausforderung und die längerfristige Zuwanderungsdiskussion gemeinsam. Die Themen verlangen einen besonders verantwortungsvollen Umgang. Holzschnittartige Forderungen helfen in der Sache nur begrenzt weiter. Vor allem: Nur wenn wir die akute Flüchtlingswelle erfolgreich managen, sichern wir der richtigen Idee einer langfristigen gesteuerten Zuwanderung in unserem Interesse dauerhaft die erforderliche Akzeptanz.