Dritte Krawallnacht in Heidenau: Wieder Randale vor Flüchtlingsheim

Erstveröffentlicht: 
24.08.2015

Tillich kündigt hartes Vorgehen gegen Gewalttäter an / EU-Politiker Winkler sieht Mitschuld bei Europa

 

Von Anita Kecke, Hauke Heuer und Johannes Angermann


Dresden/Heidenau. Schlachtähnliche Szenen haben sich gestern vor einer Unterkunft für Flüchtlinge im sächsischen Heidenau abgespielt. Rechtsradikale und fremdenfeindliche Gewalttäter haben die dritte Nacht in Folge randaliert und Polizisten angegriffen. Nach zwei vorangegangenen Nächten, die von Randalen geprägt waren, hatte die Polizei am gestrigen Abend eine Sicherheitszone um die Asylbewerberunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt eingerichtet. In diesem Bereich - einem Umkreis von etwa einem Kilometer - können die Beamten anlasslos Personen kontrollieren und Platzverweise leichter erteilen. Etwa 250 Polizisten waren gestern im Einsatz. Zwei Wasserwerfer wurden aufgefahren. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) kündigte gestern vor Ort ein konsequentes Vorgehen gegen die Gewalttäter an. "Mich erschüttern die Ereignisse zutiefst", erklärte Tillich. "Wir lassen uns das nicht bieten, wir werden mit aller Macht dagegen vorgehen."


Während bis in die Nacht hinein kleinere Gruppen aus dem rechten Spektrum durch Heidenau zogen, versammelten sich nahe der Notunterkunft zunächst etwa 50 Gegendemonstranten, die gegen Rassismus auf die Straße gingen. Die Polizei ließ sie gewähren. "Mit den Linken hatten wir in den letzten Tagen keine Probleme", erklärte Polizeisprecher Marko Laske am frühen Abend. Da sei alles friedlich geblieben. In der Stadt waren vereinzelt Böllerwürfe zu hören. Gegen 22 Uhr stieß eine Gruppe von 200 bis 300 Personen aus dem Antifa-Spektrum zu dieser ersten Demonstration. Eine halbe Stunde später eskalierte die Lage, es kam es zu mehren Zusammenstößen mit kleineren Gruppen von Rechten. Augenzeugen berichten von wilden Schlägereien.


Die Polizei ging gegen die Randalierer mit großer Härte vor. Reizgas, Räumschilde und Schlagstöcke kamen zum Einsatz. Auch Unbeteiligte wurden durch Beamte abgedrängt. Gegen 23 Uhr hatten die Sicherheitskräfte die Lage unter Kontrolle.


Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) verurteilte die Randale und forderte die Einwohner zur Solidarität mit Flüchtlingen auf. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) will heute die Flüchtlinge in ihrer Unterkunft besuchen.


Auch Hermann Winkler, CDU-Europaabgeordneter aus Leipzig, verurteilte die Gewalt. Selbstkritisch merkte er aber an: "Auch wir Europapolitiker tragen eine Mitschuld." Europa habe keine Lösung anzubieten für das lange bekannte Flüchtlingsproblem. Er forderte seine Kollegen auf, einen europäischen Migrationsplan zu erstellen, sagte Winkler gestern. Zugleich mahnte er Sanktionen an gegenüber den EU-Ländern, die kaum Flüchtlinge aufnehmen: "Sie sollten weniger Infrastrukturhilfen bekommen, wenn sie nicht bereit sind, in europäischer Solidarität Verantwortung zu übernehmen."


 

Leitartikel Von Anita Kecke 

 

Heidenau als Weckruf

Von Anita Kecke


Man muss es deutlich sagen: Was in Heidenau passiert, ist eine Schande für Sachsen und für Deutschland: Verzweifelte Menschen, die vor Gewalt und Krieg fliehen, um endlich Ruhe und Hilfe zu finden, erleben Straßenschlachten, angezettelt von einem rechtsradikalen Mob.


Heidenau ist kein Einzelfall. Es steht in einer Reihe mit unrühmlichen Ereignissen in Freital, Meißen, Dresden und Suhl. Beide Freistaaten, Sachsen und Thüringen, wirken in höchstem Maße überfordert mit der menschenwürdigen Unterbringung der Zufluchtsuchenden. Das ist beileibe kein ostdeutsches Problem, auch westdeutsche Bundesländer stöhnen. Aber der ausufernde Ausländerhass, die Gewaltexzesse gegen Flüchtlinge und Polizisten, all das häuft sich in Sachsen und wirft Fragen auf, warum die Situation gerade hier so eskaliert. Dass sich in Sachsen Hochburgen der Rechtsextremen befinden, ist seit Langem bekannt. Auch Innenminister Markus Ulbig weiß das. Es ist deshalb unverständlich, warum er in Heidenau Polizisten gleich zwei Mal hintereinander offenbar unvorbereitet in eine Schlacht mit organisierten rechtsradikalen Gewalttätern schickte. Warum richtete er den gestern angekündigten Kontrollbereich um die Asylunterkunft nicht schon eher ein?


Ulbig wirkt nicht nur überfordert, sondern auch allein gelassen. Bis auf wenige Kabinettsmitglieder, wie Integrationsministerin Petra Köpping, ging die Landesregierung lieber auf Tauchstation bei diesem schwierigen Thema, mit dem sich kaum Lorbeeren ernten lassen. Dass dies spätestens seit gestern nicht mehr geht, hat Regierungschef Stanislaw Tillich erkannt und Gesicht gezeigt. Ein richtiges Zeichen. Zu hoffen ist, dass vom Besuch in Heidenau nicht nur ein Showeffekt bleibt, und dass die Ankündigungen, härter gegen die Täter vorzugehen, nicht im Nebel des politischen Alltags verschwinden. Heidenau muss ein Weckruf sein.


Dazu gehört auch ein besseres Miteinander zwischen Land und Kommunen. Die Bürgermeister fühlen sich meist überrumpelt, wenn sie kurzfristig Unterkünfte bereitstellen sollen. Nicht nur Jürgen Opitz in Heidenau und Leipzigs OBM Burkhard Jung haben das massiv kritisiert. Denn durch diesen Aktionismus werden die Bürger oft zu wenig einbezogen und mitgenommen, was eine aufgeheizte Stimmung begünstigt. Das Land schiebt wiederum alles auf den Bund, und der auf die Europäische Union. So entwickelt sich das Flüchtlingsdrama zu einem beschämenden Schwarzer-Peter-Spiel. Die Politik stolpert konzeptionslos von einem Problem zum nächsten. Dabei ist absehbar, dass auch weiterhin Menschen aus den Konfliktgebieten Zuflucht bei uns suchen werden. Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat Recht, wenn er sagt, dass dieses Problem allen Verantwortlichen auf die Füße fällt, wenn sie nicht reagieren, egal, welches Parteibuch sie haben. Ergänzt werden muss noch: Egal, ob sie im Osten oder Westen wohnen.


Die Krawalltäter dominieren zwar die Schlagzeilen. Aber es gibt auch viele Helfer, die Willkommenskultur im Alltag buchstabieren, die für Asylsuchende spenden, sie Deutsch lehren, sie zu Ämtern begleiten. Auch das ist Sachsen. Auch das ist Deutschland. Zum Glück.
a.kecke@lvz.de